Kraftwerk Schilling Stade

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Toliman
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Re: Kraftwerk Schilling Stade

Beitrag von Toliman » 03.10.2020 03:30

Wie regulär war diese Plattform geöffnet? Hätte man nicht aus den Kamin einen Aussichtsturm machen können?

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Re: Kraftwerk Schilling Stade

Beitrag von Fernsehturm » 03.10.2020 09:34

Das weiss ich leider nicht.

Es gab zumindest eine kleine Initiative in der ersten Hälfte der 1990er, zumindest den Schornstein als Industrie-Denkmal vor dem Abriss zu retten. Spontan glaube ich, dass die heutigen Anforderungen gegen eine Nutzung als Aussichtsturm sprechen. Es gab zum Beispiel keine Treppe zur Plattform in 200 m, sondern nur zwei Fahrstühle.

Ich werde die Tage mal einen Artikel recherchieren und weitere historische Informationen hier aufgebreitet reinschreiben. Hier geht es zum Beispiel auch darum, welche damaligen Forderungen erst dazu führten, dass der Schornstein so ausgeführt wurde. Der Schornstein war ein bemerkenswertes Bauwerk.

Grüsse

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Re: Kraftwerk Schilling Stade

Beitrag von Fernsehturm » 03.10.2020 17:58

NWK.jpeg
Foto: Gescannt von einer Broschüre der NWK

Wie zugesagt, habe ich mir einen mehrseitigen Artikel über den Schornstein des Kraftwerks Schilling durchgelesen und mache mir die Mühe, hier diesen Thread mit ein paar interessante Fakten zu ergänzen.

Das Kraftwerk Schilling wurde zwischen 1959 und 1963 errichtet, der Schornstein war aber schon mindestens bis Ende 1961 fertiggestellt, da dieser Schornstein die Sturmflut 1962 unbeschadet überstand.

Das Kraftwerk besaß drei 125-MW-Blöcke und und wurden mit "Bunker C Öl" befeuert. Die Entscheidung zugunsten dieser Befeuerungsart lag in der sehr günstigen Beschaffung dieses Öls, da Raffinerien und Lagerstätten recht nah vorhanden waren.

Die für damalige Zeit ungewöhnliche Höhe des Schornsteins wurde damit begründet, dass dieses Kraftwerk in einem der größten Obstanbaugebiete stehen würde und hier verhindert werden sollte, dass die Obstbaumkulturen durch die schwefelhaltigen Abgase Schaden nehmen. So wurde ermittelt, dass der Schornstein mindestens 200 m hoch sein müsste, um diese Forderung zu erfüllen (und die Abgase zu verteilen/geographisch zu verlagern).

Der Kraftwerksbetreiber entschied sich dann für einen 220 m hohen Schornstein.

Der "Stahlstützturm-Schornstein" sollte folgende Rahmenbedingungen erfüllen:

- Drei Rauchgasrohre sollten separat durch ein einziges Traggerüst getragen werden werden

- Reparaturen an einem Rauchgasrohr sollten durchgeführt werden können, während die anderen beiden normal weiter betrieben werden

- Die Reparaturen sollten zügig und unkompliziert erfolgen können, somit keine tragenden Bauelemente darstellen

- Die Konstruktion sollte ohne Abspannseile auskommen

Selbstverständlich wurde überlegt, ob nicht ein Stahlbeton-Schornstein praktikabler wäre. Die damals geringeren Kosten für nahtlose Stahlrohre erschienen dennoch attraktiv, aber gleichzeitig war man sich bewusst, dass das Problem von Korrosion innerhalb der Rohre bislang nicht ganz unterbunden werden konnte. Aus Sicherheitsgründen entschied sich der Bauherr deshalb für eine "von allen Seiten zugängliche Profilstahlkonstruktion in geschweißter Ausführung".

Der Stahlturm selber war 200 m hoch. Überragt wurde diese Konstruktion durch die 20 m höheren Rauchgasrohre, wo mit ca. 25 m pro Sekunde die Abgase heraustraten. Der Grundriss entsprach einem gleichseitigem Dreieck mit Eckstielen, die einen Abstand von 40 m voneinander hatten und sich parabelförmig nach oben auf 7 m Seitenlänge verjüngten. "Knickpunkte" innerhalb der Parabelform befanden sich in 30, 70, 110 und 150 m Höhe. Hier sind auch Hauptwartungsbühnen verbaut worden, wo sich an den Eckseiten (außer auf 30 m) auch rote Warnbefeuerungen befanden.

