Munitionsfabrik Bielefeld-Senne?

Rüstungsindustrie, Waffen- und Munitionsproduktion, Munitionsanstalten, Tanklager, Depots, U-Verlagerungen etc.
Markus L
Forenuser
Beiträge: 35
Registriert: 19.07.2004 22:09
Ort/Region: Bielefeld

Beitrag von Markus L » 01.08.2008 21:39

Halt, Vorsicht.
Hier müssen wir unterscheiden zwischen den hier dokumentierten Anlagen im Bielefelder Stadtteil Senne. (Ach ja, eine Bunkeranlage soll es, wie ich hörte, auf dem Gelände dort auch noch geben)
und der Muna Senne in Sennelager (ca. 30 km südlich von Bielefeld) auf dem Gelände des Truppenübungsplatzes Senne, Infos dazu z.B. hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Truppen%C3 ... latz_Senne

Sinn und Zweck des Geländes an der Osningstraße sind mir allerdings auch nicht bekannt.

Benutzeravatar
Henschel
Forenuser
Beiträge: 78
Registriert: 06.06.2005 10:59
Ort/Region: Detmold

Beitrag von Henschel » 11.09.2008 20:51

Hallo zusammen,

leider komme ich bei euren Ortsangeban leider nicht ganz mit, aber in der Nähe der Osningstraße kann es ja nur der ehemalige britische Schießplatz in der Nähe der A-2 sein.

Dieser diente von 1941 bis 1944 als Raketenplatz der Firma Ruhrstahl AG in Brackwede. Leiter der Entwicklung war Dr. Max Kramer. Entwickelt wurden kleine und mittlere Raketen. Es wurden aber weniger Starts, als Brenntests auf der Anlage durchgeführt. Kramer verlegte seine Versuche von Peenemünde und Italien ab 1943 ganz nach Bielefeld.

Die Raketen für die Versuche wurden allerdings bei Ruhrstahl in Brackwede gebaut, also nicht in der Senne.

Die Lieferungen aus den verschiedenen anderen Herstellungsorten kamen über den Bahnhof Kracks.

Neben dem Raketenplatz, den Gebäuden der Ruhrstahl AG in der Nähe der Gütersloher Straße mit den Entwicklungsbüros sollen 1944 auch Herstellungsorte am Teutoburger Wald vorbereitet worden sein. Hier werden immer wieder Blomberg und Leopoldstal genannt. Dort werden auch noch 1945 Luft-Luft Raketen A4M in Serie gefertigt.

Max Kramer soll - nach unbestätigten Angaben - im September 1944 nach England geflohen sein. Ein Commandotrupp soll ihn von Bielefeld nachts bis in die Niederlande gebracht haben.

Schon im Winter 1944 geht er von England in die USA. Durch den frühen Wechsel ist Kramer nicht bei der Aktion Paperclip aufgeführt. Er bleibt in den USA und arbeitet bis zu seinen Lebensende sehr erfolgreich in der Rüstung. Erste Patente sind schon wieder für 1945 nachweisbar.

Das alles kann in den entsprechenden und bekannten Referenzwerken so nachgelesen werden. Zu dem Leben von Kramer nach 1944 ist die Quellenlage allerdings sehr eng.

Die erwähnten Lager "an der Windelbleiche" - z.B. der Firma Windel - waren Zwangsarbeitslager, hatten aber mit der Bielefelder Textilwirtschaft und der Holzindustrie zu tun, nicht mit der Waffenindustrie.

Hoffe ich konnte euch etwas helfen bei der Suche - falls ich bei eurer Sache ortsmäßig falsch --- Sorry !


Greetz

Henschel

Markus L
Forenuser
Beiträge: 35
Registriert: 19.07.2004 22:09
Ort/Region: Bielefeld

Beitrag von Markus L » 12.09.2008 16:17

Hallo Henschel,
Danke für Deine Ausführungen zum Schießplatz, dass es sich dabei um ein ehemaliges Raketentestgelände handelte, ist mir allerdings neu, vielen Dank für die Info!

Der Schießplatz ("Rifle Range") liegt allerdings östlich der Osningstraße, fast direkt an der A2, die Zufahrtstraße zweigt kurz hinter der BAB Bielefeld-Sennestadt von der B68 ab und heisst auch "Am Schießstand".
Das Gelände, um das es hier geht, liegt allerdings westlich der Osningstraße im Wald (Straße "Am Togdrang").

