Treppenhausbunker?

Luftschutzbunker, zivile Bunkeranlagen und Schutzbauwerke des 2. Weltkriegs
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Leif
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Treppenhausbunker?

Beitrag von Leif » 14.02.2006 09:05

Hallo.
Im Forum des DDR-Bunkerforums schrieb jemand etwas zu einem Bunker bei Chemnitz.
http://www.bunkernetzwerk.de/invboard/ --> Allgemeine Diskussionen und Beitrag LUFTSCHUTZBUNKER 1940-1945 (Seite 3).

Wenn ich mir die Beschreibung und das Bild ansehe, so scheint es ein nicht so häufug gebauter Treppenhausbunker gewesen zu sein.

Was meinen die Spezialisten?

Viele Grüße,
Leif

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René
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Beitrag von René » 20.02.2006 23:54

Leider kann nicht jeder im DDR-Bunkerforum lesen, aber unter dem Stichwort "Treppenhausbunker" kann ich mir schon etwa vorstellen, worum es geht.

Die "Weiße Stadt" tief im Wald von Rechlin verbirgt bis heute die Musterbauten zweier Wohnhäuser für die zukünftige "Reichshauptstadt Germania". Im Kern der kreuzförmigen Bauten steht ein Treppenhaus aus Stahlbeton, das auch die Etagen-WCs beherbergt. An allen vier Seiten des Treppenturms sitzen die Wohnungstrakte, deren Material nahezu frei gewählt werden kann. In Rechlin wurden nur die Treppenhäuser gebaut, der Rest wäre wahrscheinlich nur gemauert worden.

Hauptaufgabe der gas- und druckfesten ("verbunkerten") Treppentürme (die Wohnungstüren wären allesamt gasdicht gewesen) war es, die Bewohner sicher in den Luftschutzkeller zu geleiten.

1954 erschien in der Zeitschrift "Baulicher Luftschutz" ein Artikel zu Wohnhäusern, deren Treppenhaus verbunkert ist (die Spitze sah aus wie die eines Winkelturms); im Vordergrund stand hier der Aspekt, dass im Falle eines Atomwaffeneinsatzes der Treppenturm der Druckwelle widerstehen und das Stahlskelett des restlichen Wohnteils abstützen sollte. Es wäre also nie zum Totaleinsturz von Gebäuden gekommen und der Wiederaufbau wäre um einiges schneller gegangen.

Hoffe, geholfen zu haben :-)
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Beitrag von René » 21.02.2006 00:24

Passend zum Beitrag "Elbe-Einkaufszentrum":
Auch dieses Bild entstammt Hans Schoßbergers Broschüre Bautechnischer Atomschutz. Man beachte den Trockenabort oben links!
Dieses Wohnhaus von 1954 wurde in Stahlskelettbauweise errichtet, im Falle einer Atomwaffendetonation könnten sich die Fassadenteile lösen und das Gerippe entlasten. Die Betontreppenhäuser sollen als Stütze stehen bleiben.

Diese Türme sind nicht gasdicht ausgebildet, im Grundriss sind die kleinen seitlichen Fenster zu erkennen. Aber für Gasdichte wäre ja auch der Schutzraum im Keller gewesen...
Du hast keine ausreichende Berechtigung, um die Dateianhänge dieses Beitrags anzusehen.
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Beitrag von MikeG » 21.02.2006 13:46

Moin Ren'e!

Die "weissen Häuser" in Rechlin waren konzeptionell eigentlich aber noch etwas anderes als ein Treppenhausbunker. Sie stellten eher einen "Stapel" kleiner, aufeinander getürmter Schutzräume dar. Dieser "Turm" wäre dann - wie ein Treppenhausbunker - Bestandteil des mehrstöckigen Gebäudes gewesen. Der Gedanke bestand darin, daß die Anwohner so direkt aus der Wohnung in den Schutzraum gelangen konnten, ohne erst in den Keller o.ä. zu müssen - womit zugegebenermassen eine Ähnlichkeit zu Treppenhausbunkern besteht.

Mike

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Beitrag von Leif » 21.02.2006 14:09

Hallo René,
Danke für Deine Hinweise. Mir fielen die Überhänge über den Festeröffnungen auf, welche so recht markant sind.

Schau mal viewtopic.php?p=45111#45111 an, dort findest Du ein ähnliches Exemplar. Oder noch im besseren Zustand: https://www.geschichtsspuren.de/lstuerme/index.html
Oder viewtopic.php?t=5895

Viele Grüße,
Leif

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Beitrag von René » 21.02.2006 15:32

MikeG hat geschrieben:Moin Ren'e!
etwas anderes als ein Treppenhausbunker. Sie stellten eher einen "Stapel" kleiner, aufeinander getürmter Schutzräume dar. Dieser "Turm" wäre dann wie ein Treppenhausbunker Bestandteil des mehrstöckigen Gebäudes gewesen.
Puh, kompliziert diese Feinheiten :? Kann man also vereinfacht sagen: Der Unterschied besteht darin, dass Treppenhausbunker vertikal durchgängige Schutzbauten sind und die Rechliner Etagenbauten einzeln funktionieren, also vertikal getrennt sind?

Leif, danke für die Linksammlung :-)
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Beitrag von MikeG » 21.02.2006 20:21

Hi!

Ja, das kann man so sagen :-) Zumindest war das Teil des Grundgedankens. Zumindest in einem der "weissen Häuser" gibt es aber Durchbrüche, die als Notausstieg gedacht und jeweils mit Metallklappen verschlossen waren.

