
Aber ich möchte euch nicht langweilen...
Der interessante Teil des Tagebuchs beginnt mit dem öffnen der Befehle für die Luftwaffenvermittlung Nr. 27 / Hannover, am 02.09.1939 und endet im April 1945.
Hier mal einige (wenige) Beispiele...:
28.08.1939: Auf der Dienststelle werden Vorbereitungen für einen evtl. Krieg getroffen, indem in unserem Geheimfach ein Code hinterlegt wird, der bei Ausbruch von Feindseligkeiten nach einem bestimmten Plan durchzugeben ist. Unser Dienststellenleiter hütet den Schlüssel zum Fach. Bei unserem Geheimfach handelt es sich um einen in die Mauer eingelassenen Behälter mit Stahltür.
02.09.1939: Kriegserklärung an Polen. Seit morgens 05:45 Uhr wird (...) wiedergeschossen. Auf der Dienststelle geht es zu wie in einem Bienenkorb. Für den Obfw. Woiske kommt ein Ltn. Jüngst als Dienststellenleiter zu uns. Wir Verheiratete müssen ab sofort auf der Dienststelle bleiben. (...) Nachdem das Stichwort durchgegeben war, schwoll der Fernschreibbetrieb merklich an.
[...]
12.06.1940: Hatte Nachdienst, als mich die Sirenen aus dem Schlafe rissen. Ich ziehe mich an, ein leises Brummen ist zu vernehmen. Scheinwerfer suchen nach dem Feind. Unsere Baracke leuchtet im fahlen Widerschein der Scheinwerfer auf. Ich stehe an der Ecke der Baracke der Rüstungsinspektion. Ich bemerke, dass sie plötzlich einen Tommy im Scheinwerfer haben. Alle Rohre der Flak greifen nach ihm. Er muss beschädigt sein, denn er kommt immer tiefer. Jetzt kann ihn schon die leichte Flak erreichen. Hinter der Eilenriede verschwindet er hinter den Bäumen. Gierig ziehen die bunten Todesfäden der Leuchtspurmunition in ihn hinein. Jetzt ist er verschwunden. Dann ein rotes Aufblitzen, anschließend der Brand zeigt an, dass es der letzte Flug dieser Maschine war. Kurz hinter Grasdorf war er am Boden zerschellt. Das war der erste Abschuss, den ich mit eigenen Augen gesehen habe.
[...]
28.03.1945: (...) Der Dienstbetrieb war nur noch mangelhaft, da durch die Zerstörung der vielen Fernkabel alle Verbindungen bis auf Hamburg(FHB) abgerissen waren. Schon ungefähr 10 bis 14 Tage hatten wir keinen geregelten Betrieb mehr auf unseren Leitungen. Immer mehr Leitungen wurden unterbrochen. Die Deutsche Reichspost war nicht in der Lage, die durch überall erfolgenden Angriffe beschädigten Kabel noch in Ordnung zu halten. Ein dauernder Netzstromausfall seit etwa 8 Tagen zwang uns, noch noch teilweisen Betrieb zu machen. Wir sacken langsam ab. Auch die Fliegerhorste um uns herum melden sich nicht mehr, teils weil die Leitungen zerstört und teilweise schon vom Feinde besetzt waren. Das Fernkabel 59 nach Hamburg ist die einzigste Verbindung, die noch nicht beschädigt ist.
Dieses war die einzigste Leitung, die wir bis zuletzt haben halten können. Nicht nur wir alleine, sondern auch für die ganze Stadt Hannover war dieses die einzigste Verbindung mit der Außenwelt.
Auch die Fernsprech LV hatte nur noch Verbindung nach Hamburg, über die wir laufend Berichte geben mußten an das Regiment in Pinneberg.
