Suche Informationen über Lager an der Garbsener Landstraße

Zwangsarbeit, Fremdarbeiter-, Konzentrations- und Kriegsgefangenenlager (STALAG, DULAG etc.) und deren Außenlager
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zulufox
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Beitrag von zulufox » 01.10.2014 09:43

Liebe Guste,

auch von mir ganz herzliche Willkommensgrüße hier im Forum. Zu deiner Frage: "Ich hoffe, dass es nicht zu langweilig, sondern vielleicht auch etwas lesenswert ist." meine ganz persönliche Antwort als Angehöriger des Jahrgangs 1947 darauf:

Persönliche Erinnerungen, die weitergegeben werden, die sind ein 'Schatz' für jeden Angehörigen nachfolgender Generationen, denn sie lassen, wenn sie ungefiltert zugänglich sind, jedem die Möglichkeit, sich selbst ein persönliches Bild der Vergangenheit zu machen. Nur aus einer Vielzahl von Informationen ist es möglich, Tatsachen zu erschließen und Verallgemeinerungen zu erkennen und zu vermeiden.

Leider haben meine Eltern (Jahrgänge zwischen 1910 und 1920) bei Frage zu ihren Erlebnissen vor und um meine Geburt herum immer abgeblockt mit den Worten: "Ach, das ist schon so lange her, nein, darüber will ich nicht reden" usw.

Viele Grüße und in der Hoffnung, weitere Erinnerungen lesen zu können.

Zf :holy:
Demosthenes (384 - 322 v. Chr. Athen)
"Nichts ist leichter als Selbstbetrug, denn was ein Mensch wahrhaben möchte, hält er auch für wahr."

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Beitrag von guste » 01.10.2014 11:29

Lieber zulufox, auch Dir herzlichen Dank für die Willkommensgrüße.

Gern werde ich weiter berichten. Ich bin übrigens Jahrgang 1946 - ja, und auch meine Eltern waren mit Schilderungen eher zurückhaltend. Wenn, dann ging es um die verlorene Heimat ...

Ich habe in allen folgenden Jahren immer wieder viel an das Lagerleben denken müssen, aber nicht, weil es besonders schlimm war. Aber davon dann in Zukunft Weiteres.

Wie versprochen, werde ich mich wahrscheinlich gegen Ende nächster Woche "weiter ausbreiten" - danke auch für die Ermutigung, vor allen Dingen auf so nette Art.

Viele Grüße
guste

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Beitrag von guste » 13.10.2014 14:48

Hallo, da bin ich wieder. Etwas später als gedacht, aber immerhin.

Ich berichte kurz mal etwas über eine sehr spezielle Art der Versorgung:
Von Zeit zu Zeit bekamen alle Nachricht, ins Lagerleiterbüro zu kommen. Dann gab es wieder große Freude über - wie ich heute weiß - Care-Pakete. Sie hießen bei den Lagerbewohnern Karree-Pakete, weil es niemand besser wusste. Es wurde verteilt. Ich glaube, dass die meisten Pakete aus den USA und England kamen. Sie enthielten alle Art von Bekleidung, Decken, Bettwäsche, Schuhe - und Nahrungsmittel. Da gab es riesige Konservendosen mit Milchpulver, gesalzener Butter (oder war es Margarine?) und Käse. Aus den Dosen wurde für die Erschienenen portioniert und verteilt. Manchmal glaube ich noch, diese Dinge schmecken zu können. Es waren große goldfarbene Dosen mit Stempelaufdruck des Inhaltes. Das Milchpulver war süß und wurde mit der Zeit zu steinharten Klumpen, die man nur mit Mühe in kleinere Stücke zerteilen konnte. Die kleineren Stücke wurden entweder zu Milch aufgelöst oder einfach mit den Zähnen abgeschabt und so weggenascht. Die gesalzene Butter (oder Margarine) war goldgelb und sehr lecker. Der Käse war genau so goldgelb und unterschied sich eben durch Konsistenz und Geschmack von der Butter, war aber zumindest für mich unbeschreiblich lecker. Es gab auch Brot. Dunkles, seltsam strohig schmeckendes Brot. Aber mit der Butter und dem Käse ging es.

