Dislozierungen sowjetischer Truppen am 10.11.1989

Militärische Objekte und Anlagen ab 1945
Gast

Dislozierungen sowjetischer Truppen am 10.11.1989

Beitrag von Gast » 06.12.2005 19:33

Mir liegt ein Zeitzeugenbericht vor, wonach am 10.11.1989 00:00 (Mitternacht) Einheiten der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (GSSD) zur gefechtsmäßigen Sicherung der Westgrenze der DDR übergegangen sind. Der Zeitzeuge war zum damaligen Zeitpunkt Offizier der NVA. Ich dokumentiere seinen Bericht im Anschluss.

Frage: Sind solche Dislozierungen auch von westlicher Seite aufgeklärte worden, bzw. gibt es ehemalige BGS Angehörige oder BW Angehörige, die davon gehört haben oder damals dies beobachtet haben?

Joachim

Der Zeitzeugenbericht:
1. Dass Truppen der WGT an der Grenze gelegen haben ist unumstritten, ich habe sie mit eigenen Augen gesehen, war sogar in ihren Stellungen.

2. Dass es sich bei diesen Truppen um die Grenzssicherungsbataillone der WGT handelte, war die Antwort von GO Streletz auf meine Frage an ihn in Wünsdorf.

3. Dass es sich dabei nicht eventuell auf eine Übungssituation handelte, ist ausgeschlossen,dies zeigte mir der Status der Waffen.

4. Ein Zusammenwirken gab es nicht, weil wir nicht handelten, weder NVA noch GT, die WGT offensichtlich schon.

5. Ob entlang der ganze Staatsgrenze , kann ich nicht sagen, da ich nicht an der gesamten Staatsgrenze war, ich vermute es jedoch mal. Ich habe nur einen Abschnitt gesehen, den im Norden (Bezirk Schwerin).

6. Deshalb weiß ich auch nicht, wie weit die einzelnen Stellungen zur Grenze waren, ich kanns in dem Abschnitt, den ich gesehen habe sagen. Dort warens ca. 500 - 600 m vom Hinterlandszaun entfernt
in Zugstützpunkten bzw. Kompaniestützpunkten, eingegrabene Panzereinheiten. Ich hielt mich in dieser Zeit halt sehr viel in dieser Gegend auf. Mit einem festgelegten Schußsektor, der ununterbrochen beobachtet oder sollte ich besser sagen angerichtet war.

Da die Schußsektoren jedoch alle ausschließlich nach Westen wiesen, gehe ich mal davon aus, das diese Aktion weniger den Demonstranten galt, als eher unangenehmen Überraschungen aus westl. Richtung verhindern sollte.

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MikeG
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Beitrag von MikeG » 06.12.2005 20:01

Hi!

Interessantes Themna!

Rein politisch betrachtet, halte ich es für unwahrscheinlich. Zu diesem Zeitpunkt war die DDR der "Hardliner", die SU hatte bereits auf "Glasnost" eingeschwenkt. Belegt ist ja wohl, daß am Abend des 9.11.89 wohl zumindest Pz-Ein heiten der NVA in Alarmbereitschaft versetzt wurden, mehr aber glücklicherweise nicht geschah. Ob und welche Rolle die GSSD-Truppen spielten, ob es einen Alarm oder zumindest Alarmbereitschaft gab, weiss ich natürlich nicht - leider.

Hier wäre es hilfreich, wenn der Zeitzeuge mal den Raum nennen würde, in dem das angeblich passierte - man könnte dann z.B. mal bei den unmittelbaren Anwohnern herumfragen. Oder hat hier jemand Erfahrungen mit russischen Archiven?

Mike

Gast

Beitrag von Gast » 06.12.2005 20:28

Hi Mike,

Bekannt ist ja sicherlich die berühmte Pressekonferenz mit dem Versprecher Günther Schabowskis 'Ja, äh, nach meiner Kenntnis ist dies, sofort, unverzüglich' und der dadurch ausgelöste Run auf die Übergangsstellen. Die erste Grenzübergangsstelle, die damals alle Kontrolle einstellte war Bormholmer Straße in Berlin. Dies geschah, laut Filmdokumentationsmaterial von Spiegel TV in das eine Standuhr eingeblendet ist, um 23:22.
Alles nachzulesen bei Hans Hermann Hertle.

Erhöhte Gefechtsbereitschaft wurde am 10.11.1989 gegen 01:30 Uhr für das Grenzkommando Mitte ausgelöst, jedoch nach wenigen Stunden wieder aufgehoben.