Wir nähern uns der Sterbestunde von FHN(LV 27) und der Tommy und Amy nähern sich uns in bedenklicher Weise. Sie stehen vor Minden. (...) da die Dienststelle im Dunkeln lag. Nur um 13 Uhr warfen wir unser Notstromagregat an, um noch ein Lebenszeichen nach Hamburg zu senden und um zu berichten, wie es hier um uns steht. (...) Nach einer kurzen Fahrt in die Stadt... (...) Der Dienstbetrieb ruht so gut wie ganz. Nur die Fernsprech LV hatte einige Leitungen klarbekommen. Es geht dem Ende zu. Der Feind steht vor der Weser. Da es nur noch Tage dauern konnte, musste ich mir über die Zerstörung der Dienststelle
im klaren sein. Ich trat mit dieser Forderung an meinen Dienststellenleiter Oblt. Konrad heran, diese Frage beim Luftgaukommando zu klären. Unzählige Telefongespräche müssen nach Hamburh dadurch geführt werden. Einige entschieden sich für vollkommene Zerstörung (...). Andere schlagen nur eine Lähmung vor. Schließlich nach langem hin und her entschließt man sich zur Lähmung. 10 Jahre hat man nun der Dienststelle das Geleit gegeben und nun soll man die Liquidierung durchführen. Man hat sie aus der Taufe gehoben und trägt sie nun zu Grabe. Als einziger habe ich alle Etappen der Dienststelle erlebt. Man hat aufgebaut, mit der Pinzette gearbeitet und mit der Federwaage justiert und jetzt soll man mit der Axt alles demolieren. Das ist hart und tut weh.
Da die G-Schreiber zerstört werden mußten, habe ich meinen Kameraden Hakenberg damit beauftragt. Ich höre es immer noch, wie er mit der Spitzhacke in den T 52 umherhackte. Wir hatten zwei Stück von den G-Schreibern (Geheimschreibern) (T Typ 52). Jede kostete 30.000 RM. Also 60.000 RM vernicht nur mit einigen Axthieben. Die anderen Einrichtungen sollten wir lähmen, wenn der Befehl dazu kommen sollte.
Sonst ist es langweilig, man wartet förmlich auf die Sterbestunde.
[...]
04.04.1945: (...) Die Bibliothek der Dienststelle soll aufgelöst werden. (...) So löst sich schon alles so langsam auf. (...)
[...]
06.04.1945: (...) Mal wieder mit Hamburg geschrieben auf der WT (Wechselstromtelegrafie), die noch mit Hamburg(FHB) in Ordnung ist. Da wird also Hannover die erste Einheit von unserem Luftgau-Nachrichten-Regiment XI sein, die in Feindeshand fällt.
[...]
08.04.1945: (...) Das Geschäftszimmer verbrennt seine gesamten Akten-Unterlagen, auch ich als NGV-Mann(Nachrichten-Geräte-Verwalter) verbrenne meine technischen Unterlagen bis auf ein Buch, in dem ich die gesamten Beschaltungsunterlagen der Dienststelle aufgeführt hatte. Eine große Räucherei entsteht auf dem Hofe. Ab und zu ein bischen Benzin dazwischen, zumal die dicken Pappdeckel nicht recht brennen wollen. Da wird nun alles das verbrannt, an dem sich eine Menge Menschen jahrelang festgehalten haben. (...)
[...]
Der Krieg endet und der letzte Eintrag (über 4 DIN-A4-Seiten) schließt das Tagebuch am Abend des 10. April 1945 ab, nachdem die 84. US-Infanterie-Division Hannover eingenommen hatte.
Das Tagebuch hat rund 220 Seiten. Darin viele private Unterlagen, wie z.B. Fahrkarten, Eintrittskarten (vom Gautag u.v.a.m.!), usw. ! Auch einige Ausweise sind noch enthalten. Es fehlen zwei Verleihungsurkunden und ein paar Fahrkarten aus Schlesien. Damit kann ich ganz leben. Die Auswertung wird sich aber sicherlich noch einiges hinziehen. Zumal hier unterschiedlichen Themen zusammen kommen. Neben der Tätigkeit in der LV27 hat der Verfasser auch ausführlich über die Luftangriffe auf die Stadt Hannover berichtet. Dazu noch die rund 280 Fotos. Arbeit... aber eine, die man gerne macht.

Die LV27 befand sich im Keller eines Neubaus auf dem Gelände der Tierärztlichen Hochschule Hannover(TiHo). Und zwar ziemlich genau, wenn man von der Marienstraße (damals: Misburger Damm) kommend, den Bischofsholer Damm bis kurz hinter die Unterführung "Am Südbahnhof" fährt (in Fahrtrichtung Bult). Das Gebäude habe ich auch als GeoTag markiert.
Soweit...
Gruß aus Hannover
Guido Janthor