Ostarbeiter bei Messerschmitt in Leipheim

Zwangsarbeit, Fremdarbeiter-, Konzentrations- und Kriegsgefangenenlager (STALAG, DULAG etc.) und deren Außenlager
Antworten
Familienforscherin
Forenuser
Beiträge: 6
Registriert: 14.03.2023 20:18
Ort/Region: Köln

Ostarbeiter bei Messerschmitt in Leipheim

Beitrag von Familienforscherin » 15.03.2023 21:36

Liebe Geschichtsfreunde, liebe Sachkundige vor Ort!
Ich bin neu hier und sehr froh, dieses Forum gefunden zu haben!

Ich suche Informationen über das Lager der Ostarbeiter bei Messerschmitt in Leipheim (Gemeinde Günzburg) zwischen 1943 und 1945. Es müssen hunderte von russischen Zivilarbeitern dort an der Endmontage der Flugzeuge gearbeitet haben.

Vor allem wüsste ich sehr gern, wo und wie sie untergebracht waren. Kennt jemand authentische Quellen oder mündliche Überlieferungen? Kann jemand helfen, den Standort des Lagers klären?

Der Anlass für mein Interesse ist, dass ich gerade die Lebensgeschichte einer russischen Zwangsarbeiterin zusammenstelle, die zwischen 1943 und 1945 in Leipheim als Zwangsarbeiterin gearbeitet hat und ihre kleine, zweijährige Tochter bei sich hatte. Die Tochter lebt noch heute und freut sich über das, was ich herausfinde.

In der mir vorliegenden Literatur gibt es bezüglich der Ostarbeiter nur äußerst wenige Informationen. In Bezug auf deren Wohnort sind sie unklar und verwirrend. Ich habe hier zusammengestellt, was ich bisher gefunden habe.

1. Quellen
1.1. Bürgermeister der Stadt Leipheim am 2.8.1946 (Bild im Anhang): Liste mit allen Russen, die sich in Leipheim während des Krieges aufgehalten haben, zu finden im Arolsen-Archiv und im Staatsarchiv Augsburg. Daraus geht hervor:
o Nina Wiktorowa Iwanowna (geb. 22.1.1918) und ihre Tochter Walentina Wiktorowa Semjonowa (geb.27.6.1941) waren nachweislich in Leipheim
o Die Liste umfasst über 1200 Personen. Auch, wenn sie vermutlich nicht alle auf einmal in Leipheim waren, so kann man dennoch so viele Menschen nicht irgendwo verstecken. Das Lager muss also eine wahrnehmbare Größe gehabt haben.

1.2. Bürgermeister der Stadt Leipheim am 1.8.1946 (Bild im Anhang): Liste mit allen russischen Transporten, die in Leipheim angekommen sind, zu finden im Staatsarchiv Augsburg
o Die einzelnen Transporte, mit denen Ostarbeiter in Leipheim ankamen, sind hier nachgewiesen
o Als „Beschäftigungsart“ wird „Rüstungsbetrieb“ angegeben. Meines Wissens kommt nur Messerschmitt in Frage.
o Auch hier kommen über tausend Personen zusammen, wenn man alles zusammenrechnet.
o Da Nina und Walentina in Russland am 1.12.1943 gefangen genommen wurden, müssen sie sich im letzten Transport mit 704 Personen befunden haben, der kurz vor Weihnachten 1943 in Leipheim eintraf.

1.3. Amerikanische Karte vom 19.7.1944 (Bild im Anhang), auf der die Zerstörungen vom 19.7.1944 dokumentiert wurden, leider ohne Legende,
Für mein Dafürhalten lag das Lager am linken unteren Rand mit den Gebäuden Nr. 58 bis 78 neben der Halle Nr. 81


2. Eigene Angaben von Nina und Walentina:
o Nina hat für die Firma Messerschmitt als Schweißerin gearbeitet
o Walentina (2) wurde zusammen mit anderen Kindern von einer deutschen Kinderfrau betreut, während die Mutter arbeitete.
o Zuerst haben sie in einer Baracke gewohnt, die unmittelbar neben der Produktionshalle lag.
o Nach Zerstörungen durch amerikanische Bombenangriffe mussten sie umziehen in die Ruine einer Produktionshalle, in der jedoch weiterhin gearbeitet wurde. Gewohnt haben sie unter dem zerstörten Dach, darunter wurde produziert.


3. Literatur:
3.1. Hörner-Remp, „Gigantische Zeiten
o Eine Freizeitveranstaltung für ukrainische Ostarbeiter wurde am 2.7.1943 im Fliegerhorst eine ausgerichtet (S.64/65 mit Bildern) Da waren meine beiden noch nicht vor Ort.
o Erwähnung von 200 Fremdarbeiter aus der Ukraine zum Auftakt der Serienproduktion der ME262; deren Lager sei östlich von Leipheim an der Donau gewesen. (S. 76) Das ist ganz woanders.
o Eine Skizze vom Fliegerhorst weist das Lager am südwestlichen Ende des Messerschmitt-Geländes, das ich für ein Ostarbeiter-Lager halte, als Strafgefangenen-Lager aus (S.96) Was hatten die dort zu suchen? Wo waren dann die Ostarbeiter?

