Tallboy in Swinemünde gefunden

Militärische Objekte und Anlagen des 2. Weltkriegs (und 1933-1945)
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Henning
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Re: Tallboy in Swinemünde gefunden

Beitrag von Henning » 27.06.2020 21:29

Bunkerbob hat geschrieben: 22.06.2020 21:46 Es geht darum, die Stahlhülle der Bombe durchzubrennen und den Sprengstoff zum Abbrand anzuregen (militärische Sprengstoffe haben mit den Nitrogruppen NO2 genügend Sauerstoff gespeichert, um auch ohne zusätzlichen Luftsauerstoff - also auch unter Wasser zu brennen).
Wenn ich (so als ungedienter E-Techniker...) das jetzt richtig verstehe besteht die Herausforderung darin, durch Öffnung der Stahlhülle die Verdämmung so weit aufzuheben, dass es zu einem kontrollierten Abbrand aber eben nicht zur Explosion kommt?

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Re: Tallboy in Swinemünde gefunden

Beitrag von redsea » 28.06.2020 08:26

Hallo Henning,

ja, das verstehst Du vom Prinzip her richtig.

Einfach erklärt würde ich die Wirkung am Beispiel einer Feuerwerksrakete darstellen. Der rohrförmige Treibhülsenkörper stellt die Verdämmung der Treibladung dar, die daher nur durch Abbrand durch das stirnseitig nicht geschlossene Rohr, in der Anwendung also nach unten, als Treibladung wirken kann, während die "Bombe" im Kopf der Rakete später durch ihre Verdämmung zur Explosion gebracht wird. Man könnte es z.B. auch mit Tischfeuerwerken vergleichen, die ja ebenfalls kontrolliert abbrennen und nicht explodieren, da sie nicht umschlossen verdämmt sind.

Viele Grüße

Kai

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Re: Tallboy in Swinemünde gefunden

Beitrag von Blechhaferl » 29.06.2020 08:14

Moing!
Dazu kommt aber noch, dass im Gegensatz zum Schwarzpulver der Feuerwerksraketen viele Sprengstoffe eine Initialzündung brauchen um überhaupt zu explodieren/detonieren zu können. Das macht sie auch in der Handhabung sicherer. Ohne diese Sprengzünder brennen sie nur ab. Mit initialzündung detonieren sie auch ohne Verdämmung, mit entsprechender Wirkung. Beim Tallboy war die starke Hülle ja in erster Linie dazu da, vor der Detonation entweder Bunkerdecken zu durchschlagen, oder tief in den Untergrund einzudringen, ohne beschädigt zu werden.
Gruß
Albert

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Re: Tallboy in Swinemünde gefunden

Beitrag von Bunkerbob » 15.09.2020 18:32

Kaum ist ein Jahr vergangen, kommt Bewegung in die Sache....

Es wurde zunächst ein größerer Bereich auf weitere Kampfmittel untersucht und diverse weiter Bomben (lediglich GP 1000 lb😉 etc.) im Umfeld geräumt.

Im Oktober wollen die polnischen Entschärfer ran und mittels low-order die Sprengladung deflagrieren lassen - ich bin gespannt!
https://www.thefirstnews.com/article/ne ... xqCB-P1hCs

Robert

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Re: Tallboy in Swinemünde gefunden

Beitrag von Bunkerbob » 15.09.2020 18:50

So am Rande:

Eines der angreifenden Flugzeuge (taktisches Kennzeichen PD.115) musste den Angriff aufgrund nachlassender Motorleistung nach Flakbeschuss abbrechen und hat seinen Tallboy auf die Ortschaft Genzkow (ca. 17 km nordöstlich von Neubrandenburg) abgeworfen.

Auf einem 53er Vermessungsluftbild haben wir in Genzkow einen entsprechenden Trichter lokalisieren können (Durchmesser ca. 20-30 m😳, laut Zeugenaussage mit einer Tiefe von ca. 7 m, ist inzwischen zugeschoben worden), auf dem Friedhof von Genzkow gibt es auch einen Gedenkstein: „Den Opfern des zweiten Weltkrieges. In den letzten Tagen des zweiten Weltkrieges verloren an dieser Stelle dreißig Männer, Frauen und Kinder ihr Leben durch eine amerikanische Bombe.“ (http://www.denkmalprojekt.org/2013/genz ... k-pom.html)

Tragisches "Target of Opportunity"...

