Munitionsfabrik und Heeresversuchsanstalt -- Muna Bodenteich

Rüstungsindustrie, Waffen- und Munitionsproduktion, Munitionsanstalten, Tanklager, Depots, U-Verlagerungen etc.
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skyper
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Beitrag von skyper » 19.10.2014 21:43

Zusammenfassung, basierend auf dem Buch „Die Heeresmunitionsanstalt (MUNA) in Bodenteich – Herausgegeben vom Förderkreis Burg Bodenteich e.V. (ISSN 1617-3791)“

Die Heeresmunitionsanstalt Bodenteich gehörte zum Feldzeugkommando XI des Generalkommandos XI in Hannover. Sie trug die Bezeichnung 9. HaMa (9. Hauptmunitionsanstalt).

Das Gelände im Wald hatte eine Größe von 243 ha, davon waren mit Gebäuden und Infrastruktur 210 ha bebaut. Beginn der Arbeiten im Jahr 1938, im Januar 1939 kam es zum stillstand des Baues. Im Laufe des Jahres 1939 wurden diese aber fortgesetzt, Richtfest war am 29.10.1940.

Das Gelände bestand aus dem geplanten, aber nicht gebauten, Wohngebiet I, dem Verwaltungsgebiet II, dem Fertigungsgebiet III und den Lagergebiet IV. Der Lagerbereich bestand aus 18 ebenerdigen großen und vier kleinen Lagerschuppen (auch als Packmittelschuppen bezeichnet). Dazu existierten 92 Munitionslagerhäuser – 36 davon als erdeingedeckte Munitionsbunker – und fünf Patronenhäuser.
Die Heeresmunitionsanstalt verfügte über einen Gleisanschluss zum Bahnhof Bodenteich und einem weit verzweigtes Schienennetz auf dem Gelände, inklusive Lokschuppen mit einer Diesellok vom Typ „V36“.

Es wurden konventionelle Granaten (nach Zeitzeugenaussage) und Infanteriemunition (Kaliber 7,9mm und 15cm) hergestellt.
In der Anlage wurde während des Krieges nur konventionelle Sprengstoffe verarbeitet. Zum Ende des Krieges kam es jedoch zur Zwischenlagerung bzw. Einlagerung von kampfstoffhaltiger Munition aus anderen Betrieben. Über die Herkunft, die Lagerzeit und den Verbleib konnte nur wenig in Erfahrung gebracht werden.

Das Codewort für die Räumung der Kampfstofflager hieß „Zunft“ – Das OKW befahl am 04.02.1945 das alle Mittel und Wege auszuschöpfen sind, um die Kampfstoffe und –munition vor Feinzugriff abzufahren.
Vorrangig sollten die Spitzenkampfstoffe (Tabun, Sarin, Soman und sonstige moderne Kampfstoffe) verbracht werden, ältere Kampfstoffe (Phosgen, Adamsit und C-Lost) durften zurückgelassen werden wenn es nicht möglich wäre sie wegzuschaffen. In diesen Fall waren die Kennzeichnungen und alle zugehörigen Papiere zu vernichten!

Am 16.04.1945 marschierten die Amerikaner in Bodenteich ein (später durch die Briten abgelöst). Kurz davor haben die letzten deutschen Truppen die Muna verlassen. Es gelang dabei nicht, die Muna komplett zu räumen, in vielen Bunkern verblieb Munition zurück.

Anmerkungen zum Gelände:
Außerhalb des MUNA-Geländegrenzen wurden 1990 noch zwei Flächen „gefunden“. Auf dienen waren Tanks von ca. 12m Durchmesser errichtet worden. Die Höhe war ca. 3m, davon ca. 1m in die Erde versenkt. Der eine Bereich mit 37 Tanks war fertiggestellt, im zweiten Bereich waren 18 fertig gebaut und getarnt, weitere elf weiter fertig ohne Tarnung und drei weitere im Bau. Was hier gelagert werden sollte ist nicht bekannt!

Südwestlich und außerhalb des Muna-Geländes befand sich gegen Ende des Krieges ein weiteres durch einen eigenen Zaun gesichertes Gelände. Dieses Gebiet ist auch auf Luftbildern von 1945 zu erkennen.
Laut Erzählungen von Zeitzeugen und aus dem Tagebuch eines englischen Soldaten sollen dort Teile von V2-Raketen gelagert haben.

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skyper
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Beitrag von skyper » 19.10.2014 21:46

Kampfstoffe und -munition in der Heeresmunitionsanstalt Bodenteich

Auszug aus [1], S.202-203
Bericht des Generalquartiermeisters des Heeres über die Sicherstellung von Spitzenkampfstoffmunition vom 14. April 1945

Bericht des Hauptmann (W) Hemmen über Sicherstellung der Spitzenkampfstoffmunition auf Transportkähnen.
Auftrag: Überprüfung der Durchführung des Führerbefehls über die Sicherstellung der Spitzenkampfstoffmunition auf Kähne. Durchführung mit Pkw.

