Strontianitbergbau im südlichen Münsterland

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Strontianitbergbau im südlichen Münsterland

Beitrag von Heimatverein-Sendenhorst » 03.01.2015 12:11

Der Strunz - Goldrausch in der 1880er Jahren

Im südlichen Münsterland gibt es ein großes Strontianit-Vorkommen, "das - bisher einzigartig in der ganzen Welt - die Grundlage eines umfangreichen, ausschließlich darauf gerichteten Bergbaus bildete" (Menneking 1974). Ende des 19. Jahrhunderts kam es im südlichen Münsterland zu einem wahren Goldrausch, als man den Wert des Fundes erkannte. Warum gerade hier das weltweit grüßte Vorkommen an Strontianit auftritt, ist bis heute nicht genau zu erklären.

Im Verlauf des "Goldrausches" wurden Dutzende von Schächten bis zu 100 Meter tief in den Boden getrieben. Insgesamt arbeiteten mehr als 700 Bergwerke verschiedenster Größe, von 2 - 100 Bergleuten.
Der Schwerpunkt lag bei den Nachbarorten, besonders Drensteinfurt, Vorhelm, Ascheberg. Jedoch gab es auch in Sendenhorst und dem Kirchspiel einige Gruben. Heute sind noch teilweise die Abraumhalden, die so genannten Mergelberge zu sehen. Einer der größten Abraumhalden ist noch heute südlich von Vorhelm Richtung Ahlen zu sehen, die Alwine. Aber auch rund um Sendenhorst sind noch Abraumhalden und Feuerlöschteiche zu finden, die von dem Bergbau zeugen.
Bild: rosa Strontianit, Fundort: Langst, Ahlen, 1974
Über den „Strunz“
Strontianit ist eine Verbindung von Strontium und Kohlensäure. Mit Hilfe des Materials konnte in der Zuckerindustrie die Ausbeute von Zucker aus Zuckerrübenbrei erhöht werden.
Bei der Zuckergewinnung aus Zuckerrüben fällt ein dunkelbrauner, unangenehm riechender und schlecht schmeckender zäher Sirup an, die Melasse. Sie enthält noch 50% Zucker, der aber nicht mehr auskristallisiert. Deshalb hatte man schon lange nach Methoden gesucht, den "Restzucker" aus der Melasse zu isolieren. "Dies war besonders in jenen Ländern ein Problem, in denen die Zuckersteuer nicht an der tatsächlichen Zuckerproduktion bemessen wurde, sondern an der Menge der verarbeiteten Rüben, wie dies zum Beispiel in Deutschland und Österreich-Ungarn der Fall war. Jede Steigerung der Zuckerausbeute bedeutete hier in zweifacher Hinsicht Gewinn" (Gesing 1995).
Mit dem Strontianitverfahren, das 1871 erfunden wurde, setzte der Strontianit-Abbau richtig ein und trotzdem konnte der Bedarf der Zuckerindustrie kaum gedeckt werden.
Strontianit wird noch in weiteren Produkten verwendet, z.B. für Feuerwerk.
In H. Petzmeyer’s Stadtgeschichte ist zu lesen:
„Anfänglich hatten die Bauern den »Strunz« oder Silberstein im Tagebau, mit Handbohrern, ohne Einsatz von Maschinen gewonnen. Seit 1872 besorgte die Dessauer Aktien-Zucker-Raffinerie den Abbau in regelrechten Tiefbauanlagen. Auch rund um Sendenhorst trieben die Strontianitbergleute ihre Stollen in die Tiefe.
1881 erhielt die Magdeburger Strontianit Bergbau Gesellschaft die Genehmigung, eine Lokomobile im Sendenhorster Stadtgebiet zum Einbringen eines Schachts aufzustellen (wahrscheinlich östlich Hoetmarer Straße).“ Hier, an der heutigen Straße zum Mergelberg auf der Kreuzung Schörmelweg, sind die Reste der größten Sendenhorster Grube in Form von Absperrungen zu erkennen. Hier die Ausmaße der Grube bei Stilllegung 1883:
Die Schachtteufe beträgt 42m. Die Grube besteht aus zwei Maschinenschächten von 42m Teufe, einem Luftschacht von 40m Teufe und 4 Luftschächten von 25m Teufe.

