Zivilschutz in der DDR?

Zivile bzw. nicht-militärische Schutzbauwerke und Anlagen des Kalten Krieges
Lasse
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Re: Zivilschutz in der DDR?

Beitrag von Lasse » 14.11.2021 15:57

Hallo,
ich weiß, der Faden ist etwas älter. In Görlitz gibt es eine Plattenbausiedlung mit Bauten die an Belüftungsbauten erinnern. Außerdem sind dort immer mal wieder quadratische Metalldeckel im Boden, die mit einem großen Vierkant verschlossen sind. Wenn ich mal wieder da bin, könnte ich Fotos nach liefern.
Kann mir jemand sagen, wo im Keller eines Plattenbaus der Zugang zum Bunker ist? Dann wüsste ich auf was ich noch achten muss.
"Siehst Du einen Atompilz: Schau gut hin, Du bekommst so etwas nie wieder zu sehen."

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Michael aus G
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Re: Zivilschutz in der DDR?

Beitrag von Michael aus G » 15.11.2021 00:05

Kommt darauf an was für ein Plattenbau das ist. Ich selbst wohne im WBS70(5 Etagen). Dort waren die Keller durch Wanddurchbrüche miteinander verbunden. Die Kellerboxen selbst waren nur aus einfachen Kiefernholzgittern, konnten also schnell rausgeworfen werden. In einigen Abstand verlief die Versorgungsrohre der Zentralheizungsversorgung in Kollektorgängen(3mx3m) die alle 50m einen Zustieg von oben hatten. Man konnte darin das ganze Viertel ungesehen durchqueren. Für uns Kinder damals ein Abenteuerspielplatz. Einen direkten gangbaren Zugang zu den Kellern gabs aber nicht. Bei den größeren Hochhäusern waren immer nur 2 Eingänge im Keller und in einem der höheren Stockwerke verbunden. Im Keller gabs für jeden Eingang einen kleinen Raum der eine Unterdruckklappe hatte. Die Zugangstüren waren so einfache Luftschutztüren mit 2 Sperrriegeln.

Die Kindergärten waren bei uns auch einheitlichen Bautyps. Alle wurden bis 1988 mit einer sogenannten "Schwerlastdecke" gebaut. Davor war auch ein niedriges quadratisches Bauwerk (5mx5m) gefüllt mit Kies, daß ich heute als primitiven Filter deuten würde. Waren ebenfalls mit einer eigenen Küche und Personal versehen. Schulen waren auch einheitlichen Bautyps, hatten aber keine eigene Essensversorgung. Dafür aber einen Raum voll mit einfachen Klappbetten aus Holz, wie sie auch im Kindergarten für die Mittagsruhe verwendet worden. Bei uns im Haus war ein Telfonverteilerknoten. Dazu gabs ne Paßstelle, eine Außenstelle der Kripo und das Büro des Abschnittsbevollmächtigten(ABVs) aka Kontaktbereichsbeamter. Letzters war für uns Jungs ungünstig... ;)

Nebenan gabs auch einen Bautyp einer Baracke. Die wurde als Altstoffannahmestelle genutzt. Das Besondere, die hatte eine eigene Heizungsanlage.Hab den Bautyp aber auch schon bei eine KEL gesehen. Dortige Verwendung: Materiallager für den Bunker und wahrscheinlich im Einsatz als Lagebaracke.
Gib mir genügend Schubkraft und ich bringe dir ein Klavier zu fliegen!

Gerfried Eisen
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Re: Zivilschutz in der DDR?

Beitrag von Gerfried Eisen » 19.03.2023 20:30

Hallo allerseits,
auch wenn der Faden hier schon etwas älter ist... Forschung dauert manchmal lange...
Ich bin z.B. hier fündig geworden:

Bundesarchiv – Militärarchiv „Protokoll der 45. Sitzung des Nationalen Verteidigungsrates der DDR vom 3. Mai 1974“, BArch, DVW 1 / 39503

Bundesarchiv – Militärarchiv „Protokoll der 69. Sitzung des Nationalen Verteidigungsrates der DDR vom 25. Januar 1985″, BArch, DVW 1 / 39530 – Tagesordnungspunkt 8: Außerkraftsetzung von Beschlüssen zur geschützten Unterbringung“, S. 59 f., S. 73 (Vorschlag für abschließende Bemerkung zum Tagesordnungspunkt 8)

Ich zitiere mich hier mal selber (aus meinem blog):

Für den zivilen Luftschutz gab es vereinzelte standardisierte Luftschutzbauwerke bzw. entsprechend vorbereitete Räumlichkeiten ohne Drucktüren und Ventilationsanlagen.

Der Nationale Verteidigungsrat der DDR stelle für 1973 fest, das für ca. 6,5% der Bevölkerung Schutzplätze vorrangig für Strahlenschutz zur Verfügung stehen. Insbesondere in den Ballungsräumen werden die Möglichkeiten für den Schutz der Zivilbevölkerung als unzureichend eingeschätzt. An dieser Situation hat sich auch bis 1985 nicht viel verändert. Nur für 12,5% der Bevölkerung standen in Wohngebieten Schutzplätze zur Verfügung und für 34% der Werktätigen in den verteidigungswichtigen und lebensnotwendigen Betrieben. Im Januar 1985 wurde durch den Nationalen Verteidigungsrat der DDR beschlossen, bis auf weiteres keine baulichen Schutzmaßnahmen [für die Zivilbevölkerung] mehr zu realisieren! In der mündlich vorgetragenen Begründung heißt es lapidar: Ausgehend von unseren ökonomischen Möglichkeiten, insbesondere bei der Erfüllung des Wohnungsbauprogrammes, sind wir gegenwärtig nicht in der Lage, bereits im Frieden umfangreiche bauliche Maßnahmen für den Schutz der Bevölkerung zu realisieren.

Im gesamten Bezirk Neubrandenburg gab es z.B. keine einzige "Zivilschutzanlage".
Für die Stadt Rostock ist mir nur ein einzige bekannt ("Bunker Kobertstraße")
In Potsdam existiert in einem bestimmten Hotel noch heute eine Tiefgarage, die als Zivilschutzanlage hätte genutzt werden können - die massive Drucktür ist noch erhalten.

Zur Erinnerung: "Damals" gab es so etwas wie Parkhäuser oder Tiefgaragen nur äußerst selten!

Selbst der Werksluftschutz war vermutlich nur rudimentär vorhanden - die Anlagen, die ich kenne, waren sehr klein. Vereinzelt wurden auch WK2-Luftschutzbunker genutzt, jedoch meist als Materiallager (und nicht als Luftschutzanlage leer stehend vorgehalten)

In einigen Verwaltungsgebäuden, die in WBS-70-Bauten untergebracht waren, gab es tatsächlich im Keller kleinere Luftschutzanlagen - Bilder dazu habe ich einige, muss die nur noch vernünftig aufbereiten.

Viele Grüße, Geri
Geschichte ist etwas, das vielleicht im Grunde erst geschrieben werden kann, wenn alles so lange vorbei ist, dass niemand mehr lebt, der ein aktuelles Interesse daran hat, wie es gewesen sein sollte.
(Carl Friedrich von Weizsäcker)

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