Ich erinnere mich an eine Sendung mit etwas eigenartigen Teilen, die wir als Schlafanzüge benutzten. Das waren Einteiler mit kurzen Ärmeln und Beinen; auf der Rückseite befand sich an einer Version ein senkrechter Schlitz an der anderen eine knöpfbare Klappe. Schlitz bzw. Klappe wurden für den Toilettengang (dazu an anderer Stelle mehr) geöffnet. Es kam auch schon mal im tiefsten Winter Sommerkleidung oder umgekehrt an. Vor allem Mädchenkleider in netten Schnitten aber gewöhnungsbedürftigen Mustern. Alles halt ein wenig auffälliger, als wir es kannten. Aber trotzdem haben sich alle gefreut, wieder etwas zu bekommen. Das waren wirklich fast Feiertage, wenn es hieß, dass ein Lkw mit Karree-Paketen angekommen ist.

Wie es genau bei der Verteilung zuging, weiß ich nicht, da Kinder nicht dabei waren. Das war Sache der Erwachsenen. Zu Hause wurde dann erst einmal alles ausgepackt, angesehen und schon mal geguckt, was denn für wen sein könnte. Die Lebensmittel waren dann ja keine Konserven mehr und nur noch begrenzt haltbar. Da war es ein Taktieren, damit so lange wie möglich auszukommen, aber auch zu sehen, dass sie nicht verdarben. Kühlschränke kannten wir damals noch nicht.

Es wäre ohne diese Pakete wohl um Einiges schlechter um uns bestellt gewesen. Noch heute bin ich für diese Zuwendungen dankbar. Wobei mir einfällt, dass ich mich nicht erinnern kann, darüber jemals gesprochen zu haben. Warum eigentlich nicht? Vielleicht, weil es niemanden interessierte?

So viel für heute und viele Grüße
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Beitrag von niemandsland » 14.10.2014 02:30

@ MikeG

Mike, es geht nicht um das Conti-Lager und auch nicht um das Accu-Lager. Das Lager das "Guste" hier beschreibt, ist ein Lager (wenn ich die erste längere Beschreibung richtig verstanden habe), das sich damals praktisch direkt am Anfang der Garbsener Landstraße, wenn man von der B6 in die Garbsener Landstr. abbiegt, so waren davon noch 3, 4 Wohnhäuser und direkt dahinter lag das Lager. Ich weiß jetzt nur nicht ob die Garbsener Landstr. damals von der Kölner oder der Stöckener Straße abging. Das Lager bestand aus einem zentralen Platz (rund), der hinter einer U-förmingen Baracke befand. Rechts und links davon waren je vier große und vier kleinere Baracken angeordnet.

Es gab das Gerücht, dass das Lager zu Kriegszeiten als eine Art Werkstatt der Accu diente, diese Information ist aber wirklich nur ein Gerücht, und ohne jeden Beleg (bisher).

Auf jeden Fall ist es auf der von mir angehängten Karte (Beitrag Nr. hier im Thread) das große Lager rechts außen als "Lager unbekannt" bezeichnet, und rötlich hervorgehoben. Es befindet sich genau zwischen "Auf dem Beckenberge" (unterhalb der Garbsener Landstr.) und "Im Diebeswinkel", direkt unterhalb des Roßbruchgrabens.

Der damalige Eingangsbereich dient heute der "Finca & Bar Celona" als Parkplatz.

Link: click mich

@ Guste

Zum einen möchte ich Dich herzlich hier im Forum begrüßen. Ich kann mich nur Mike und Zulufox anschließen: herzlichen Dank für die Schilderungen hier im Forum. Da ich persönlich an dem gesamten Lagerkomplex in Marienwerder interessiert bin, würde ich es begrüßen, wenn man vielleicht per PN (=Private Nachricht) oder per Email mal in Kontakt treten könnte?! Auf jeden Fall finde ich es toll, das es Menschen gibt, die uns, - in der Regel - eine Generation, die die Kriegs- und direkte Nachkriegszeit eher nicht selbst erlebt hat, an Ihren Erlebnissen und vor allem Erinnerungen teilhaben lassen.