Gruß,
Markus

Benutzeravatar
Henschel
Forenuser
Beiträge: 78
Registriert: 06.06.2005 10:59
Ort/Region: Detmold

Beitrag von Henschel » 12.09.2008 20:57

Ich sagte ja schon das mir die Stelle nicht ganz klar war.

Ich meinte tatsächlich die Anlage "Am Schießplatz".

Ich tippe bei "eurer" Anlage weiterhin nicht in Richtung Mun-Anlage, da sich diese im Umkreis Bielefeld fast ausschließlich in Richtung Herford lagen (allein durch Stadtlage keine großen Anlagen). Größere (Mun-)Anlagen habe sich im größeren Umfeld eher im Bereich Paderborn/Soest und Minden befunden.

Leider stehen noch historische Arbeiten über die Kasernenanlagen in Bielefeld (wie von euch schon erwähnt war ja ein Ableger des Heres-Waffenamtes in Bielefeld - Ort: Detmolder Straße).

Ich schrieb oben allerdings über Industrieforschung nicht Heeresforschung.

Kampfmittelsprengungen sollen übrigens in der Nähe des Raketenplatzes der Ruhrstahl bis 1947 stattgefunden haben. Allerdings wurden auch schon damals die meisten "Fundsachen" in die Nähe von Espelkamp verbracht und dort "entsorgt. Sehr gute Infodazu: Preuss/Eitelberg: "Heeresmunitionsanstalt Lübbecke".

Wenn Ihr vor Ort forschen wollt solltet Ihr auf eine Schmalspurbahn vom Bahnhof Kracks mit Richtung Teuto achten. Diese sollte nicht nur zur (letztendlich nicht benötigten) Versorgung der Flugschule Windelsbleiche dienen, sondern auch zum Transport an Produktionsstätten entlang des Teuto. Wie weit der Bau allerdings abgeschlossen war ist mir leider nicht bekannt. Ein Anlaufpunkt sollte auch der Raketenplatz sein. Die Bahn sollte im Bereich des Teutos in Volltarnung gebaut werden.

Die von euch erwähnte Lok wird aber eher zum Truppenübungsplatz Senne gehört haben, nicht zum Ort. Im Bereich ist eine entsprechende Gleisanlage im Bereich Sennelager/Schloß Neuhaus ja bekannt, die dazugehörigen Lagerhäuser sind ja gerade erst abgerissen worden.

Im Stadtarchiv Bielefeld soll nichts mehr darüber sein und im Kreisarchiv Detmold sind leider nur wenige Blätter dazu erhalten.


Viel Rechercheglück und dann hoffentlich hier mehr von euch darüber !

Bis denne

Henschel

Gast

Beitrag von Gast » 17.09.2008 17:19

Hallo,

als Neuer möchte ich zu diesem Thema auch kurz mein Wissen preisgeben.

Die genannten Flächen an der Osningstraße waren lt. einiger Bücher (der Krieg in Bielefeld u.a.) und den Erzählungen meines Großvaters ein reines Munitionslager, daher auch die Bewallung.
Irgendwann in den 90 er wurde hier nochmals konventionelle Munition geräumt, Ende der 70 er konnte man noch total verrostete ich schätze etwa Kaliber 7,62 oder K 38 Munition im Sand finden.

Die Mauerreste sind überreste ehemaliger BehelfsWohnräume, ein Bunker o.ä. ist mir nicht bekannt.

Gruß Det

Benutzeravatar
Henschel
Forenuser
Beiträge: 78
Registriert: 06.06.2005 10:59
Ort/Region: Detmold

Beitrag von Henschel » 17.09.2008 21:05

Hi Det,

über angebliche Anlagen im Bereich Bielefeld westl. Teuto findet sich leider nichts in der regionalen Literatur.

Ein Buch mit Titel "Der Krieg in Bielefeld" oder so ähnlich ist weder mir bekannt, noch wird in einer der Bibliotheken in OWL geführt. Über eine Munitionsfabrk oder ein Munlager ist --- außer die üblichen "Hinweise" --- nichts bekannt.

