U-Verlagerung Malachit / Komplexlager KL-12

Zum Ende des Zweiten Weltkrieges hin wurden immer mehr industrielle Produktionsstätten in ländliche Gebiete ausgelagert, um den massiver werdenden Bombenangriffen auf die Städte und Industrieanlagen auszuweichen. Da bot es sich natürlich an, besonders gefährdete Fabriken in Stollenanlagen und Bergwerke zu verlagern. Auch in der alten Garnisonsstadt Halberstadt am östlichen Harzrand war die benötigte Infrastruktur vorhanden, Truppenteile standen vor Ort bereit und die geologischen Gegebenheiten waren ideal.

Die Stollen der Champignonzucht der Konservenfabrik Strauch wurden schon recht früh beschlagnahmt und für die U-Verlagerung mit dem Tarnnamen "Makrele I" für kriegswichtige Produktionen benutzt. Fast gleichzeitig wurden die Sandsteinhöhlen am Felsenkeller für die U-Verlagerung "Makrele II" in Anspruch genommen. Vom Reichsministerium für Kultur wurde die Lange Höhle für die Verlagerung von Kulturgütern vorgesehen. Bei dieser Höhle handelt es sich um alte Stubensandsteinbaue im Spiegelsberge, die aus Sicherheitsgründen vor dem Krieg gesprengt werden mussten. Während des weiteren Kriegsverlaufs war die Höhle Luftschutzraum für die Bevölkerung und wurde auch als Lagerraum an die Junkers Flugzeugwerke verpachtet.

Am außerhalb der Stadt gelegenen Thekenberg befand sich zu damaliger Zeit ein Naherholungsgebiet mit einem kleinen Sandsteinbruch, der heutigen Nachtigallenschlucht. Das Projekt "Malachit" muss schon in einer sehr frühen Phase der geplanten U-Verlagerungen in Angriff genommen worden sein, ansonsten wäre der Baubeginn am 21. April 1944 sicher nicht realisierbar gewesen. Zuständig für den Bau war die "Erzbergbau Salzgitter GmbH", für die Bauarbeiten wurde bei Langenstein-Zwieberge ein Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald errichtet. Bis zur Einstellung der Arbeiten am 11.April 1945 hatten die Häftlinge unter Zwang mehr als zwölf Kilometer Stollen in den Berg getrieben. Von den geplanten 450.000m3 Erde waren bis zu diesem Zeitpunkt bereits etwa 400.000m3 bewegt worden, rund 67.000 der vorgesehenen 72.000m2 Gesamtfläche fertig gestellt und etwa 25.000m2 bereits in Nutzung. Den Lohn der KZ-Häftlinge, ganze vier Reichsmark pro Tag und Mann, bezahlten die Baufirmen an das Deutsche Reich. Qualifizierte Zivilarbeiter erhielten 95 Reichsmark pro Woche, unqualifizierte Arbeitskräfte 50 Reichsmark. Kriegsgefangene erhielten angeblich dieselben Löhne, was heute nur noch schwer nachprüfbar sein dürfte. Bei den Arbeiten, die noch nicht ein mal ein Jahr andauerten, fanden etwa 7.000 Menschen den Tod. Heute erinnert in Langenstein-Zwieberge eine Gedenkstätte an die Opfer.

Malachit, Zugang D 1945 Malachit, großer Stollen 1945 Malachit, Betonverschalungsarbeiten 1945 Malachit, Betonverschalungsarbeiten 1945 Malachit, Ziegelverkleidungsarbeiten 1945

