Verbunkerte fahrbare Unterwerke

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Käptn Blaubär
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Verbunkerte fahrbare Unterwerke

Beitrag von Käptn Blaubär » 01.07.2018 17:35

Moin!

Schon seit einiger Zeit beschäftigt mich ein, wie ich finde, sehr interessantes Thema, das wir hier im Forum offenbar noch gar nicht zu fassen hatten. Für den Einstieg hole ich mal etwas weiter aus:

Für den Betrieb elektrifizierter Eisenbahnstrecken benötigt man nicht nur E-Loks und eine Oberleitung, sondern auch Kraftwerke, Bahnstrom-(Transport-)leitungen, Schaltwerke und Umspannstationen, die den Strom in die Oberleitung einspeisen. Diese Umspannstationen werden bei der Bahn als Unterwerke bezeichnet. Sie stehen in regelmäßigem Abstand entlang der elektrifizierten Strecken.

Für die Versorgung der Unterwerke haben sich zwei unterschiedliche Systeme etabliert. Bei der dezentralen Stromversorgung sind die Unterwerke der Bahn an das öffentliche 220/380KV-Verbundnetz angeschlossen. Da das Bahnstromsystem mit einer Frequenz von 16,7 Hz, das öffentliche Netz aber mit 50 Hz betrieben wird, muss bei der dezentralen Versorgung nicht nur die Spannung heruntertransformiert, sondern auch die Frequenz umgeformt werden. Die Unterwerke sind hier also eigentlich kombinierte Umspannungs-/Umformerwerke.
Bei der zentralen Bahnstromversorgung gibt es neben dem öffentlichen Verbundnetz ein separates Bahnstromnetz mit eigenen Kraftwerken, Bahnstromleitungen und Schaltwerken. Die Deutsche Bahn z.B. betreibt so ein eigenes Bahnstromnetz mit 110KV/16,7 Hz. In den Unterwerken wird der Strom hier nur noch auf die Betriebsspannung der Oberleitung von 15KV umgespannt.

Die Unterwerke sind bei den meisten Bahnen entlang der Strecken fest installierte Anlagen. Es gab allerdings sehr früh auch schon fahrbare Unterwerke. Dabei ist die Technik, d.h. vor allem ein Transformator, ggf. der Umformer und die nötige Schalt- und Steuertechnik fest auf besonderen Eisenbahnwagen montiert. Fällt ein fest installiertes Unterwerk wegen Reparatur, Umbau, Erweiterung usw. aus, kann ein mobiles Unterwerk die Funktion relativ schnell und einfach übernehmen.

Dass solche fahrbaren Unterwerke auch im Kriegsfall sehr nützlich sind, liegt auf der Hand.

Im Zweiten Weltkrieg zeigte sich, dass die Kraftwerke und die Unterwerke zu den empfindlichsten Stellen des Eisenbahnnetzes gehören. Schäden an Gleisanlagen und Oberleitungen lassen sich relativ schnell zumindest provisorisch ausbessern. Wenn der Trafo eines Unterwerkes beschädigt oder zerstört wird, fällt das Unterwerk und damit ein ganzer Abschnitt der elektrischen Oberleitung für längere Zeit aus.

Nach den Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg begann man in der Schweiz z.B. ab den späten 60er Jahren grundsätzlich fahrbare Unterwerke einzusetzen, die ortsfest an entsprechend ausgebauten Standorten aufgestellt werden. Bei nötigen Reparaturen oder Wartungen können nun die Wagen, und damit die gesamte Technik des Unterwerkes, einfach und schnell ausgetauscht werden. Eine Ausführliche Beschreibung findet man bei Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Fahrbares_Unterwerk

Noch einen konsequenten Schritt weiter ging man in Schweden, womit wir beim eigentlichen Thema wären.

