Friedhöfe im Ruhestand

Zivile und sonstige Bauten mit geschichtlichem Hintergrund und deutlichem Bezug zu den Fachthemen, die jedoch nicht eindeutig zuzuordnen sind
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violette
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Beitrag von violette » 01.10.2011 23:48

Moin,

auf Hollwinkel gibts aber nicht nur: http://axel-bretschneider.de/ruhewald.htm
sondern auch ein vom Schloss abgetrenntes Erbbegräbnis. Mit Allee.
Rund, umzäunt, dominiert von alten Linden.

http://de.wikipedia.org/wiki/Schloss_Hollwinkel
Der Mittellandkanal verläuft 100 m nördlich der alten Parkgrenze. Durch den Bau des Kanals wurde das Erbbegräbnis vom Park abgetrennt.
Gruß,
Vi
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Janericloebe
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Beitrag von Janericloebe » 20.10.2011 00:35

Djensi hat geschrieben:violette hat da nicht unrecht, regelhaft wurden die Grabplätze außerhalb der Städte angelegt, ausgenommen waren Kirchhöfe. Später sind die Städte wieder um die Friedhöfe "herum gewachsen".
Wie gesagt, in Bezug auf das Mittelalter hat violette leider nicht recht. Und davon war ja die Rede. Aber irgendwie gerät hier zwischen (zwar alten und schönen) Erbbegräbnissen der Neuzeit und dem Mittelalter einiges durcheinander. Bis Städte außerhalb ihrer alten Stadtmauern wirklich wuchsen, dauerte es schon noch ein paar Jahrhunderte bis zur Industrialisierung. Vorher wuchsen die Stadtmauern nämlich aus taktischen Gründen mit.

http://de.wikipedia.org/wiki/Mittelalter
Djensi hat geschrieben:In den meisten Chroniken der Städte trifft man auf die Begrifflichkeit, "der Begräbnisplätze vor den Toren der Stadt".
In welchen Chroniken (?!) kommt denn so eine Begrifflichkeit vor? Vielleicht hast Du ja ein paar konkrete Beispiele. Für mich klingt das eher nach romantischer Literatur, aber die kam erst in der Neuzeit. ;)

Wenn ein mittelalterlicher Friedhof vor den Toren einer Stadt angelegt wurde, hatte dies zumeist platztechnische Gründe. Außerdem konnte dies nur in Friedenszeiten (also vor allem nach dem Dreißigjährigen Krieg) geschehen. Und der war ja selbst bei großzügiger Auslegung der Geschichte nicht mehr im Mittelalter.
Djensi hat geschrieben:Die Gründe waren vielschichtig, einerseits die pure "Angst" vor dem Totenkult,...
Die "pure Angst" vor dem Totenkult ist heute mit Sicherheit verbreiteter als damals. Schließlich sorgten im Mittelalter eine hohe Sterblichkeit, Hungersnöte, Kriege und nicht zuletzt die Todesstrafe dafür, dass man mit dem Tod praktisch täglich konfrontiert war. Ein naher Friedhof (und nicht hunderte Meter vor der Stadt) war da schon allein aus Gründen des Transports praktischer. Einfach mal den Beerdigungsunternehmer anrufen, war seinerzeit schlecht möglich.

In diesem (nicht von mir editierten) Wikipedia-Artitel stehen auch einige interessante Aspekte, wonach mittelalterliche Friedhöfe gerade aus Glaubensgründen INNERHALB der Stadt-/Kirchenmauern lagen und weshalb Tote im Christentum z. B. nicht einfach eingeäschert wurden:

http://de.wikipedia.org/wiki/Friedhof#G ... ntwicklung
Djensi hat geschrieben:...vermutliche Seuchengefahr oder Verbringung der durch Krankheit (Pest, Cholera usw.) umgekommenen Menschen unter Vermeidung der Ansteckungsgefahr etc. etc.
Ansteckungsgefahr und Ursachen von Krankheiten waren im Mittelalter noch nicht bekannt. Bis ins 19. Jahrhundert herrschte noch der Glaube an die vier Lebenssäfte:

http://de.wikipedia.org/wiki/Humoralpathologie

Richtig ist allerdings, dass z. B. Pestkranke (aber auch Arme, Gaukler, Unehrenhafte und die besagten Juden) auf Friedhöfen außerhalb der Stadtmauern begraben wurden. Aber das waren eben keine regulären Friedhöfe.

http://de.wikipedia.org/wiki/Pestfriedhof

Im Übrigen blieb Menschen, die zu Tode verurteilt waren, ein reguläres Begräbnis verwehrt, weshalb deren Körper ebenfalls vor den Toren der Stadt blieben - allerdings auf dem Henkersplatz und nicht unter der Erde. :shocked:
Djensi hat geschrieben:und das in den Stadtmauern einfach nicht genug Platz gewesen ist. Bei Belagerungen wurde es dann beispielsweise in kirchlichen Gruften "eng".
Gerade bei Belagerungen war eine Bestattung außerhalb der Stadtmauern wohl kaum möglich, oder? Es sei denn, man hatte genug Munition für den nötigen Feuerschutz. ;)

========

Da Bilder aber mehr als meine tausend Worten sagen, hier ein paar Ansichten vom Friedhof / Kirchhof der mittelalterlichen Wehrkirche in Kraftshof. Dort sind noch zahlreiche Gräber aus dem (neuzeitlichen) 18. und 19. Jahrhundert erhalten, darunter auch das Erbbegräbnis der Nürnberger Patrizierfamilie Kreß von Kressenstein. Weitere, ältere Gräber der Familie befinden sich in der Kirche.

http://de.wikipedia.org/wiki/Kreß_von_Kressenstein

Bei solchen Kirchhöfen, wie sie später aus Platzgründen vielerorts eingeebnet wurden, handelt es sich übrigens nicht um eine regionale Besonderheit. Auch im mittelalterlichen Amsterdam oder Hamburg (die zur Entstehungszeit von z. B. Kraftshof allerdings noch gar nicht existierten) wurde zunächst um und in Kirchen bestattet und auch dort entstanden reguläre Friedhöfe außerhalb der Stadt erst ab dem 18./19./20. Jahrhundert.
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Zuletzt geändert von Janericloebe am 20.10.2011 01:02, insgesamt 4-mal geändert.