Ich bin auf jeden Fall sehr daran interessiert, mehr über dieses Lager zu erfahren. Insbesondere auch darüber, wie das Lager 1949 (oder später) organisiert und strukturiert war. Was mir spontan an Fragen einfällt, wäre: Wie sah das im Lager 1949 oder später mit Sanitären Einrichtungen aus? Soweit ich mich erinnere befinden sich an den Kopfenden der größeren Baracken etwa 4x4 m oder 5x5 m große Fundamente, waren dies evtl. Toiletten? Kennen Sie die fünf oder sechs inzwischen leider überwiegend zusammengebrochenen Splitterschutzgräben? ("Deckungsgräben") Waren diese damals schon verschlossen? Oder in welchem Zustand befanden sich diese? Wurde diese vielleicht als Lager oder Müllkippe verwendet? Oder stammt der Inhalt der Gräben vielleicht doch von den lieben Nachbarn?
Gab es im Lagerbereich noch irgendwelche älteren Beschriftungen, die vielleicht auf die Nutzung während der Kriegszeit Rückschlüsse ermöglichen? Wurde vielleicht irgendetwas über die Nutzung per Mund-zu-Mund Propaganda weitergegeben? Selbst wenn es sich dabei um Gerüchte handelt, könnte dies hilfreich sein. Mit wie vielen Menschen war das Lager (geschätzt?) zu der Zeit, als ihre Eltern und Sie das Lager bewohnten, belegt? Wann erfolgte die Aufteilung des Lagers? Ist Ihnen vielleicht bekannt, wann das Lager abgetragen wurde?
Wenn es nicht zu privat ist, von woher stammt Ihre Familie?

Soweit meine spontanen Fragen...

Ich würde mich sehr freuen von Ihnen zu hören.

Gruß aus Hannover-Ahlem
Guido Janthor

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Beitrag von guste » 14.10.2014 10:49

@ Niemandsland,
guten Morgen, und ich habe mich sehr über die Reaktion gefreut.

Es geht genau um das von Dir vermutete Lager. Die U-förmige Baracke war keine durchgängige, sondern in der Mitte durch eine Toreinfahrt unterbrochen. Diese Baracke war zumindest an der rechten Stirnseite "normal" bewohnt, enthielt ansonsten die Lagerleitung. Darüber weiß ich aber sonst leider nichts weiter. Die Baracken rechts des "U" waren die des Lettenlagers. Beziffert waren sie nach meiner Erinnerung so, dass die erste an der Landstraße die Baracke 1, die folgenden quer dazu stehenden die Nrn. 3, 5, und 7 waren. Die kleinen "Fundamente" (ich denke Baracken 2,4 und 6) enthielten tatsächlich die für Frauen und Männer getrennten Toiletten und Waschbecken. Die Eingänge befanden sich nach dem Plan westlich/östlich. Wobei Baracke 6 zumindest einseitig (westl.) bewohnt war.

Gegenüber dem "U" das fast quadratische Gebäude enthielt den von mir bereits erwähnten Kaufmannsladen von Herrn Voges. Was dort sonst untergebracht war, weiß ich nicht. Rechts davon (wo der Pfeil ist) führte ein Weg ins Gelände, von uns Kindern "Cowboyberg" genannt. Warum, entzieht sich meiner Kenntnis. Vielleicht, weil man da grenzenlos spielen und toben konnte. Unter Anderem führte der Weg auch zur Akku, wo ja doch einige aus dem Lager Arbeit gefunden hatten. Am Übergang zum Gelände floss ein Bach, der die nördliche Grenze des Lagers hätte sein können. Dieser Bach war auch ein tolles Spielgelände.

Insgesamt waren es, wie ich vermute, Betonbaracken. Rechts des "U" ist auf dem Plan ein Punkt. Nach meiner Erinnerung war dort eine Baracke mit gewölbtem Wellblechdach. Die kleine Baracke westlich der von mir vermuteten Baracke 6 wurde zum Einen auch bewohnt, enthielt zum Anderen eine Art Gemeinschaftsraum, in dem z. B. zu Weihnachten von den Lagerkindern Aufführungen geboten wurden, die mit Hilfe des lettischen Pastorenpaares eingeübt wurden. Es fanden auch lettische Gottesdienste statt. Da meine ich, hätte es eine weitere Wellblechbaracke in Höhe der zuletzt beschriebenen gegeben. Aber da mag mich meine Erinnerung trügen.