3.2. Kartschall 2017 „Produktion der Messerschmitt ME 262“
Berichtet tatsächlich davon, dass in Hangars Zwischendecken eingezogen worden sind und die Produktion darunter weiterlief (S. 171) Ein Beleg für Ninas Angaben.

3.3. Kartschall 2020, „Messerschmitt ME 262, Geheime Produktionsstätten
Sagt, es habe 150 zivilen russischen Zwangsarbeiter gegeben (S. 174) Das sind viel zu wenige.


Ich würde mich sehr freuen, wenn ich jemanden finden könnte, der mir hilft, etwas mehr Licht in diese Zwangsarbeitereschichte zu bringen.
Viele Grüße,
Monika
Du hast keine ausreichende Berechtigung, um die Dateianhänge dieses Beitrags anzusehen.

Benutzeravatar
turul
Forenuser
Beiträge: 281
Registriert: 10.04.2009 17:47
Ort/Region: Landkreis Hof

Re: Ostarbeiter bei Messerschmitt in Leipheim

Beitrag von turul » 16.03.2023 10:12

Wie wäre es denn zuerst einmal mit einer Anfrage beim Stadtarchiv Leipheim?

https://www.gda.bayern.de/archive-in-ba ... 083fecf2e9

Familienforscherin
Forenuser
Beiträge: 6
Registriert: 14.03.2023 20:18
Ort/Region: Köln

Re: Ostarbeiter bei Messerschmitt in Leipheim

Beitrag von Familienforscherin » 16.03.2023 16:59

"Wie wäre es denn zuerst einmal mit einer Anfrage beim Stadtarchiv Leipheim?"
Gute Idee! Bisher bin ich im Leipheimer Archiv nicht durchgekommen, aber ich versuche es noch einmal. Viele Grüße! Monika

Benutzeravatar
Djensi
Forenuser
Beiträge: 2099
Registriert: 28.08.2003 22:25
Ort/Region: Hamburg

Re: Ostarbeiter bei Messerschmitt in Leipheim

Beitrag von Djensi » 21.03.2023 11:29

turul hat geschrieben: 16.03.2023 10:12 Wie wäre es denn zuerst einmal mit einer Anfrage beim Stadtarchiv Leipheim?

https://www.gda.bayern.de/archive-in-ba ... 083fecf2e9
Naja, das was da schon (im Bild) zusammengetragen worden ist, kommt doch aus Archiven, wird doch auch als Quelle benannt. Ein relativ neues Stadtarchiv wie das in Leipheim wird sich auch nur aus den vorher bestehenden Archiven bedienen können.

@ Familienforscherin: Gute Arbeit! Weiter viel Erfolg, das ist schon mehr, als ich in solchen Angelegenheiten erwartet hätte.

Benutzeravatar
zulufox
Forenuser
Beiträge: 3717
Registriert: 02.10.2006 09:53
Ort/Region: In der Nähe des Urpferdchens
Kontaktdaten:

Re: Ostarbeiter bei Messerschmitt in Leipheim

Beitrag von zulufox » 23.03.2023 12:40

Hallo Monika,

schön dass sich jemand die Mühe macht, Einzelschicksalen nachzugehen.

Es hat übrigens 1944-1945 ein Lager im Osten des Fliegerhorstbereiches südlich der Günzburger Straße gegeben.
Ausschnitt 1945 04 10 Leipheim.jpg
In der Bildecke unten links die Navigationsdrehscheibe.

MfG
Zf :holy:
Du hast keine ausreichende Berechtigung, um die Dateianhänge dieses Beitrags anzusehen.
Demosthenes (384 - 322 v. Chr. Athen)
"Nichts ist leichter als Selbstbetrug, denn was ein Mensch wahrhaben möchte, hält er auch für wahr."

Familienforscherin
Forenuser
Beiträge: 6
Registriert: 14.03.2023 20:18
Ort/Region: Köln

Re: Ostarbeiter bei Messerschmitt in Leipheim

Beitrag von Familienforscherin » 30.03.2023 13:36

Lieber Zulufox,
danke für das Luftbild! Und so schön scharf!

Noch eine Frage: Es geistert eine Vermutung herum, dass die Ostarbeiter von Messerschmitt Leipheim (es waren laut Listen aus dem Staatsarchiv Augsburg insgesamt über 1200 und auch viele Kinder) ihr Lager NICHT oder vielleicht nicht alle auf dem Fliegerhorstgelände hatten, wie ich bisher glaubte (auf allen Karten erscheint am südwestlichen Zipfel des Geländes eine Gebäudeanordnung, die wie ein Barackenlager aussieht). Sondern auf dem Stadtgebiet von Günzburg im sog. Schopfeler, da, wo heute noch ein Vereinshaus des "Vereins zur Pflege des Brauchtums" steht. Kennst du dich da aus? Ist das der Ort auf dem Luftbild? Hast du vielleicht eine Idee dazu?
Du hast keine ausreichende Berechtigung, um die Dateianhänge dieses Beitrags anzusehen.

