Prager Frühling 1968: Ausgabe scharfer Munition beim Bund?

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Deichgraf63
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Prager Frühling 1968: Ausgabe scharfer Munition beim Bund?

Beitrag von Deichgraf63 » 07.11.2013 14:34

Noch eine für mich glaubhafte Geschichte von einem guten Bekannten von damals. Der diente 1968 beim Raketenartilleriebataillon 650 in Breitenburg-Nordoe bei Itzehoe. Bewaffnung war die Sergeant Rakete, das Sonderwaffenlager dazu befand sich im Wald bei Kellinghusen.
Nach dem Einmarsch der Russen in der Tschechoslowakei wurde an die Truppe "scharfe Munition ausgegeben", erzählte er später. Es wurde wohl damit gerechnet, dass es kurzfristig zu einem Einsatz kommen konnte. Auf alle Fälle soll da eine ziemlich gedrückte Stimmung geherrscht haben. Der Informant wechselte dann später auch zum Deutschen Wetterdienst.
War das damals wirklich so "knapp"? Gut, man konnte nicht wissen, ob der Russe nicht gleich weitermarschiert. Der "Atomhammer" scheint damals aber sehr locker gehangen zu haben.

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zulufox
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Beitrag von zulufox » 07.11.2013 23:06

Hallo Deichgraf,

mal nachfragen bei dem Informanten, welche Art "scharfer Munition" ausgegeben wurde.

Nukleare Gefechtsköpfe blieben bis zur endgültigen Freigabe durch die dafür zuständigen Stellen (NATO und US-Präsident) in amerikanischer Hand und US-Verantwortung.

Tatsache ist:
1. ein etwas übereifrig reagierender Bataillonskommandeur des deutschen Heeres, den nach den ersten Nachrichten über den Einmarsch der Staaten des Warschauer Vertrages in die CSSR eigenmächtig sein Bataillon in Alarmzustand versetzte, war danach nicht mehr lange Kommandeur.

2. In der auf den Einmarsch folgenden Woche wurde der Bereitschaftsstatus der NATO und damit auch der der Bundeswehr angehoben.

Den Urlaubsschein, der mich kurz darauf doch von dieser Bereitschaft befreite, den habe ich heute noch.

MfG
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Beitrag von Deichgraf63 » 08.11.2013 10:12

Das war meiner Erinnerung nach für die Handfeuerwaffen. Derartige Einheiten wären ja nicht in der Kaserne geblieben, sondern hätten vorher festgelegte Stellungen eingenommen. Scharfe Munition hatte sonst nur der Wachdienst, aber auch nicht immer. Zu den Feiertagen wurde nach Aussage meiner Bekannten nur Übungsmunition ausgegeben, weil es schon zu oft Suizide gegeben hatte. Wurde damals mit "den Moralischen kriegen" umschrieben.
Ich denke, das war eine Vorbereitung, um bei Bedarf sehr kurzfristig ausrücken zu können. Anders als bei Übungen wären die Einheiten regulär bewaffnet gewesen.
Dazu passt auch, dass die durchbrechenden Streitkräfte des Ostens damals konventionell kaum aufzuhalten gewesen wären.

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Beitrag von Djensi » 08.11.2013 11:37

Deichgraf63 hat geschrieben:Das war meiner Erinnerung nach für die Handfeuerwaffen. Derartige Einheiten wären ja nicht in der Kaserne geblieben, sondern hätten vorher festgelegte Stellungen eingenommen. Scharfe Munition hatte sonst nur der Wachdienst, aber auch nicht immer. Zu den Feiertagen wurde nach Aussage meiner Bekannten nur Übungsmunition ausgegeben, weil es schon zu oft Suizide gegeben hatte. Wurde damals mit "den Moralischen kriegen" umschrieben.
Ich denke, das war eine Vorbereitung, um bei Bedarf sehr kurzfristig ausrücken zu können. Anders als bei Übungen wären die Einheiten regulär bewaffnet gewesen.
Dazu passt auch, dass die durchbrechenden Streitkräfte des Ostens damals konventionell kaum aufzuhalten gewesen wären.
Moin Deichgraf63,

das dem Wachpersonal nur Üb-Mun ausgegeben wurde, höre ich zum ersten Mal. Da möchte die Angaben Deines Bekannten absolut in Zweifel ziehen. Ich war ja nun auch bei dem "Laden" und wie soll ich denn bitte als Bewach-Soldat mein Leben und die Sicherheit des Standortes/Objektes gewährleisten, wenn ich nur Üb-Mun erhalte? Halte ich echt für Quatsch.