Das lettische Pastorenpaar hielt für die lettischen Kinder auch Schulunterricht ab. Es wurde Lesen, Schreiben und Rechnen in lettischer Sprache gelehrt, sowie etwas Wissen über Lettland vermittelt. Wir lernten lettische Lieder und Gedichte und naturgemäß wurde vom Pastor lettischer Religionsunterricht erteilt. Es fanden sogar lettische Konfirmationen statt.

Diesen Informationen ist leicht zu entnehmen, dass meine Eltern aus Lettland kamen. Ich wurde in Deutschland geboren. Meine Eltern "durchliefen" mehrere Flüchtlingslager, an die ich mich aber selbst nicht wirklich erinnern kann.

Noch kurz zur Lage des Lagers. Wie die Straße damals hieß, von der die Garbsener Landstraße abzweigt, weiß ich nicht. Es gab zunächst eine (aus Kindes Sicht) breite unbefestigte Straße mit Schotter, die irgendwann ausgebaut wurde und bei uns nur "die neue Straße" genannt wurde. - Die heutige B 6.

Die Splitterschutzgräben sind mir leider gar kein Begriff. Wo auf dem Plan sollen sie evtl. sein?

Zur Anzahl der Bewohner kann ich nur schlecht etwas sagen. Da muss ich noch etwas "in mich gehen" um die Einteilung der Baracken wieder abzurufen. Aber das kriege ich bestimmt noch hin …

Laut Schulzeugnis müssen wir im Frühjahr 1957 das Lager verlassen haben. Ich denke, dass, je nach Fertigstellung der neuen Wohnungen, alle Bewohner in der Zeit Zug um Zug umgesiedelt sind.

Das soll es für heute erst einmal gewesen sein. Gern können wir uns per PN austauschen. An Beschriftungen oder Ähnliches kann ich mich nicht erinnern. Das mag auch damit zusammenhängen, dass ich als Mädchen wohl das Verständnis oder Interesse zu der Zeit nicht hatte, bzw. als Kind die Wahrnehmung einfach auch fehlte.

Viele Grüße und einen schönen Tag
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Beitrag von niemandsland » 15.10.2014 10:22

@ Guste

Guten Morgen!

Wie ich schon schrieb, hab ich bzgl. des Lagers "Garbsener Landstr. 7" Kontakt zu einem Historiker aufgenommen, und nach dem ich jetzt auch die Erlaubnis eingeholt habe, aus der privat erhaltenen Antwort zu zitieren, mach ich das jetzt einfach mal...

Die Garbsender Landstraße 7 ist ein ehemaliges Zwangsarbeiterlager der Accu, später DP-, dann Flüchtlingslager. Ich kenne einige ehemalige Flüchtlinge, die dort bis Ende der 50er Jahre untergebracht waren. Es ist inzwischen eine ganze Gruppe von Letten, die ich kenne, die dort leben mussten.

Sie haben dort gewohnt, Nahrungsmittel angebaut, Tiere gehalten.

Die verseuchte Schlacke der Firma ("Accu" Hannover/Hagen Anmerkung: NL!) wurden für die Wege und die Baracken genutzt, so dass sie sich vergiftet haben.

Meine Zeitzeugin hat sogar in dem verseuchten Bach (gemeint ist der "Roßbruchgraben", ein Entwässerungsgraben. Anmerkung NL!), der über das Gelände führt, gebadet.

Ich hoffe, dein Zeitzeuge weiß dies auch, da er sicher auch davon betroffen ist.

Ich habe für die "Stöcken"-Tafel daher folgenden Textvorschlag gemacht:
Auf diesem verseuchten Gelände lebte jahrelang unwissend eine Gruppe von lettischen Flüchtlingen bis zum Ende des Barackenlagers und zu ihrer Umsiedlung in Wohnungen. Eine Information über die Gefahren für ihre Gesundheit hat es bis heute für sie nicht gegeben.