Anfang Februar 1945 erfolgte eine Befahrung des Bauvorhabens zur Klärung von Bewetterungsfragen durch Angehörige des Oberbergamtes, des SS-Führungsstabes B2 und des Baustabes Heese. In einem Bericht über diesen Besuch wird die Größenordnung der Anlage deutlich: "[...] Nach den Angaben, die ich von den Herren des SS-Führungsstabes und des Baustabes erhielt, soll das Bauvorhaben, das bergmännisch in Kürze fertig gestellt sein und eine nutzbare Fläche von rd. 70.000 m2 erhalten wird, eine Flugzeugfertigung aufnehmen. Die Belegschaft soll 6.000 Mann je Schicht, der durchschnittliche Energieverbrauch 400kW betragen. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, daß der Teil östlich des von Norden nach Süden verlaufenden Hauptquerschlages mit Triebwerksfertigung belegt wird, wobei sich der durchschnittliche Energieverbrauch auf etwa 2.000 kW erhöhen wird. [...]". In der U-Verlagerung war unter anderem die Unterbringung der Produktion der BMW Motorenwerke Berlin-Spandau und der Junkers Motorenwerke Dessau geplant. Mit einem Schreiben vom 16. März 1945 wies das Reichwirtschaftsministerium BMW eine Fläche von 6.000m² für die sofortige Nutzung zu und kündigte an, die Fläche um weitere 3.000m² zu erweitern. Diese Flächenzuteilung wurde allerdings schon am selben Tag zurückgezogen.

Anlage Malachit, Plan von 1945 

Angesichts der bereits näher rückenden alliierten Truppen wurden die Arbeiten am Projekt Malachit am 11. April 1945 eingestellt. Nach dem Kriegsende 1945 demontierte die Rote Armee bis 1948 die technischen Anlagen, Stahlarmierungen und den Maschinenpark und bereitete die Stollen auf die Sprengung vor. Dafür wurden 92,6 Tonnen Sprengstoff in die Anlage verbracht. Für die komplette Sprengung der Anlage wäre allerdings mehr als die neunfache Menge an Sprengstoff nötig gewesen. Die Sprengung, die für Januar 1949 vorgesehen war, wurde allerdings durch die beherzte Intervention des stellvertretenden Vorsitzenden der Deutschen Wirtschaftskommission in der SBZ, Luitpold Steidle, verhindert. Der spätere Minister für Gesundheitswesen der DDR machte den Vorschlag, das Stollensystem durch Auffüllen mit Erdreich unbrauchbar zu machen, da das Waldgebiet auf dem Thekenberg von der Halberstädter Bevölkerung als Naherholungsgebiet genutzt wurde. Eine völlige Sprengung der Anlage hätte das komplette Gelände in eine Kraterlandschaft verwandelt. Die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) entsprach dieser Bitte und führte nur kleinere Sprengungen durch, um die Stollen unbrauchbar zu machen. Für die nächsten Jahre wurde es dann ruhig um die Anlage Malachit.

Zugang N Nachtigallenschlucht 2005Zufahrt zum Bahnstollen, 2005Einfahrtsbereich des Bahnstollens 2005LängsstollenEines der riesigen Tore innerhalb der AnlageStollen im alten, nicht wiederhergestellten BereichStollen im alten, nicht wiederhergestellten BereichVerbruch im alten, nicht wiederhergestellten Bereich 

Mit der Verhärtung der Fronten während des Kalten Krieges übernahm die Nationale Volksarmee der DDR (NVA) 1976 die Liegenschaft und begann 1977 mit Aufklärungs- und Vermessungsarbeiten des Stollensystems um es nutzen zu können. Der Auf- und Ausbau der Stollenanlage zum Komplexlager KL-12 erfolgte von 1979 bis 1983. Auf Grund von Geld- und Zeitmangel wurde nur etwa die Hälfte der ursprünglichen Gesamtanlage ausgebaut, erheblich verbrochene und gesprengte Stollen wurden abgeworfen und nur die Hauptstollen im gesprengten Bereich für die Bewetterung genutzt. Die Bruttofläche der neugeschaffenen Anlage betrug nun ca. 40.000m², also ca. 220.000m³ umbauten Raumes. Es war damit der flächenmäßig größte Bunker der DDR. Zum Maifeiertag 1984 wurde das Objekt 630 als Komplexlager KL-12 (NVA-Nr.16/630) feierlich in Dienst gestellt. Es unterstand der 2. Strategischen Staffel als Depot für kriegswichtige Geräte, Bekleidung und Munition.