Die Treppenhausbunker bzw. verbunkerten Treppenhäuser haben ja quasi nur einen großen Raum über alle Etagen. Dafür boten sich die Treppen als Sitzgelegenheit an. Diese Idee hat Leo Winkel ja auch z.T. für seine Türme aufgegriffen und realisiert (Berlin Revaler Strasse, Potsdam-Wildpark etc.).

Mike

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Beitrag von René » 22.02.2006 01:28

Auch hier noch die traurige Wahrheit: das oben gezeigte Treppenhaus ist keine Schutzanlage. Es ist weder gasdicht, noch sonstwie gehärtet. ABER: Das Wohnhaus steht tatsächlich unter Denkmalschutz. Begründung: Erstes "atomsicheres Wohnhaus der Nachkriegszeit" in Berlin! Also waren die Recherchen ein Erfolg. Finde ich jedenfalls :-)

Zurück zu den Treppenhausbunkern: theoretisch hätte man für die Stapelbauten a´la Rechlin je Etage eine eigene Technik benötigt? Oder wären mehrere/ alle Etagen zentral mit Luft versorgt worden?

Diverse moderne Bürogebäude (die Commerzbank in Frankfurt sei mal ein Beispiel) fahren ihre Treppenhäuser heute auch mit leichtem Überdruck, um diese im Brandfall rauchfrei zu halten. Keine schlechte Idee und mit entsprechend dimensionierter Technik dürfte das auch heute kein Problem mehr sein.
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Beitrag von MikeG » 22.02.2006 13:41

Moin!

Das ist eine hochinteressante Frage. Zumindest in Rechlin war wahrscheinlich keine Technik eingebaut, da es sich ja nur um Erprobungsmuster handelte. Ich nehme an, daß es eine zentrale Belüftung gegeben hätte, allerdings mit Filter/Kurbellüfter auf jeder Etage. Eine eigene Zuluft jeder Etage wäre schon deshalb schwer möglich, weil das Konzept ja vorsah, daß der "Bunkerstapel" auch im Gebäudezentrum stehen könnte, also allseitig umbaut gewesen wäre.

Mike

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Beitrag von René » 23.02.2006 16:29

Wie an der Quelle zu sehen ist, geht es in dem nachfolgend zitierten Aufsatz um verschiedene Vorschläge renomierter Architekten zum Bau der neuen Reichsbank in Berlin. Etwas weiter vorn ist zu lesen, dass hier zum ersten Mal der Luftschutz als wichtiger Aspekt in einem Architekturwettbewerb zu beachten war (ich musste den Artikel erst abschreiben und zu Hause noch mal abtippen, leider gibt es noch keine Texterkennung für Fraktur). Neben den besonderen Schutzanforderungen an die ohnehin verlangten Tresorräume galt es, Personal und Besucher - angenommen werden 4000 Menschen! - und Dokumente geschützt unterbringen zu können.
Schoszberger selbst nahm nicht am Wettbewerb teil, sein Aufsatz fasst die luftschutztechnischen Aspekte der eingereichten Wettbewerbsergebnisse zusammen und analysiert Fehler und Schwächen.

Übrigens: realisiert wurde nicht etwa der Siegerentwurf, sondern das Projekt des Bankbaubüros, das lange vor Durchführung des Wettbewerbs vorgelegen hatte. So wird das heute ja auch ständig gemacht...
Beachtenswert sind die Vorschläge, bei denen die Schutzräume nicht im Keller liegen, sondern senkrecht übereinander angeordnet sind. Dieser gedanke geht auf den Vorschlag eines russen Pawlow zurück, der das Treppenhaus der Wohnhäuser zum Schutzraum bestimmt. ... Prof. Rüth (Dresden) hat dann im Rahmen der von Prof. Kögg geleiteten Luftschutzübungsklasse an der Technischen Hochschule in Dresden diese Frage ausführlich planmäßig behandelt. Es ergaben sich nämlich bei der Wahl der Treppenhäuser als Schutzraum eine Reihe schwerwiegender Nachteile (kein Sprengschutz, ein großer Raum, Abdichtung), die aber in den beiden folgenden Vorschlägen vermieden werden.
Die luftschutztechnische Vollendung dieses Vorschlages bringt unseres Wissens zum erstenmal der Erläuterungsbericht von Graubner: Die Schutzräume liegen übereinander und bilden einen oder mehrere kreisförmige dickwandige Türme aus stark bewehrtem Beton. Der Helm des Turmes soll im Stande sein, Bomben mittleren Gewichts abzustoßen. Durch eine Feuerschleuse gelangt man von jedem Stockwerk aus über feuerfeste Brücken in den entsprechenden Teil des Turmes, der als Schutzraum dient.
Zur Auflockerung trenne ich die Erläuterung der Feuerschleuse mal ab:
Die Feuerschleuse ist ein nach oben offener, fensterloser Schacht, "der den Zweck hat, Flammen und Rauch, die aus den Büroräumen dringen, ins Freie hinauszuführen, nicht aber in den Turm."
Graubner will diesen Schutzraumturm nur zur Unterbringung wetvoller Papiere verwenden, doch ist er auch für den Schutz von Menschen geeignet, wenn die Feuerschleuse mit zur Gasschleuse wird.
Schoszberger, Hans: Der Luftschutz beim Wettbewerb der Reichsbank, in: Bauwelt 33/ 1933, S. 893f.

P.S. Das realisierte Bankbgebäude besaß eine Luftschutzanlage im Untergeschoss, die in verschiendenen Publikationen abwechselnd als solche oder als "Bunker" bezeichnet wird. Die Deckenstärke macht den Unterschied. :?

Gruß,
René (dem Schoszberger täglich neue Fundstücke einhandelt)
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