Ilona K., eine von ihnen, schildert im November 2013 ihre Kindheit im Flüchtlingslager:
"Die Familie bestand aus meiner Großmutter und drei Kindern aus Lauenburg in Pommern, von wo sie 1944 vertrieben wurden. Meine Familie landete schließlich im Flüchtlingslager Stöcken. Mein Vater war Lette und kam 1948 nach Stöcken, wo er dann meine Mutter kennen lernte. Ich wurde 1952 geboren. Wir dachten, wir hätten dort eine sehr schöne Kindheit, aber in der Schule merkten wir, dass es anders war.
Wir waren für die Bevölkerung die 'Lagerratten' und 'Hurenkinder'.
Später habe ich erfahren, dass es unseren Großeltern und Eltern nicht gut ging. Es war sehr schwer für sie, unter den schlimmen Verhältnissen in den feuchten, kalten, zugigen Baracken ohne fließend Wasser zu leben.
Um Überleben zu können, mussten sie sich selbst versorgen und jede noch so minderwertige Arbeit annehmen. Es sollte ja nur für kurze Zeit sein, nur für den Übergang hieß es.
Es wurden dann aber quälende 16 Jahre daraus!
Leider wusste damals niemand, dass wir auf einem schwerst verseuchten Gelände wohnten. Viele Menschen, überwiegend Kinder, sind im Lager dadurch gestorben. Sie hatten Knochenkrebs und Leukämie. Bis heute leiden wir unter den Folgen der Verseuchung.
"

Soweit die Antwort von dem Historiker, der deutlich tiefer in der Thematik drin steckt, als ich selbst.

Anmerkung: Den von mir zitierten Text erhielt ich als reine Text-Email. Sämtliche hervorgehobenen und unterstrichenen Sätze bzw. Textteile habe ich selbst so gesetzt. Die Anmerkungen -- von mir - sind entsprechend gekennzeichnet.

Ich habe auch mal eine "Skizze" angehängt, die auf Grundlage eines Luftbilds aus den 1950er Jahren entstanden ist. Es zeigt das Lager recht exakt, wogegen die Details zum Rand eher ungenau werden, bzw. fehlen. Da von mir lediglich ein paar Punkte berücksichtigt wurden, die zur Verwendung im privaten GIS bzw. in GE nötig waren.

Vielleicht hilft die Zeichnung (Skizze) noch etwas genauer um das Lager zu beschreiben.

Soweit das zur erkennen war, befanden sich unten in Richtung Roßbachgraben, sowie rechts und links der Baracken kleine Gärten, mit dessen Hilfe sich die Bewohner "wahrscheinlich" zusätzlich versorgen konnten?

Nochmals Danke für die ausführlichen Schilderungen...

Gruß aus Hannover-Ahlem
Guido Janthor
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Beitrag von guste » 15.10.2014 12:20

@ Niemandsland,

ich versuche erst einmal, die einzelnen Punkte nach meiner Erinnerung "abzuarbeiten":

Das mit der verseuchten Schlacke war sicher niemandem bekannt und ist wirklich schockierend! Genau erinnere ich mich an ein kleines Mädchen, das wegen einer Krankheit verstorben war. Aber was es hatte - keine Ahnung. Es wurde auch nie wirklich - zumindest mir als Kind - nie über den Tod eines Menschen direkt gesprochen. Wir hatten eine alleinstehende Nachbarin, die krank wurde und dann plötzlich nicht mehr da war, ohne dass ich erfahren hätte, weshalb. Es wurde vieles wohl nur unter Erwachsenen besprochen. Zu merken war es auch, dass die Gespräche der Erwachsenen oft verstummten, wenn Kinder dazu kamen.

Im Grunde, glaube ich, waren alle erst einmal froh, eine Unterkunft und hier und da Arbeit zu haben.

In dem Bach haben wir Kinder im Sommer immer gespielt/gebadet. Das Wasser sah so klar aus ...

Ich weiß nichts von Informationen über Gefahren für unsere Gesundheit. Das war damals sicher auch nicht unbedingt üblich. - Im Nachhinein ist es so erschreckend.

Auch ich war lange Zeit davon überzeugt, dort eine schöne Kindheit gehabt zu haben. Für mich persönlich stimmt das irgendwie auch immer noch - aber das sind ganz persönliche, familiär bedingte Gründe. Ich hatte als Kind dort wirklich fast grenzenlose Freiheit. Ich musste wohl hier und da im Garten helfen ... dazu weiter unten mehr, aber ansonsten durfte ich dort Kind sein.