1.Sohle(10mTeufe) bis März 1882 ca. 200m Strecken
2. Sohle (15m Teufe) 1880 ca. 110m
3. Sohle (25m Teufe) Mdrz 1882 ca. 420m
4. Sohle (40m Teufe) Mürz 1882 ca. 156m
Etwa 90m nordöstlich des Maschinenschachtes 11 befindet sich ein Versuchsschacht von 8 m Teufe und 20m Streckenlänge.
„Im Westen Sendenhorsts, auf der Albersloher Grenze, betrieb die Firma Dr. H. Reichardt die Förderung von einem Schacht beim Hof Borgmann. Vom Schacht Borgmann lief eine Schmalspurbahn nach Süden über Furskenwiese, Markesheide und Friedhoff (Schulze Bernd) zur Chaussee Drensteinfurt-Sendenhorst.

Weitere Strontianitgänge wurden in der Bauerschaft Bracht, insbesondere südlich der Kirchspielslandwehr*), angelegt.“ *) Kirchspielslandwehr = Aus dem Mittelalter, südlich von Sendenhorst gelegener dornenbewachsener Wall mit Graben. Diente in früheren Zeiten zur Abwehr von Feinden, heute noch deutlich in der Landschaft zu erkennen.


So z.B. auf der Straße „zum Hagen“. Dort ist ebenfalls ein Mergelberg mit Feuerlöschteich zu erkennen.“
In einer Meldung von 1881 ist zu lesen:
„.. sind auf den Schächten Heumann 1/11 (Bracht) und Ostfeld sowie auf einigen Tagebauen in Sendenhorst sind beschäftigt I Obersteiger, 2 Oberhauer, 36 Hauer und 60 Arbeiter beschäftigt.“
Auf dem Höhepunkt der Strontianitförderung zog es zahlreiche Facharbeiter (Bergleute) in die Kreise Beckum und Lüdinghausen, dem Hauptfördergebiet des Strontianit. Auch in Sendenhorst nahmen einige Bergleute Quartier, unter ihnen Evangelische, für die an den Sonntagen Gottesdienste oder Bibelstunden gehalten wurden. Es waren die ersten evangelischen Kulthandlungen seit der Reformation in Sendenhorst.
Die Herren der Grubenverwaltung wohnten in Drensteinfurt. Sie waren häufig zu Gast in Sendenhorst, wie sich eine Zeitungsleserin 1953 noch gut zu erinnern weiß: »Das gesellschaftliche Leben dazumal in Sendenhorst, so bescheiden und einfach es war, so gemütlich und friedlich war es und in den ersten Jahren nach 1880 war es bereichert durch die Herren vom Direktorium des Strontianit-Bergbaus, die, in Drensteinfurt residierend, gern und oft das freundliche Städtchen aufsuchten.“
Natürlich brachten die neuen Einwohner auch neue Ideen und Lebensweisen mit, so dass es im gesamten Bergbaugebiet zu sozialen Verwerfungen kam. So wurde der Arbeiterschaft mehrfach Nähe zur Sozialdemokratie vorgeworfen und dies bei den zuständigen Kreisbehörden moniert.
Der Boom flaute jedoch schon Ende der 1880er Jahre schnell wieder ab, da ein Substitutionsprodukt, nämlich Strontiumsulfat, gefunden wurde, das wesentlich günstiger aus England importiert werden konnte. Somit entfiel die Zuckerindustrie als Hauptabnehmer und der Strontianitbergbau verschwand wieder.
Bild: Die Standorte Sendenhorster Gruben (soweit bekannt)