Küchenbereich der NVAWaschraum aus NVA-ZeitSchlafkojen der NVADusch-/DekontaminationsbereichTelefonvermittlungDispatcher - Herz und KontrollzentrumEines der Dieselaggregate 2005

Nach der Wende wurde das Komplexlager KL-12 am 1. Oktober 1991 als Luftwaffenmaterialdepot 52 der Bundesluftwaffe unterstellt. Zu diesem Zeitpunkt waren dort ca. 20.000 Tonnen Munition gelagert. Das LwMatDp 52 wurde am 29. Dezember 1994 aufgelöst. Zum 30. September 1995 wurde die Anlage endgültig verlassen, damit endete die fünfzigjährige militärische Nutzung der U-Verlagerung "Malachit" und darüber hinaus auch nach 372 Jahren die Garnisonsgeschichte Halberstadts.

Geshreddertes Geld der DDRNun begannen allerdings die nächsten Probleme. Zwischen 1990 und 1991 wurde das gesamte Papiergeld der DDR, einschließlich der bei der Währungsunion eingesammelten Sparbücher, Tank- und Forumschecks und der bis dahin noch nicht ausgegebenen neuen 200- und 500-Mark-Banknoten in zwei 300 Meter lange Stollen in der Anlage eingelagert. Insgesamt wurden etwa 3.000 Tonnen im Wert von ca. 100 Mrd. Mark der DDR per Zug von der Berliner Reichsbank nach Halberstadt verbracht. Das Geld wurde mit Kies überdeckt und sollte hinter Betonmauern und Stahltüren vor Diebstahl für die Ewigkeit gesichert verrotten. An die Öffentlichkeit kam dies, als es 1999 zwei Halberstädtern gelang, über einen ungesicherten Verbruch wiederholt in das Stollensystem einzudringen und zahlreiche Banknoten zu entwenden. Diese Banknoten wurden später bei einem großen Online-Auktionshaus veräußert. Die beiden damals 24 und 26 Jahre alten Männer wurden später vom Amtsgericht Halberstadt zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Anfang 2002 entschied die Kreditanstalt für Wiederaufbau, in deren Besitz das Geld 1994 durch die Fusion mit der Staatsbank der DDR ging, auf Grund der langsamen Verrottung und um weiteren Diebstählen vorzubeugen, die Banknoten zu verbrennen. Dazu wurden ab März 2002 die Abschlusswände der Stollen eingerissen und die Scheine mit einem Trommelsieb vom Kies und Erdreich getrennt. Ab April 2002 überführte man täglich fünf bis sechs Container per LKW in die Thermische Restabfall-Vorbehandlungsanlage am Braunkohlewerk Buschhaus bei Helmstedt. Dort wurden die Scheine mit Hausmüll vermischt und verbrannt. Am 25. Juni 2002 waren schließlich alle 298 Container verarbeitet.

Heute befindet sich die Anlage in privater Hand, allerdings scheinen alle Planungen, unter anderem eine Großraumdisco oder ein Museum, im Sande verlaufen zu sein. Eine verbotene Nutzung als Sondermüll-Endlager brachte die Untertageanlage nochmals in die Schlagzeilen, danach verschlechterte sich der Zustand, die Technik wurde nach und nach ausgeschlachtet. Ein Konzept für eine Nachnutzung gibt es bis heute leider nicht.

Quellen (Auszug):
- Chronik der 5. Luftwaffendivision
- Oberbergamt Clausthal-Zellerfeld, Archiv Nr. Acc 9-3734
- Briefing zur Geschichte und technischen Ausstattung LwMatDp 52
- Goslarer Zeitung 28.7.1992
- CIOS 35, Items 21,22,31 - Underground Factories in Germany
- H.W. Wichert, Decknamenverzeichnis Deutscher unterirdischer Bauten, Ubootbunker, Ölanlagen, chemischer Anlagen und WIFO-Anlagen des zweiten Weltkrieges

Tags: DDR, Rüstung, Depot, Bundesbank, Zwangsarbeit, Stollenanlage