Grüße
Djensi

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Beitrag von MikeG » 08.11.2013 13:02

Moin!

Wie ich bereits andernorts schon unendlich oft schrieb: Zeitzeugenaussagen sind interessant und durchaus wertvoll, aber mit extremer Vorsicht zu genießen und möglichst immer durch andere Quellen (nicht Zeitzeugen) zu überprüfen, bevor man sie als Fakt annehmen kann.

Mike

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Beitrag von zulufox » 08.11.2013 14:08

Auch Moin!

Also nochmals:

Erhöhung der Bereitschaftsstufe kann in der niedrigsten Stufe bedeuten: Sofortige Abmarschbereitschaft herstellen.
in der nächsten Stufe heißt es dann schon: Sofort einsatzbereit in die bekannten Bereitschaftsräume verlegen.

Ausgabe nur von Platzpatronen bei Wochenendwachen ist purer Quatsch. Zum einen, wie soll der Wachsoldat in dem Fall eventuell seinen Auftrag erfüllen UND: Man kann auch mit Platzpatronen Selbstmord begehen (leider selbst erlebt). Wie das geht, das hat hier nichts zu suchen, sorry.

MfG
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Beitrag von Shadow » 08.11.2013 14:52

Ich glaube, wir sind hier in Utopia schon ganz gut aufgehoben.

Jetzt haben wir hier allerdings zwei Dinge auf dem Tisch. Zweifelsfrei kann man sich auch mit den von Zf genannten Platzpatronen tödlich verletzen. Zu dieser Munition gehört dann auf der Waffe (mindestens beim G3/Uzi) aber das weithin sichtbare Manöverpatronengerät. Dann kann man die Wache gleich mit Wattebäuschen werfen lassen. Das ist ungefähr genauso abschreckend. Oder die bösen Gestalten lachen sich bei dem Anblick einfach tot.

Deichgraf schrieb von Übmunition. Ich bin mir nicht sicher, ob er den Unterschied zwischen Übmun und Platzpatronen/Manövermunition kennt. Bei Übmun gehe ich von DM18 (zweites Bild Nr.5) aus.

Eine Patrone, die ein Plastikgeschoss verschiesst und mit der ich in meiner Wehrdienstzeit die ersten scharfen Schüsse aus dem G3 auf der Schiessbahn abgegeben habe. Diese an Feiertagen an die Wache auszugeben, weil man damit Suizide verhindern will, naja klick.

Thorsten.

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Beitrag von zulufox » 08.11.2013 15:08

Hi Thorsten,

die DM 18 (und den dazu notwendigen leichteren Verschluss für das Gewehr G3) gab es nur 1968 noch nicht :mrgreen: , die wurden erst Jahre später eingeführt.

MfG
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Beitrag von Shadow » 08.11.2013 15:12

@Zf: wie gemein. Jetzt erklärst Du einfach meine Munition, mit der man vielleicht noch ansatzweise einen Wachauftrag hätte erfüllen können für zum fraglichen Zeitpunkt für nicht existent. Wie bitte sollen wir denn hier aus dem Utopia rauskommen? :mrgreen:

Thorsten.

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Beitrag von Deichgraf63 » 08.11.2013 19:48

Bitte mal die Zeit 35 oder 40 Jahre zurückdrehen. Die Kriegsdienstverweigerung war damals noch ein Spießrutenlauf (habe ich selbst erlebt)und manch einer ging dann lieber doch zum Bund. Die Ausbildung und der Einsatz erfolgten oft weit weg von der Heimat, Fahrt nach Hause war mit der Bahn auch nicht so zügig möglich, wie heute. Dazu kam der damals wahre Spruch, dass man beim Bund wenigstens das "Saufen" lernen würde. Alkohol und oft auch gewisse "Pillchen", wie AN1 waren oft der Seelentröster bei den jungen Männern. Freundin zu Hause usw., das ging sicher manch einem stärker auf das Gemüt, als es erträglich war. Durch Suizid bei den Streitkräften gefährdet sind vor allem junge Leute bis 24 und die "Neuanfänger", sagen Statistiken. Vor diesem Hintergrund sind die damaligen Aussagen meines Freundes absolut glaubhaft. Kann sein, dass ein Vorgesetzter aus Fürsorge hier eigenmächtig handelte und es solche Dienstanweisungen nie gab. Es handelte sich um das normale Kasernengelände in Kellinghusen. Beim Sonderwaffenlager (äußerer Ring Sicherung Bundeswehr) gab es so etwas natürlich nicht, da wurden schon mal Wildschweine als "Eindringlinge" abgeknipst, sicher dort kein angenehmer Job.

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