Am Morgen des 10.11.1989 hatte Generalsekretär Egon Krenz eine operative Sicherungsgruppe gebildet, in der für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) Generaloberst Rudi Mittig, Stellvertreter des noch amtierenden Ministers Mielke, und für das Ministerium für Nationale Verteidigung (MfNV) der Minister Heinz Keßler sowie der Chef des Hauptsstabes der NVA Generaloberst Fritz Streletz vertreten waren. Streletz löste am 10.11. gegen 13:00 Uhrtelefonisch für die 1. Motorisierte Schützendivision (1. MSD) sowie das Luftsturmregiment 40 erhöhte Gefechtsbereitschaft aus. Welche Zielstellung dieser Befehl hatte ist bisher weitgehend nebulös geblieben, Streletz hat aber in der Folge vehement bestritten, dass jemals die Absicht bestanden hätte, die Grenzen durch militärischen Einsatz wieder zu schließen. Er betont vielmehr, dass die Soldaten, wenn überhaupt, dann nicht mit schwerem Gerät, sondern mit polizeitypischen Einsatzmitteln entfaltet werden sollten, wie dies bereits im Oktober am Dresdner Hauptbahnhof geschehen war.

Für die GSSD galt bisher, dass die Truppen in ihren Objekten geblieben wären. Nachgewiesen sind sogar Bitten der SED Bezirksleitung Leipzig an die zuständigen sowjetischen Führungsebene, auf Truppenbewegungen im Rahmen von Übungen zu verzichten, weil dies von der Bevölkerung missdeutet werden könnte.

Den Zeugen halte ich für glaubwürdig. Er spricht sehr gut russisch und hatte / hat gute Kontakte dorthin. Der Zeitzeuge verweist auch auf ein Gespräch, das er in diesem Jahr mit Streletz geführt hätte, wobei dieser bestätigte, dass sowjetische Truppenteile an der Westgrenze der DDR disloziert waren.

Wenn es aber derartige Dislozierungen an der Grenze tatsächlich gegeben haben sollte, dann sind diese sicher auch von westlicher militärischer Seite aufgeklärt worden. Da entsprechendes Archivmaterial klassifiziert sein dürfte, auf russischer und westlicher Seite, bleibt nur die Hoffnung, dass es Veteranen oder Ehemalige gibt, die auskunftsfreudiger sind.
Dass Auskünfte von Zivilisten (Anwohnern) weiterhelfen, bezweifle ich. Diesen dürfte es schwerfallen sowjetische Truppen, die in einer Stellung liegen, von solchen der NVA oder der Grenztruppen zu unterscheiden.


Joachim

RADOM

Beitrag von RADOM » 06.12.2005 21:10

hallo,
die oben beschriebene gefechtsbereitschaft von wtg/gssd- kräften halte ich für eine legende und hat es zumindest im ga dömitz/wittenberge nicht gegeben. wahrscheinlicher ist eher eine verstärkung der objaktsicherungsmaßnahmen durch wtg/gssd.
gruß
radom dersichnochsehrgutan750gambiterinnernkann

hollihh
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Re: Dislozierungen sowjetischer Truppen am 10.11.1989

Beitrag von hollihh » 07.12.2005 08:47

joachim hat geschrieben:
2. Dass es sich bei diesen Truppen um die Grenzssicherungsbataillone der WGT handelte, war die Antwort von GO Streletz auf meine Frage an ihn in Wünsdorf.

3. Dass es sich dabei nicht eventuell auf eine Übungssituation handelte, ist ausgeschlossen,dies zeigte mir der Status der Waffen.

Da die Schußsektoren jedoch alle ausschließlich nach Westen wiesen, gehe ich mal davon aus, das diese Aktion weniger den Demonstranten galt, als eher unangenehmen Überraschungen aus westl. Richtung verhindern sollte.[/i]
Hallo Joachim,

ich will nicht ausschließen, daß in der der etwas unübersichtlichen und hektischen Lage damals der ein oder andere Kommandeur vielleicht etwas zu sehr "gezuckt" bzw. überreagiert hat. Voreilender Gehorsam ist ja wohl auch '68 bei der Krise in der Tschechoslowakei im Westen passiert - da lagen einige EInheiten wohl auch schon aufmunitioniert in den GDP Räumen....

Schußsektor Richtung Westen macht dann natürlich auch Sinn.

Was meint der Augenzeuge denn mit Status der Waffen bzw. wie war denn der Unterschied Übung/Ernstfall ? Interessant wäre es auch zu wissen, welche Art Einheit und welche Einheitsgröße, welche Fahrzeuge dort "eingegraben" waren - Aufklärer ? Wenn es Kompaniestützpunkte gab, muß es ja wohl mindestens ein Bataillon bzw. Regiment gewesen sein.

Wenn es außergewöhnliche Truppenbewegungen gab, sind die mit Sicherheit aufgeklärt worden und es hätte eine "Reaktion" seitens der NATO gegeben. DIe Situation ist damals sehr sorgfältig beobachtet worden.

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Beitrag von Christel » 07.12.2005 13:56

Hi Joachim,

wenn ich Dich richtig verstanden habe bezeichnest Du mit "Grenzkommando - Mitte" NVA Streitkräfte richtig?
Ich glaube nicht, dass es NVA oder SED möglich war die GSSD Kräfte weder in Bereitschaft zu versetzen, oder diesen Vorschriften / Anweisungen in irgendeiner Form zu erteilen. Die GSSD Kräfte erhielten ihre Weisungen vermutlich nur vom eigenen Oberkommando.