Das elektrische Eisenbahnnetz in Schweden wird dezentral versorgt, d.h. die Unterwerke werden aus dem öffentlichen Hochspannungsnetz gespeist, womit sie eigentlich kombinierte Umformer-/Umspannwerke sind. Schon bei der Elektrifizierung des schwedischen Eisenbahnnetzes wurden ab den 1930er Jahren vermehrt fahrbare Unterwerke eingesetzt, die in festen Gebäuden ähnlich Lokschuppen aufgestellt wurden. Während des Zweiten Weltkrieges wurden an zahlreichen Stellen Ausweichstandorte installiert. Dies waren Gleisabzweige mit einem einfachen Wellblechschuppen, die oft außerhalb von Ortschaften auf freier Strecke angelegt, aber bereits mit einem Anschluss an eine Hochspannungsleitung ausgerüstet wurden. Bei Bedarf, z.B. bei Ausfall eines festen Unterwerkes, konnte hier ein mobiles Unterwerk aufgestellt und sofort in Betrieb genommen werden.

Der nächste logische Schritt waren dann geschützte Aufstellorte für fahrbare Unterwerke. Schon in den 40er Jahren wurden erste Anlagen eingerichtet, mit Beginn des Kalten Krieges wurden diese Anlagen weiter ausgebaut und quasi flächendeckend installiert.

Ein solcher geschützter Aufstellort ist im Prinzip nichts anderes als ein blinder Tunnel. Irgendwo in den schwedischen Wäldern zweigt von einer elektrifizierten Eisenbahnlinie ein Nebengleis ab und verschwindet nach paar hundert Metern bis wenigen Kilometern in einem Tunnel. Nur kommen auf der anderen Seite des Berges keine Gleise aus dem Berg heraus. Der Tunnel ist nur etwa 100 Meter lang, endet im Berg und hat eben nur eine Zufahrt. Im Inneren befindet sich eine Abstellanlage für ein mobiles Unterwerk mit vorbereiteten Anschlüssen an das Hochspannungsnetz und die Oberleitung, dazu Technik-, Steuerungs-, Lüftungsanlagen usw. Durch die Felsüberdeckung und innere Betonauskleidungen sind diese Anlagen bombensicher ausgelegt.

Da die Aggregate im Betrieb nicht wenig Wärme entwickeln, muss für einen ausreichenden Luftaustausch zur Kühlung gesorgt werden. An den blinden Enden der Tunnel befindet sich daher in der Regel ein großer, senkrechter Lüftungsschacht, der gleichzeitig als Notausstieg dient. Die Zuluft kommt über die Einfahrt. Um das Innere der Anlage trotzdem vor Druckwellen zu schützen, wird die Zufahrt mit besonderen Toren verschlossen. Diese bestehen aus etwa 70 cm dicken Stahlkäfigen, die mit Felsbrocken gefüllt sind. Durch die Zwischenräume zwischen den Steinen kann die Zuluft ins Innere strömen, eine Druckwelle wird aber erheblich gehemmt. Auch die Öffnungen im Abluftbauwerk am oberen Ende des Abluftschachtes sind in gleicher Weise verschlossen.

Die fahrbaren Unterwerke, die in diesen Anlagen eingesetzt wurden, bestanden in der Regel aus 3 bis 4 Wagen: dem Umformer, der die Frequenz von 50 Hz auf 16,7 Hz umwandelt, dem Transformator, der die Spannung aus dem Verbundnetz auf die Fahrleitungsspannung von 16 KV herunterspannt und dazu ggf. noch Wagen für Schaltanlagen und Steuerungen. Oft war in den Tunnels Platz für zwei Unterwerke. Es gab auch Anlagen mit zwei parallelen Tunneln für jeweils 2 Unterwerke.

Ein original erhaltenes fahrbares Unterwerk ist im Norrbottens Järnvägsmuseum in Luleå ausgestellt:

http://kbs761.startbilder.de/bild/Schwe ... useum.html
Auf dem Foto vorne zu sehen ist der Umformerwagen. Der Transformatorwagen ist ganz hinten nur schlecht erkennbar.