...
4.) H.Ma.Bodenteich:
Eintreffen 10.4. 22.00 Uhr. 2 Züge in Beladung. Restl. Leermaterial war zugesagt. Hptm. (W) Hemmen hatte Eindruck, dass Abtransport gewährleistet.
...
6.) H.Ma.Bodenteich:
Eintreffen 13.4. 14.00 Uhr. Das der H.Ma zugesagte Leermaterial für (die) letzten zwei Züge war immer noch nicht zugestellt. Nach Rücksprache Hptm. (W) Hemmen mit Reichsbahnverkehrsamt Ülzen (soll vermtl. Uelzen heißen), Rb. Amtmann Wiegand, und Rb.Befehlsstelle Ülzen, Rb.Ob.Rat Augustin, ist Gestellung von Leermaterial z.Zt. unmöglich, da im Raum Ülzen kein Leermaterial vorhanden und Zuführung durch Streckenstörung unterbrochen.

Ursache der Streckenstörung dürfte die Explosion eines Munitionszuges (drei Waggons Pulver) auf dem Bahngelände im Bahnhof Bodenteich am 25. März 1945 gewesen sein. [2] Das Gleis der H.Ma. mündete vor dem Bahnhof in die Strecke Richtung Wieren.

Auszug aus [3], S. 44-45
Nach dem Bericht vom Hptm. Hemmen an den Generalquartiermeister Toppe (am 15.4.) geht hervor, das keine weiteren Informationen zu den letzten zwei Zügen aus Bodenteich vorliegen.

Der Einmarsch der Amerikaner in Bodenteich erfolgte einen Tage später am 16. April 1945. [2]

Auszug aus [3], S. 102
Im April 1945 lagerten ca. 4500t Tabun und Sarin zum Abtransport bereit. Ob ein vollständiger Abtransport erfolgte ist nicht bekannt, die Briten fanden nur etwa 3000t Kampfstoffmunition vor.
Ob die späteren Funde konventioneller und chemischer Munition auf dem Gelände auf Vergrabungen der Wehrmacht oder den Demontagearbeiten der Briten zurückzuführen sind, ist unklar.

Munitionsräumung [4]
Die Räumung der H.Ma. erfolgte nach Übergab an die Briten im Juni 1945 in den folgenden zwei Jahren unter ihrer Aufsicht statt.
Am 27.11.1951 begann der Aufbau des BGS-Standortes Bodenteich unter Übernahme eines großen Teils ehemaligen H.Ma. Geländes. Danach begann dann die Munitionssuche durch deutsche Stellen. Die Suche nach vergrabener Munition unter Aufsicht der Briten wurden in den Akten als „nicht unbedingt sehr systematisch bezeichnet“.
Aus dem Sicherheitsplan Bodenteich von 15.05.1992 gehr hervor, dass im Jahre 1952 erstmals Kampfstoffmunition gefunden wurde.
Beim Tiefpflügen im Zuge von Forstarbeiten im Jahre 1982 auf dem BGS-Übungsgelände wurden 4 Granaten mit Kampfstoffen gefunden, nach weiteren Testsondierungen wurden weitere 28 Kampfstoffgranaten in 1-1,5m tiefe gefunden.

Seit 1983 waren deshalb der Kampfmittelräumdienst und der BGS zur weiteren Suche im Einsatz. In BGS-Berichte wird für die Jahre 1983 – 84 ein Suchzeitraum von 63 Wochen genannt und neben „Kleinkram“ ca. 65 sehr gut erhaltene Granaten gefunden wurden, davon 42 mit Kampfstoffen gefüllt.

Die entgültige systematische Räumung des Geländes erfolgte dann in den 90er Jahren (1991 – 1997) und beinhaltete neben der Suche und Entmunitionierung auch die komplette Einebnung aller noch vorhandenen Bunker, Zisternen, Wälle und Wege.
Auch hier wurde wieder Kampfstoffe (Glasflaschen mit Lost und Granaten) gefunden.


[1] „Chemische Kriegsführung – Chemische Abrüstung“
Dokumente und Kommentare
Hans Günter Brauch und Rolf-Dieter Müller, Hrsg. 1985

[2] http://www.samtgemeinde-aue.de/desktopd ... ead-39663/

[3] „Tödliche Gefahr aus der Tiefe“
Andreas Oberholz, 1. Auflage 1991 – Düsseldorf

[4] Die Heeresmunitionsanstalt (MUNA) in Bodenteich
Herausgegeben vom Förderkreis Burg Bodenteich e.V. (ISSN 1617-3791)

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Beitrag von skyper » 19.10.2014 21:51

Neben dem Buch, [2]Die Heeres... habe ich mir die beiden Bücher [3][4], welche auch im Literaturverzeichnis genannt sind, besorgt. Beide befinden sich im Bestand der HSU-Bib in Hamburg und können dort ausgeliehen werden.
Sie geben einen guten Ein- und Überblick über chemische Kampfstoffe und dadurch entstandenen Rüstungsaltlasten wieder.

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