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Re: Tallboy in Swinemünde gefunden

Beitrag von Zwackelmann » 16.09.2020 09:18

Hallo Robert,

Cool, dass Du drangeblieben bist! Vor lauter Entschärfungstechniken ist die Geschichte etwas zu kurz gekommen: Wann war denn der Angriff oder waren die Angriffe denn genau?

Gruß, Thomas!
Ich bin mal wieder gesperrt, Ihr habt das super im Griff...

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Re: Tallboy in Swinemünde gefunden

Beitrag von bettika » 18.09.2020 19:50

Bunkerbob hat geschrieben: 15.09.2020 18:50 So am Rande:

Eines der angreifenden Flugzeuge (taktisches Kennzeichen PD.115) musste den Angriff aufgrund nachlassender Motorleistung nach Flakbeschuss abbrechen und hat seinen Tallboy auf die Ortschaft Genzkow (ca. 17 km nordöstlich von Neubrandenburg) abgeworfen.
...
Tragisches "Target of Opportunity"...
Hallo Robert,
Danke für den Hinweis :-)
Darüber gibt es einen Aufsatz https://www.geschichtswerkstatt-rostock ... ikationen/
Sören Granzow und Rainer Szczesiak beschreiben den Abwurf einer fünf Tonnen schweren Bombe auf das ostmecklenburgische Dorf Genzkow am 16. April 1945. Der durch Flakfeuer beschädigte englische Lancaster-Bomber konnte nicht wie geplant an dem Angriff auf den in Swinemünde vor Anker liegenden schweren Kreuzer „Lützow“ teilnehmen und warf die Bombe daher über der nächstgelegenen Ansiedlung ab, was 32 Dorfbewohner das Leben kostete.
Das Heft ist bestellt

Grüsse
Beate
„Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.“ George Santayana

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Re: Tallboy in Swinemünde gefunden

Beitrag von bettika » 18.09.2020 19:56

Zwackelmann hat geschrieben: 16.09.2020 09:18 ... Wann war denn der Angriff oder waren die Angriffe denn genau?

Gruß, Thomas!
Hallo Thomas,
https://www.wlb-stuttgart.de/seekrieg/45-04.htm
Am 13.4. muss ein Angriff von 34 Lancastern der 9. und 617. Sqn. RAF gegen die in Swinemünde liegenden dt. Kreuzer Lützow und Prinz Eugen wegen starker Bewölkung abgebrochen werden. Am 15.4. müssen erneut 20 Lancaster umkehren, am 16.4. gelingt es 18 Lancestern der 617. Sqn. die Lützow mit »Tallboy«-Bomben durch einen Direkt- und mehrere Nahtreffer in der Kaiserfahrt zu versenken.
Luftbild

Grüsse
Beate
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Re: Tallboy in Swinemünde gefunden

Beitrag von Bunkerbob » 11.10.2020 21:00


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Re: Tallboy in Swinemünde gefunden

Beitrag von Bunkerbob » 11.10.2020 21:21

Hier ein paar Fotos zum Vorgehen:
Mittels des vorgefertigten Verbaus wird man den Bombenkörper am hinteren, tiefer liegenden Teil freispülen.
IMG-20200929-WA0002.jpg
IMG-20200929-WA0000.jpg
IMG-20200929-WA0001.jpg
Zitat NDR-Beitrag:
"Dann sollen Taucher die Zünder von der Sprengladung trennen, wie ein Vertreter der Marine der polnischen Nachrichtenagentur PAP sagte. In einem letzten Schritt ist geplant, die Sprengladung des Blindgängers mittels einer Verpuffung unschädlich zu machen."

Diese "Verpuffung" ist die schon oben beschriebene Deflagration und soll durch spezielle Hohlladungen erreicht werden
https://www.eod-technology.com/catalog/alford/pluton/
Ich gehe von Magnesium-Einlage aus.


Was ich nicht verstehe:
Warum wird die Bombe erst entschärft ("Zünder von der Sprengladung trennen"), und dann noch sprengtechnisch zur Deflagration gebracht?!?
Denn nach der Entschärfung (Trennen der Zündkette durch Entfernung der drei mechanischen Zünder ("pistol") sowie der Detonatoren ist die Bombe handhabungsfähig und könnte geborgen werden.

Aber die polnische EOD-Kräfte bergen ja auch britische Grundminen aus dem Stettiner Haff, heben sie und transportieren sie (durch Swinemünde!) in die Ostsee, um sie dort wieder zu versenken und zu sprengen...

Wir bleiben dran!

Gruss
Robert
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