Diese Bühnen und weitere Zwischenbühnen in 50, 90, 130 und 175 m Höhe stützten die Rauchgasrohre (Durchmesser 3 m) u.a. seitlich ab.

Ab einer Höhe von 110 m war der Turm im Interesse der Flugsicherheit rot/weiss gestrichen unterhalb von 110 m wurde vorgeschrieben eine graue Farbe aufgetragen, um der Forderung der Schifffahrt zu entsprechen.
Die Auslenkung des Schornsteins durch Windbelastung wurde mit ca. 1,20 m in 200 m Höhe berechnet. Gegründet wurde der Schornstein auf Pfählen. Fünfzig jeweils 20 m lange Pfähle unter jedem Eckpfeiler verankerten den Turm und nahmen die enormen Druck- und Zugkräfte durch Wind auf.

Die schon erwähnte Aussichtsplattform befand sich in 200 m Höhe und hatte einen festen, nicht durchsichtigen Boden (keine Gitterroste). Das Geländer war 2,50 m hoch und bestand im unteren Teil aus engem Maschengitter, im oberen Teil aus Gitter mit größerer Maschenweite. Gegen Suizidversuche wurden an der oberen Kante mehrere Stacheldrahtreihen installiert. Nutzen Personen den Aufzug, betrat man zuerst ein Wetterschutzhaus und erst danach die offene Aussichtsplattform, die einen "fantastischen Ausblick" bot (Altes Land, Elbe mit Schiffsverkehr, nach Osten Richtung Hamburg bzw. bis fast nach Cuxhaven nach Westen).

Drei rot blinkende Gefahrenfeuer auf Höhe dieser Plattform warnten den Flugverkehr bei Dunkelheit und/oder schlechter Sicht vor dem Hindernis.

Sämtliche andere Bühnen waren nicht für den Publikumsverkehr vorgesehen und dienten alleine der Wartung des Bauwerks bzw. Zugänglichkeit aller Bereiche.

Leitern oder Treppen gab es nicht, ein normaler Aufzug beförderte bis zu 8 Personen. Die Aufzugsmaschine befand sich in 210 m Höhe und stellte den Abschluss des Aufzugsrohrs dar, welcher genau in der Mitte zwischen den drei Rauchgasrohren installiert war und 2,30 m Durchmesser hatte. Ein zusätzlicher Notaufzug für 2 Personen konnte bei Bedarf auf jeder Höhe neben den Hauptaufzug halten und ein Überwechseln zwischen den beiden Aufzügen ermöglichen.

Die Bauzeit des Schornsteins betrug erstaunlicherweise nur vier Monate und wenngleich es vielen nicht bekannt ist, stellt dieser Schornstein eine beeindruckende Konstruktion dar. Bei der ersten Revision wurden keinerlei Schäden festgestellt.
Regional war dieser Schornstein eine weithin sichtbare Orientierungsmarke und für kurze Zeit wohl das höchste freistehende Bauwerk Norddeutschlands.

Die beiden Tragmaste der zwischen 1959 und 1962 errichteten Elbekreuzung 1 sind jeweils 189 m hoch, ab 1967 wurde dann der Hamburger Fernsehturm mit 271,5 m höchstes freistehendes Bauwerk. Die zwischen 1976 und 1978 errichtete Elbekreuzung 2 weist zwei Tragmaste mit einer Höhe von jeweils 227 m auf und überragten somit den Schornstein um 7 m.

Ich gehöre zur kleinen Gruppe von Menschen, die sich gewünscht hätten, dass ein solches Bauwerk als Industriedenkmal vor dem Abriss hätte gerettet werden können. Vielleicht hätte dieser Schornstein anderweitig genutzt werden können, als Sendeträger für Mobilfunk, für Rundfunk, als "Wettermast" etc..

Es gibt genug Beispiele (auffallend im Ausland), wo sogar "gewöhnliche" Kraftwerke letztlich dann doch unter Denkmalschutz gestellt wurden. da zum Beispiel so ein Kraftwerk eine prägende Landmarke darstellt und die Bevölkerung den Erhalt wünschte. Neben dem Kraftwerk Schilling fällt mir spontan das 2004 abgerissene Erdgaskraftwerk Hamburg-Moorburg aus den 1970ern an, welches mit ihren beiden Kesselhäusern und dem 256 m Schornstein eine dominierende Landmarke darstellte.

Lieben Gruss
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