Mit dem Ende des Kalten Krieges wurden die Anlagen nach und nach stillgelegt und aufgegeben. Einige wenige wurden verkauft und werden heute anders genutzt. Manche sind möglicherweise auch noch in Betrieb. Die allermeisten aber stehen einfach irgendwo in der schwedischen Wildnis vor sich hin.

Nach der Stilllegung waren die Tunnel einige Jahre lang offen und nicht oder kaum gesichert. Offenbar war wohl die Zuständigkeit zwischen Bahnverwaltung, schwedischem Staat und den Gemeinden unklar. Aus dieser Zeit findet man im Netz mit etwas Sucherei zahlreiche Fotos und Videos illegaler Begehungen. Inzwischen sind die Eingänge gesichert und in der Regel mit Betonplomben fest und dauerhaft verschlossen. Ein Zugang in das Innere ist so ohne weiteres nicht mehr möglich.

Im Herbst 2017 haben wir bei einer Tour durch Schweden einige Standorte dieser Anlagen im südlichen Schweden besucht. Der Zugang von außen war bei allen besuchten Anlagen ohne Probleme möglich.

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Käptn Blaubär
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Beitrag von Käptn Blaubär » 01.07.2018 17:40

Das erste Bauwerk befindet sind in Dalsland nördlich Dals Rostock an der Strecke nach Norwegen. Vom Anschlussgleis ist nichts mehr zu sehen, die Trasse ist aber noch gut erkennbar. Die ehemalige Zufahrt ist mit einer Betonwand verschlossen. Eine Zugangsöffnung darin ist verschüttet. Gut erkennbar ist noch der „felsartig“ gestaltete Beton oberhalb der früheren Einfahrt und Reste der Tarnung über der Zufahrt.
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Das Leben ist kurz, behauptet man.
Ansichtssache, sage ich. Die einen sind kurz, die anderen sind lang, und manche sind mittel.
Außerdem hatte ich noch dreizehneinhalb andere davon.
(Walter Moers, Die 13 ½ Leben des Käpt´n Blaubär)

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Käptn Blaubär
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Beitrag von Käptn Blaubär » 01.07.2018 18:07

Die Anlage in Skövde ist ungewöhnlich, weil sie quasi mitten in der Stadt liegt und über ein mehrere Kilometer langes Anschlussgleis angebunden war. Die Gleistrasse ist heute als Fuß- und Radweg ausgewiesen. Auch hier findet man wieder die felsartig gestaltete Betonoberfläche und Reste der Tarnung.
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Djensi
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Beitrag von Djensi » 02.07.2018 12:46

Oha!

Klasse Thema! :thumbup: :thumbup: :thumbup:

ResQ69
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Beitrag von ResQ69 » 02.07.2018 22:34

Hallo, ich muß als nichteisenbahner, welcher absolut keinerlei ahnung von Zügen ober Elektrik (geschweige denn Elektronik) hat mal was beisteuern. Wir reden hier von einer einrichtung welche dazu bestimmt ist den Zugverkehr auf elektrifizierten Strecken aufrecht zu halten. Diese Einrichtungen werden massiv geschützt untergebracht, damit sie auch nach einem angriff noch funktionstüchtig sind.

Soweit richtig?

Nur just by the Way:
In welche Leitungen genau sollen die Mobilen Unterwerke den Strom den Einspeisen wenn sie nach dem Angriff aus ihren verbunkerten Stellungen fahren, oder von Dampf/Dieselloks gezogen werden?
Gibt es gar einen Tread "geschütztes Oberleitungsnetz"?

Sorry, aber ist doch Wahr.
Thomas

dermike
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Beitrag von dermike » 02.07.2018 22:49

Hallo,
soweit ich verstanden habe bleibt die Stromversorgung im Tunnel versteckt.