Es gab zwar Versuche, den Strontianitbergbau in Sendenhorst wieder zu beleben, die jedoch sämtlich scheiterten, da der Markt für Strontianit vollkommen zum Erliegen gekommen war. Deutlich zu erkennen: Die gerade Linie von West nach Ost im Sendenhorster Süden: Die Landwehr

Im Archiv ist folgendes zu erfahren:

1887
Antrag des Peter Reul, Sendenhorst
An: Rentmeister Reitemeier
Gesuch um Erlaubnis, auf den Besitzungen des Herrn von Heereman nach Strontianit zu schürfen. Bitte um Preisangaben
Im Erlaubnisfall möchte er gern auf Oestfeld Berg, Nähe Hof Lackenberg (Albersloh) schürfen, da dort Strontianit gefunden sein soll
... Indem ich schon längere Zeit dieses Geschäft betreibe, bin ich in der Lage, das Erz auf eine Tiefe von 10 - 25 m zu fördern. Habe Pumpen und zwei Lokomobile
Ich war früher Steiger bei den Dr. H. Reinhardtschen Gruben Borgmann
Gesuch wird abgelehnt
1909-13 Heereman
Peter Reul (vom Heeremanschen Rentmeister als ehrenwerter, rechtschaffener Mann charakterisiert) will auf Heeremanschen Grund Strontianit abbauen.
1910
Vertrag zwischen Clemens August Freiherr Heereman von Zuydwyk, Surenburg und Peter Reul zu Sendenhorst: Reul darf die Parzelle Albersloh, Sundern, durch unterirdischen Betrieb ausbeuten. Die Gesteinsmassen sind auf Schulze Alst's Grundstück abzulagern. - Abgabe von 1 Mark je Zentner
1913
endgültiger Abbruch der Ausbeutung
Die letzte Grube „Wickensack“ schließt in Drensteinfurt im Jahre 1950.
Die Gruben wurden entweder verfüllt oder als Feuerlöschteiche hergerichtet. Hin und wieder kommt es noch zu Unfällen, so versank 1970 in Vorhelm eine Kuh in einem Schacht. Diese Befürchtungen teilte bereits 1887 der Sendenhorster Gendarm und meldete:
.. daß der Schacht.. zugefüllt worden sei: 'In letzter Zeit habe ich mehrfach Bemerkungen hierüber gehört, wonach sich schließen läßt, daß Zuwerfen der Schdchte nicht genügend der Vorschrift gemäß, und nur oberflächlich geschehen sein soll. Durch Erkundungen habe ich festgestellt, daß beide Schächte eine ungeführe Tiefe von 40 Meter haben sollen, und soll der im Stadtbezirk gelegene nur auf 30 Meter von oben zugefüllt sein. Die obere Oeffnung betrug 3 Quadrat Meter Wenn auch vielleicht augenblicklich ein Nachstürzen der aufgefüll1ten Erdmassen nicht zu befürchten ist, so kann dieses doch sehr leicht in späterer Zeit zu erwarten und Unglücksfälle nicht auszuschließen sein.



Christian Hölscher
Heimatverein Sendenhorst 1925 e.V.
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Beitrag von EricZ » 05.01.2015 09:23

Moin,

nur mal zwei weitere Links zur Ergänzung zum (mir völlig unbekannten) Thema.
Sicherlich nichts Neues für Herrn Hölscher... ;)

zum Strontianitabbau im Münsterland hat auch der Landschaftverband Westfalen-Lippe Informationen ins Netz gestellt: http://www.lwl.org/LWL/Kultur/Westfalen ... itbergbau/

Zum Gold des Münsterlandes gab es 2012 auch folgenden Artikel im Westfälischen Anzeiger: http://www.wa.de/lokales/blick-ins-muen ... 64816.html

Grüße, Eric
And I'm hovering like a fly, waiting for the windshield on the freeway...

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