Wie weiter oben schon mal von mir erwähnt gibt es leider kein Buch über die militärischen Anlagen in Bielefeld. Über Anlagen in Brackwede, Windelbleiche, Senne usw. wird auch in Werken über Zwangsarbeit in OWL nicht genauer eingegangen. Da die Bücher über Bielefeld 1933-45 eher spärlich sind - außer der üblichen nicht geprüften Erinnerungsliteratur - und in Bielefeld (im Gegensatz zu Rest- OWL) auch keine Forschungen zum Thema liefen, ist gerade hier der Raum für Mutmaßungen groß. Auch da durch den Flick Konzern sehr wichtige Rüstungsbetriebe im Raum Bielefeld angesiedelt waren ist dies doppelt bedauerlich.

Größere Einsätze wegen Altlasten/Munsicherung in dem Bereich (außer Innenstadt Brackwede), wie Du oben vermutest, hat es nachweislich nicht gegeben. Auf der Rifle Range/Raketenplatz und im Umkreis hat es natürlich immer wieder entsprechende Arbeiten gegeben. Auch wurden britische Übungen - allerdings mit Manövermunition (bei den Briten übrigens aus Messing und nicht wie bei der BW aus Kunststoff!) - auch entlang der Osningstraße über Jahrzehnte im Teuto durchgeführt.

Wie oben schon erwähnt nehme ich an das die Anlagen im Zusammenhang mit der Anlage Raketenplatz der Ruhrstahl stehen könnten. Diese Anlage unterlag der höchsten Geheimhaltungsstufen. Ein entsprechendes Arbeits-Team hätte eine Stärke von 50 - 100 Ingenieuren, Techniker und Arbeiter erfordert. Wo die Unterkünfte waren ist nicht geklärt, da fast das ganze Team von Kramer nach dem Krieg in den USA wieder zusammenkommt und es keine Arbeit über diese Gruppe bis jetzt gibt.Kramer selber hatte aber nachweislich ein Büro in Brackwede.

Auch ist der Hinweis zum Beispiel auf die Firma Windel nicht von der Hand u weisen. Diese hatte im Berich Senne gleich mehrere Arbeitsstätten zur Textilfertigung, -veredlung und -bedruckung. Auch die dort eingesetzten Chemikalien können zu "Fehleinschätzungen" bei der Bevölkerung führen. Auch waren ja Zwangsarbeiterkolonnen die vom oder zum Bahnhof Kracks gingen ein damals tägliches Bild.

Die Herstellung von Kartuschen (wurden an mehreren Stellen in Brackwede und Umgebung gearbeitet) befand sich sich nicht in der Nähe der besprochenen Stellen.

7.62 Mun wird wohl im großen Umfeld der Schießanlage in früherer Zeit dort zu finden gewesen sein. Was Du mit K 38 meinst ist mir leider nicht klar. Kartuschen für die K-Geschütze (Eisenbahngeschütz 15cm) wurden nicht in Bielefeld gefertigt. Solltest Du 98k Karabiner-Munition meinen - die ist durch die schlechte Blechqualität "in der Botanik" meist schon in den frühen 1950ern "eins mit der Natur" gewesen.

Auch fanden keine Gefechte am Kriegsende in dem Bereich statt. Also auch von da keine Rückstände (außer weggeworfenen Teilen der flüchtenden deutschen Soldaten) in größeren Mengen zu vermuten.

Ansonsten wäre ich dankbar falls Du die angesprochenen Bücher benennen kannst die deine Theorien unterstützen. Nur bitte mit genauen Titel und Autor.


Bis denne

Henschel

Gast

Beitrag von Gast » 18.09.2008 17:53

Hallo,

die Räumung wurde in einem Bericht des Westfalenblattes Regionalteil Bielefeld dokumentiert.

Der Bereich ist nicht ganz Senne, das wäre mir ein wenig unüberschaubar, sondern das Areal unterhalb des Parkplatzes Togdrang.

Übungsmunition kann ich sehr wohl von anderer unterscheiden.

Den Buchtitel gebe ich an alsbald ich das wieder zurück habe.

Gruß Detlef

Wäre doch nett, wenn du deine Formulierungen so wählen würdest, dass der geneigte Leser nicht den Eindruck zwischen den Zeilen erhält das derjenige, dem du antwortest wohl garkeine Ahnung hat.