In der Schule wurden wir schon verlacht. Wir konnten so gut wie kein Deutsch. Bei mir führte das dazu, dass ich nur zuhörte, lernte, aber nicht sprach. Mein wunderbarer Klassenlehrer der ersten Schulklassen behielt mich in den Pausen manchmal im Klassenraum und befragte mich zum Unterrichtsstoff. Er sagte: "Du weißt doch wirklich alles, sag es doch einfach auch mal in der Stunde." Dann saß ich mit hochrotem Kopf vor ihm und brachte wieder kein Wort heraus.

Ja wir wurden beschimpft als Klauer, Lagerkinder und sicher einiges mehr. Aber da mussten wir nun mal durch.

Nur kurz zu "danach": wir zogen in Wohnblöcke mit nagelneuen Wohnungen. Dort wohnten Flüchtlinge aus allen möglichen Lagern, bzw. Ländern. Wie es uns in der "neuen" Umgebung und Schule ging? Na, ratet mal. Lagerkinder waren wir nicht mehr, aber über viele Jahre wurden wir auch dort nicht unbedingt akzeptiert. Wir Kinder sprachen alle ohne jeden Akzent deutsch, unsere Eltern sorgten durch Arbeit für unseren Lebensunterhalt - aber Ausländer blieben wir allemal.

Nun zurück zum Lager:
In der Nähe des Grabens hatten auch meine Eltern einen Nutzgarten angelegt. Meine Mutter war für Pflanzen und Säen, ich für Jäten, oder Schädlinge (z. B. Kartoffelkäfer) absammeln, Gießen (mit Wasser aus dem Graben) und Ernten zuständig. Schöner, leckerer grüner Salat mit frischem Schnittlauch, Tomaten, Radieschen, Kartoffeln, Zwiebeln, Erdbeeren - und was auch immer ...

Wenn ich mit heutigem Wissen daran denke, schaudert es mich.

Heute möchte ich mich erst einmal wieder verabschieden. Ich muss wieder ein wenig nachdenken und sortieren. Leicht neige ich wohl dazu, in langatmige Schilderungen zu verfallen.

Viele Grüße
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Beitrag von niemandsland » 16.10.2014 06:07

Hallo Guste,

zu der Belastung des Lagers mit Industrie-Schlacke, kann ich persönlich nur sagen, das ich vor einigen Jahren - trotz der dicken roten Schilder, die dort überall standen, und die vor der Belastung im Boden warnten, dort mehrfach umgesehen habe. Mich interessierte damals jedoch mehr die alte Flakstellung, die es inzwischen in der Form auch nicht mehr gibt. Ich war mit zwei Freunden oder guten Bekannten vor Ort. Es hatte diesen Tag geregnet, und der, der im Wagen geblieben war, dem ging es gut. Mein Bekannter und ich hatten mit Kopfschmerzen zu kämpfen. Die sich auch einige Tage hartnäckig hielten. Beim ersten mal hatten wir das nicht so ernst genommen, und waren schon am darauf folgenden Wochenende wieder auf dem Gelände unterwegs. Mit gleichem Ergebnis. Es hatte ebenfalls wieder geregnet. So das wir auch nicht mehr an Zufall oder so glaubten. Wenn man jedoch bei gutem Wetter sich dort aufhielt, so hatte man diese Probleme nicht. Ich habe - nachdem wir dann drei oder vier mal dort waren - diese Ecke nicht wieder besucht. Inzwischen wurde dort ein wenig saniert und wohl auch viel Boden abgefahren.

Ich möchte mir aber nicht ausmalen, welche Auswirkungen dieser Ort auf einen Menschen hatte, der dort sich nicht nur einige Stunden aufhielt, sondern dort über Jahre lebte.

Andererseits wird heute auch oft übertrieben. Als ich Jugendlicher war, fanden wir auf den Bolzplätzen eigentlich überall diese schicke rote zerkleinerte Schlacke, man hat sich die Knie aufgerissen, und auch sonst damit immer wieder zutun gehabt. Später hieß es dann, das die Schlacke belastet sei und verschwand überall, wie auch die Eisenbahnschwellen, die auch jahrelang überall zu finden waren. Nun, ich möchte das nicht vergleichen mit dem Gelände bei der Accu. Das geht auch nicht. Ich möchte einfach nur auf dem Umstand hinweisen, das es derartige Fälle wohl irgendwo immer gab.