Familienforscherin
Forenuser
Beiträge: 6
Registriert: 14.03.2023 20:18
Ort/Region: Köln

Re: Ostarbeiter bei Messerschmitt in Leipheim

Beitrag von Familienforscherin » 30.03.2023 13:46

Liebe Fliegerhorst-Fachleute!
Nochmal eine Frage an alle, die sich auf dem Fliegerhorstgelände Leipheim bis 1945 auskennen. Was war das, was ich auf dem Bild unten rot eingekreist habe? Zumindest im oberen Teil sieht es mir sehr nach Barackenlager aus. Meine These ist, dass im oberen Bereich die Wohnbaracken für die Ostarbeiter waren, im unteren eventuell die Versorgungsgebäude wie Küche, Waschhaus, Lagerschuppen etc.
Ist das haltbar? Wenn nicht, was war da sonst?

Vielen Dank schonmal im Voraus für eure Mühe!
Monika
Du hast keine ausreichende Berechtigung, um die Dateianhänge dieses Beitrags anzusehen.

Schopfeler
Neu im Forum
Beiträge: 1
Registriert: 17.07.2023 12:39
Ort/Region: Traunstein

Re: Ostarbeiter bei Messerschmitt in Leipheim

Beitrag von Schopfeler » 19.07.2023 13:22

Das Thema mit dem Schopfeler-Lager ist mir gut bekannt. Die Einheimischen sagen einfach "Schopfeler" dazu -auch heute noch. Es war ein Barackenlager für Kriegsgefangene, die für Messerschmitt in der Kriegsproduktion arbeiten mussten. Das Lager ist war in einem alten Steinbruch oder in einem Krater, der heute noch da ist. Heute werden da Gartenabfälle von den Einheimischen "entsorgt". Vor vielen Jahren hat mir ein Einheimischer berichtet, dass drei Mann Bewachung ausgereicht haben, das Lager zu bewachen. Die waren oben am Kraterrand positioniert. Oben ist auch ein altes Kriegsdenkmal eines vorigen Krieges, welches die Kriegefangenen nie sehen durften. Kraterrand ist vielleicht der falsche Begriff, aber es fällt mir hier kein besserer Begriff ein. Der Ort ist mir gut bekannt. Nach dem Krieg wurde das Lager noch weiter betrieben. Es waren dort Kinder untergebracht. Heute würde man das so in etwa Kirchenfreizeit nennen. Es waren Kinder, aus vertriebenen Familien. Also aus ehemals deutschen Gebieten, die Siegermächte aufgeteilt hatten. Die Familien lebten dann auch in Bayern verstreut in Häusern von Landwirten usw. Mein Vater war auch so ein Bub. Der bekam versprochen, der darf 3 Wochen auf "Erholung" in Schopfeler fahren. Der Dorfpfarrer kam und steckte ich in einen Dampfzug Richtung Günzburg. Die Idee seiner Mutter war: 3 Wochen lang ein Esser weniger in der Familie. Es ging eigentlich nur ums Essen. Die Kinder im Lager wohnten die 3 Wochen in den gleichen Baracken wir zuvor die Kriegsgefangenen - wussten aber nichts. Ich habe auch jemand kennengelernt, der dort als Kind viele Monate lebte, und auch mal einen Ausflug zum Weihnachtsmarkt zu Fuß mit den anderen Kindern machen durfte (kaufen konnte sich keiner was - aber man kam mal raus). Das Schopfeler durfte man nicht einfach so verlassen. Mein Vater selbst, von Hunger getrieben, sagte mal beim Mittagessen (das war einfache Fettsuppe) seinem Tischnachbar: "Das sieht aus wie Froschschleim!". Das war erfolgreich - wie geplant. Mein Vater hatte dann also 2 Suppen, da der Tischnachbar nichts mehr essen wollte. Das war halt nach dem Krieg, und Essen war knapp... Es gibt vom Lager SW-Fotos, aber leider habe ich nie eines sehen können. Die Baracken sind inzwischen nicht mehr da. Das meiste haben angeblich Holzwürmer zerlegt.

Familienforscherin
Forenuser
Beiträge: 6
Registriert: 14.03.2023 20:18
Ort/Region: Köln

Re: Ostarbeiter bei Messerschmitt in Leipheim

Beitrag von Familienforscherin » 20.07.2023 18:41

Lieber Schopfeler,
vielen Dank für die ausführliche und anschauliche Schilderung. Mein Buch über die Ostarbeiter in Leipheim (Monika Theil, Nina und Walentina, ISBN 9783757826437) ist inzwischen fertig und wird bald lieferbar sein. Meine beiden Protagonistinnen haben mit hoher Wahrscheinlichkeit auf dem Messerschmittgelände im Fliegerhorst gewohnt, deshalb sind meine Nachforschungen zum Thema "Schopfeler" der Kürzung zum Opfer gefallen, zumindest was die erste Auflage betrifft. Gerne sammele ich aber weiter Anregungen und Hinweise!
Herzliche Grüße, Monika

Antworten