Benutzeravatar
Henschel
Forenuser
Beiträge: 78
Registriert: 06.06.2005 10:59
Ort/Region: Detmold

Beitrag von Henschel » 18.09.2008 20:57

Vielleicht helfen ja noch die folgende Aufstellung der Produktionsstätten in Brackwede/Senne (in Klammern die vom Arbeitsamt Bielefeld zugwiesene Zahl an Zwangsarbeitern - diese Zahlen haben natürlich variiert und sollten als Mittel gesehen werden):

Brackwede

Kammrichwerke (1080)
Ruhrstahl AG (1020)
Spinnerei Vorwaerts (132)
Arntzen Leichtbau (110)
Reinhard Tweer (=damals Bürgermeister) (80)

Im Bereich Brackwede befanden sich folgende Arbeitslager:

Lager 133 --- Adolf Hitler-Str. 50 (60)
Lager 64 --- Auf dem Kupferhammer (60)
Lager 70 --- Eikelmann, Bielefelder Straße (70)
Lager 128 --- Elsa Brandstroemstraße (70)
Lager 65 --- Fabrikstraße 69 (80)
Lager 76 --- Fabrikstraße 81 (240)
Lager 140 --- Friedrichsdorfer Straße 1 (50)
Lager 61 --- Holter Straße 32 (50)
Lager 62 --- Senner Straße 129 (420 Frauen)
Lager 57 --- Teutoburger Straße 71 (150 Frauen)
Lager 681 --- Kalkwerk (210)
Lager 681 --- Sieker (100)

Senne I

O. H. Windel / Windelsbleiche (120)
Ein Lager am "Wohnplatz der DR" (= Kracks/Anmerk.)
Metallwerk / Windelsbleiche 80 (60)

Vielleicht kann ja ein Ortskundiger die oben genannten Lagen mal genauer klären. Vielleicht gibt das Hinweise auf der Anlage am Togdrang.

Für eine Munitionsanlage kommt von den Firmen oben - wie schon erwähnt - nur die Ruhrstahl AG in Frage. Die Lage der Munitionsfabrik Ruhrstahl Brackwede ist allerdings mitten in der Stadt (Gotenstraße - siehe dazu auch Proteste der Bethelschen Anstalten wegen Zufallstreffer im Anstaltsbereich). Auslagerungen fanden erst sehr spät statt - nachweislich aber ins Lippische und zur Porta, bzw. Thüringen.

Interessant auf dem geposteten "alten" Luftbild sind auch (soweit man das in der Auflösung erkennen kann) eventuelle Bombentrichter in der Nähe der "Gräben". Dies kann ja sowohl auf ein Bombardement als auch auf einen Testabwurf hindeuten. Auch die "freie" Fläche könnte auf eine Testzone hinweisen. Doch für ein Testgelände ist die Anlage eigentlich zu nah an wichtigen Produktionsstätten (auch auf dem nahen Raketenplatz fanden nur Triebwerksversuche statt - keine Starts).

Bis denne

Henschel

Gast

Beitrag von Gast » 19.09.2008 17:01

Hallo Henschel,

nun ist da Büchle da:

Bielefeld 1945, Zwischen Krieg und Frieden, Wartberg Verlag 1. Auflage 2004, Hans-Jörg Kühne

sS. 12 rechts oben:

Zitat: ".....Stadthalter des untergehenden NS Regimes unternahmen zur selben Zeit diverse "heroische" Versuche den anrückenden Gegner zu behindern. So sprengten sie um 11:00 das MUNITIONSLAGER am Schießstand Buschkamp und um 22:00 Uhr die große Autobanbrücke südlich von Hillegossen." Zitat Ende.

Bezogen auf den 1. April 1945!

Das sich der Buschkamphof am jetzigen Orte des Autohauses Ecke B 68 / Osningstraße befand, kann nur das nördlich davon gelegene Areal als Schießstand und Muntionslager gemeint sein.

Die Trichter können sowohl von Abwürfen als auch von Sprengungen herrühren.

Gruß Det

Gast

Beitrag von Gast » 19.09.2008 17:32

Hallo,

auf der Seite:

http://www.bielefeld01.de/geodaten/welcome_luftbild.php

sind Luftbilder aus dem Jahre 1939 hinterlegt, auf denen im Bereich Togdrang Buschkamp circa 100 m von der Osningstraße entfernt einige rechteckige Strukturen zu erkennen sind.

Das kann ggf. auf enen Lagerplatz schließen lassen.

Gruß Det

Antworten

Zurück zu „Zweiter Weltkrieg - Rüstungsindustrie / Logistik“