Was den Roßbruchgraben betrifft, diesen schönen, klaren Bach, der sich wie ein natürliches Rinnsal durch das ganze Gelände zieht, so kann ich das nur bestätigen, das der Bach, der ja auch zur Entwässerung angelegt wurde, sehr klares Wasser enthielt. Jedoch auch bräunliche Ablagerungen.
Der gesamte Bach im Lagerbereich wurde komplett saniert. Zu diesem Zweck wurde der Bach stellenweise durch Rohre abgeleitet und dann das Gelände beackert. So zum Beispiel zwischen der späterten Firma Johnsen Control, und der Brücke am ehem. KZ Außenlager "Accu". Ich erinnere mich auch das wohl der Boden unmittelbar danach, in der früheren Gartenkollonie offenbar getauscht wurde.

Durch die Sanierungsmaßnahmen und durch Baumaßnahmen (das Gelände ist heute als Baufläche für Wissenschaftliche und Forschungszwecke ohne Keller ausgeschrieben) wurden bereits viele Bereiche dort großflächig verändert. Und wenn sich Investoren finden, so wird wohl auch irgendwann die Fläche des Lagers "Garbsener Landstr. 7" irgendwann vollständig verschwinden. Von den Accu-Hinterlassenschaften wird wohl langfristig nur das ehem "KZ Accu" (Stöcken) erhalten bleiben. Alles andere soll, so die Planungen früher oder später bebaut werden.
Leicht neige ich wohl dazu, in langatmige Schilderungen zu verfallen.
Nun, ich denke damit hat zumindest hier niemand wirklich Probleme. Besser ausführliche Schilderungen, als "Ich habe dort mehre Jahre gelebt.". Nein, ganz ehrlich ich bin super dankbar für all diese Schilderungen. Und ich denke, der eine oder andere sicherlich auch. Weil gerade aus dieser Zeit, der unmittelbaren Nachkriegszeit, erzählen noch immer viel zu wenige. Ich denke die Mehrzahl nimmt ihre Erlebnisse einfach so mit ins Grab. Was ich auch nachvollziehen kann. Denn jeder Mensch geht damit wohl anders um. Trotzdem sind die Schilderungen einfach schön. Sie ermöglichen Einblicke in eine Zeit, wo die meisten hier noch nicht gelebt haben. Sicher, für mich der direkten Bezug zu diesem Gelände hat, weil er aus den späteren Jahren fast jeden Betonbrocken oder jeden Stein dort kennt, ist so eine Schilderung einfach unfassbar. Ich habe Jahre nach Information gesucht, und dann sowas...

Ich kann mich einfach nur bedanken auch für Deine Offenheit.

Soweit erstmal auch für jetzt...

Gruß aus Hannover
Guido Janthor

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Beitrag von guste » 16.10.2014 11:58

Hallo Guido,

ich möchte nur kurz darauf hinweisen, dass meine Beschreibung des Lagers aufgrund des ersten von Dir eingestellten Planes zu sehen ist. Der später eingestellten Skizze nach müsste dann alles "umgedreht" werden.

Wieder und wieder erschreckend Deine Schilderungen der Besuche auf dem Gelände. Irgendwie habe ich im Vorbeifahren mal gedacht, dass ich da aussteigen möchte; aber das hat sich erledigt. Ich konnte mir noch nicht einmal das Lager dahin "denken". Das klappt im Gedächtnis besser.