Dies könnte man eventuell noch mal bei Zeitzeugen erfragen.

Gruß, Christel

Gast

Beitrag von Gast » 07.12.2005 14:58

Hallo Christel,

Das Grenzkommando Mitte gehörte zu den Grenztruppen der DDR, diese waren formal seit den 1970er Jahren nicht Teil der NVA, aber dem Ministerium für Nationale Verteidigung unterstellt.

Die GSSD Truppen nahmen nur Anweisungen ihrer eigenen Kommandoebenen entgegen, das ist korrekt.

Der Zeitzeuge berichtet auch, dass die entsprechenden GSSD Einheiten vorbereitete Stellungen zur gefechtsmäßigen Sicherung der Grenze bezogen hätten, ohne vorherige Unterrichtung des NVA Hauptstabes. Diese Stellungen waren vorher zur Grenzsicherung festgelegt worden. Diese Grenzsicherung wäre normalerweise im Zusammenwirken mit Einheiten der Grenztruppen und solchen der NVA erfolgt. In der Nacht des 9.11.1989 erfuhr der zuständige Verteidigungsminister Keßler auf der Kollegiumssitzung in Straußberg erst um ca. 22:30 von Schabowskis Pressekonferenz und dem Run auf die Übergangsstellen. Er forderte seinen Chef des Hauptstabes Generaloberst Streletz daraufhin auf, bei Mielke Rücksprache zu halten, dieser war aber nicht zu erreichen; auch Innenminister Dickel wurde nicht erreicht. Der Chef der Grenztruppen Baumgarten erreichte erst um 24:00 seinen Gefechtsstand im Kommando der Grenztruppen in Pätz. Vorher waren Streletz und Keßler auf der 10. ZK Sitzung, die bis 20:45 dauerte. Die Grenztruppen und PKE- Einheiten öffneten die Übergangsstellen auf eigene Verantwortung. Es gab keinen Befehl zur Öffnung der Grenze.

Joachim

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Beitrag von MikeG » 07.12.2005 15:14

Hi!
Das hört sich ja alles ganz plausibel an - ich bin aber immer sehr vorsichtig, wenn meine einzige Quelle für etwas ein Zeitzeuge ist. Aber ich nehme an, daß es Dir genauso geht und Du deshalb die Frage gestellt hast.

Ich schrieb weiter oben von den Anwohnern - die mögen zwar militärisch keine Ahnung haben - Panzer im Grenzgebiet und das gerade an diesem Tag würden die meisten aber wohl erinnern. Das wäre dann zwar kein Beweis, aber zumindest ein Indiz dafür, daß der Zeitzeuge Recht haben könnte. Und das ist schon mehr, als wir jetzt haben.


Darüber hinaus wäre es auch für andere, weiterführende Recherchen mehr als hilfreich, wenn der Zeuge den geogr. Bereich nennen könnte, auf den er sich bezieht. Nebenbei würde das auch ja u.U. auch die Glaubwürdigkeit erhöhen bzw. die Behauptung möglicherweise entkräften.


Mike

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kuhlmac
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Beitrag von kuhlmac » 07.12.2005 16:55

Naja,
ich denke, die Argumente sind doch recht treffend beschrieben.

Ohne das das jetzt VS NfD wäre:
Kann aber bestätigen, das die Amis bei uns dann doch in dieser zeit seeehr nervös waren und erhöhte Aufmerksamkeit walten leissen. Ich kann mich (wie viele wohl) noch an den besagten Donnerstag abend erinnern, da ich da gegen 16.30 Uhr die Kaserne verlies. just an diesem WE hatte ich einen tag dienstausgleich bekommen, und als ich am Sonntag abend reichlich verwirrt und freudig erregt wiederkam, war die Kaserne etwas besser bewacht und bestückt. Die Amis, so sagten unsere KvD, waren fast durchgängig nervös und erhöht in Bereitschaft gewesen. Und auch beim Montagmorgenappell mit unserem Major haben wir dann zu hören bekommen, daß wir die nächsten Tage noch mit sowas zu rechnen haben, und möglichst dem UvD unser Ausgangsziel hinterlassen sollten und die Telefonnummer..... War "eigentlich" buissiness as usal, aber mit nervösen und erhöt aufmerksamen Amis, und das hatte nach damaligen Aussagen mit dem "gegenüber " zu tun....

Aber die Hintergründe der Threads würden mich natrülcih brennend interessieren.

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Beitrag von EricZ » 07.12.2005 17:46

Moin Radom,
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Was war das? Kann ich leider nichts mit anfangen.

Grüße, Eric
And I'm hovering like a fly, waiting for the windshield on the freeway...

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