Bei einem Angriff auf die Stromversorgung der Bahn und deren Ausfall übernimmt die im Tunnel verborgene
Netzanlage die Versorgung.

grüße

dermike

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madru
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Beitrag von madru » 03.07.2018 12:15

ResQ69 hat geschrieben:......
Nur just by the Way:
In welche Leitungen genau sollen die Mobilen Unterwerke den Strom den Einspeisen wenn sie nach dem Angriff aus ihren verbunkerten Stellungen fahren, oder von Dampf/Dieselloks gezogen werden?
Gibt es gar einen Tread "geschütztes Oberleitungsnetz"?

Sorry, aber ist doch Wahr.
Thomas
Hier geht es nicht um den Ersatz zerstörter Oberleitungen, sondern um die Einspeisung in diese. Die Schienen und Oberleitungen müssen natürlich noch intakt sein damit diese Ersatzeinspeisung überhaupt sinnvoll ist.
Bei der DB AG gibt es diverse Hilfs-, Rettungs- und Bergezüge, die alle bei Unfällen und Katastrophen eingesetzt werden. Diese müssen natürlich unabhängig von der Oberleitung sein und sind daher alle mit Dieselloks ausgestattet. Die Rettungszüge stehen sogar ständig unter Druck und sind vorgeheizt, damit sie innerhalb von Minuten ausrücken können.
Diese mobilen Umspann- / Umformerwerke werden sicher auch mit Dieselloks zu den (Not)Einspeisstellen gezogen.
bis dann
Michael

Hungriger Wolf
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Beitrag von Hungriger Wolf » 03.07.2018 15:54

Moin, danke für den Beitrag
Interessantes Thema!Wieviel % der Bahnstrecken waren damals elektrifiziert?

Es bleibt spannend !

Achim

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Beitrag von Käptn Blaubär » 03.07.2018 21:10

Moin!
madru hat geschrieben:Hier geht es nicht um den Ersatz zerstörter Oberleitungen, sondern um die Einspeisung in diese. Die Schienen und Oberleitungen müssen natürlich noch intakt sein damit diese Ersatzeinspeisung überhaupt sinnvoll ist.
(...)
Diese mobilen Umspann- / Umformerwerke werden sicher auch mit Dieselloks zu den (Not)Einspeisstellen gezogen.
Danke, M4. Genau so isses. In dem oben verlinkten Wikipedia-Artikel über die mobilen Unterwerke in der Schweiz ist das auch zumindest so angedeutet:
(...) setzte das Militärdepartement auf fahrbare Unterwerke, übernahm für die ersten die Mehrkosten gegenüber leistungsgleichen festen Unterwerken und beteiligte sich auch an der Beschaffung von Diesellokomotiven, wo dies militärische Bedürfnisse im Pflichtenheft vorgaben.
Oberleitung und Gleisanlagen kann man natürlich nicht wirksam schützen. Andererseits lassen sie sich aber bei Beschädigungen auch relativ schnell wieder instandsetzen. Die Unterwerke sind einerseits sehr empfindlich, andererseits bei Beschädigung nur sehr aufwändig zu reparieren oder zu ersetzen. Und zudem hat ein Ausfall weitreichende Folgen. Da macht es schon Sinn, genau diese Anlagen besonders zu schützen.

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Käptn Blaubär
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Beitrag von Käptn Blaubär » 03.07.2018 21:28

Hier noch die Anlage Nr. 52 bei Norsesund.
Interessant sind die Stahlbetonbügel vor der eigentlichen Einfahrt. Im äußeren Bügel ist ein ein etwa 25 cm dickes Stahlbeton-Schiebetor aufgehängt. Oberhalb der Zufahrt auch hier wieder ein Netz aus Stahldrähten für die Tarnung. Die Einfahrt in den Tunnel ist hier mit Stahlplatten verschlossen.
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