Mir fällt gerade noch ein, dass es "Kinder-Verschickungen" gab. Wohin im Einzelnen und wer genau wohin fuhr, weiß ich nicht mehr. Möglicherweise hatten sie gesundheitliche Ursachen? Ich galt als klein und blass. Irgendwann habe ich wohl auch längere Zeit mit einer recht bösen Nierenentzündung im Kinderkrankenhaus zugebracht. Einmal - es wird 1954 gewesen sein - durfte ich mit einem weiteren Mädchen aus unserem Lager nach England. Die Erinnerung daran ist sehr schwach, es war einfach alles aufregend. Ich meinte immer, es wäre für die Dauer von 3 Monaten gewesen, bin mir aber nicht mehr sicher. Wir wurden in einem Kinder-Erholungsheim untergebracht und waren wohl ganz zufrieden. Ich hatte dort meinen Geburtstag und es gab zum Nachtisch Unmengen von Eiscreme ... Ich weiß auch nicht, wie viele Kinder dort waren. Es sind aber sicher nicht ganz wenige gewesen. Alle sprachen deutsch. Und es waren immer nur wenige, die sich von zu Hause kannten. Leider waren wir insgesamt wohl noch zu klein und hatten auch nicht die Möglichkeit, weiter Kontakt zu halten.

Einige Jahre verbrachte ich die Sommerferien in Holland. Dazu ein anderes Mal mehr, falls es überhaupt interessiert (es passt ja nicht wirklich zum Thema). Das ist für sich allein ein größeres Kapitel.

Viele Grüße
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Beitrag von niemandsland » 20.10.2014 10:27

Hallo guste!
guste hat geschrieben:Irgendwie habe ich im Vorbeifahren mal gedacht, dass ich da aussteigen möchte; aber das hat sich erledigt. Ich konnte mir noch nicht einmal das Lager dahin "denken". Das klappt im Gedächtnis besser.
...das ist ja auch schwierig, weil praktisch nichts mehr vom Lager (oder von den Lagern, es waren dort in der Nähe der Accu mindestens vier (4 !!!), übrig ist. Das erste "Garbsener Landstr. 7", dann kurz dahinter - nahe beim Werk - zwei Wehrmachtsbaracken, die ich nicht zuordnen kann; Dann folgt das KZ Neuengamme - Außenlager "Accu". Und dahinter das sogenannte "Russenlager" das heute auch niemand mehr kennt. Zu sehen ist praktisch nichts mehr davon. An das KZ-AL "Accu" erinnert seit einigen Jahren das Denkmal von dem Künstler Breuste, das mich persönlich nicht so wirklich anspricht. Aber das ist ein anderes Thema. An die anderen Lager erinnerte bisher nichts und niemand. Erst kürzlich sollen einige Tafeln dort von der Stadt aufgestellt worden sein, die ich selbst aber noch nicht kenne.

Und die Tatsache, dass das ehem. Lagerlände inzwischen zu einer Art "Parklandschaft" umgestaltet wurde, macht es auch nicht besser, da viele der Fundamente bereits beseitigt wurden und der Rest wohl spätestens, wenn sich ein Interessent für das Gelände findet, ebenfalls weichen wird. Bleiben wird einzig und allein das ehem. KZ-Gelände. Der Rest wird vollständig entfernt. Schade, wo es im Raum Hannover praktisch keine Flächen mehr gibt, wo man an die gesamte Facette der damaligen Lager erinnern könnte. Naja.. was wohl in Hannover auch nicht angestrebt wird. Ansonsten hätte man dieses Gelände auch anderweitig nutzen können.
guste hat geschrieben:Einmal - es wird 1954 gewesen sein - durfte ich mit einem weiteren Mädchen aus unserem Lager nach England. Die Erinnerung daran ist sehr schwach, es war einfach alles aufregend. Ich meinte immer, es wäre für die Dauer von 3 Monaten gewesen, bin mir aber nicht mehr sicher. Wir wurden in einem Kinder-Erholungsheim untergebracht und waren wohl ganz zufrieden. Ich hatte dort meinen Geburtstag und es gab zum Nachtisch Unmengen von Eiscreme ... Ich weiß auch nicht, wie viele Kinder dort waren. Es sind aber sicher nicht ganz wenige gewesen. Alle sprachen deutsch. Und es waren immer nur wenige, die sich von zu Hause kannten. Leider waren wir insgesamt wohl noch zu klein und hatten auch nicht die Möglichkeit, weiter Kontakt zu halten.
Kannst Du dich noch daran erinnern, wo Du damals in England warst? Ort? Irgendetwas?

Soweit für heute... leider bin ich etwas sehr kurz angebunden... :(

Gruß aus Hannover-Ahlem
Guido Janthor

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