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Beitrag von Janericloebe » 20.10.2011 00:36

Und hier noch der Standort der Kirche St. Georg in Kraftshof. Weitere Beispiele alter Kirchhöfe (oder deren Reste) folgen.

Gruß
Janericloebe
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violette
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Beitrag von violette » 20.10.2011 08:38

Moin,

@ Janericloebe Djensi hat da nicht unrecht, er bezieht sich eben auf folgendes Zitat:
violette hat geschrieben:
Die frühen jüdischen Friedhöfe lagen – wie andere Friedhöfe nach dem Mittelalter auch – außerhalb der Stadt. Diese Lage lässt sich mit der Weisung erklären, dass sich die Lebenden nicht mit den Toten innerhalb der Stadtmauern aufhalten dürfen.
und dort ist die Rede von Friedhöfen die nach dem Mittelalter angelegt wurden ;)

Nichtdestotrotz vielen Dank für den ausführlichen und interessanten Beitrag :!:

Gruß,
Vi

Janericloebe
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Beitrag von Janericloebe » 20.10.2011 13:25

violette hat geschrieben:Moin,

@ Janericloebe Djensi hat da nicht unrecht, er bezieht sich eben auf folgendes Zitat:
violette hat geschrieben:
Die frühen jüdischen Friedhöfe lagen – wie andere Friedhöfe nach dem Mittelalter auch – außerhalb der Stadt. Diese Lage lässt sich mit der Weisung erklären, dass sich die Lebenden nicht mit den Toten innerhalb der Stadtmauern aufhalten dürfen.
und dort ist die Rede von Friedhöfen die nach dem Mittelalter angelegt wurden ;)

Nichtdestotrotz vielen Dank für den ausführlichen und interessanten Beitrag :!:

Gruß,
Vi
Hallo. Wie ich schon sagte, ist um diesen Satz einiges durcheinander geraten. Deshalb hatte ich das dringende Bedürfnis, einige Ungereimtheiten (pure Angst vor Totenkult, Hygiene im Mittelalter etc.) zu klären. Auch waren "frühe" jüdische Friedhöfe nicht erst "nach" dem Mittelalter entstanden. Allerdings verschwanden diese vielerorts bereits noch während dieser Periode. Gründe waren Verbannung von Juden, Pogrome, etc.

Und auch hier wieder ein praktisches Beispiel: Die jüdischen Friedhöfe der Stadt Nürnberg. Nachdem im Jahr 1499 alle Juden die Stadt verlassen mussten, wurde auch deren (bereits zweiter) mittelalterlicher Friedhof, der innerhalb der Stadtmauern lag (siehe Geodaten), eingeebnet. Die Nürnberger Juden zogen ins Umland. So entstand z. B. im benachbarten Fürth ab dem 16. Jahrhundert eine der größten jüdischen Gemeinden Süddeutschlands. Aber auch in vielen Dörfern und Kleinstädten außerhalb des Nürnberger Landes durften sich Juden niederlassen, wovon noch zahlreiche ehem. Synagogen und Friedhöfe zeugen (Beispiele folgen noch).

Erst ab 1850, nachdem Nürnberg zum Königreich Bayern gehörte, durften sich wieder Juden in der Stadt ansiedeln. Davon zeugen der "Alte" (1864-1922) und der Neue Jüdische Friedhof (seit 1910), die trotz der Ereignisse ab 1933 mehr oder weniger gut erhalten sind. Letzterer ist auch heute noch / wieder in Gebrauch, also nicht (mehr) im Ruhestand.

http://www.ikg-nuernberg.de/index.php?pageid=gem_hist
http://www.alemannia-judaica.de/nuernberg_friedhof.htm
http://de.wikipedia.org/wiki/Alter_J%C3 ... Crnberg%29
http://de.wikipedia.org/wiki/Neuer_J%C3 ... Crnberg%29

Gruß
Janericloebe, der trotz seiner Besserwisserei auf weitere stimmungsvolle Fotos und Beiträge von violette hofft... ;)
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gfaust
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Beitrag von gfaust » 20.10.2011 22:55

Ein weiterer jüdischer Friedhof den ich kenne liegt hier:

http://www.panoramio.com/photo/42761278

Vom gleichen Fotografen gibt es noch mehr Bilder, ehemaliger jüdischer Friedhöfe in der Umgebung.

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Beitrag von Djensi » 21.10.2011 14:05

Moin,

@ janericloebe :

Vielleicht sind wir mit den Zeitaltern ein wenig verrutscht, aber nicht alle Städte hatten im späten Mittelalter oder in der freuen Neuzeit ausreichend groß angelegte Kirchhöfe oder Gottesacker in ihren Mauern. Meine Anmerkung, dass in vielen Chroniken von der Verlegung der Begräbnisplätze vor die Tore der Stadt berichtet werden, ist keine Ableitung aus romantischer Literatur, sondern Tatsache. Einige Beispiele:

Karlsruhe - 1577- Verlegung Begräbnisplatz vor die Tore der Stadt
München - 1563 (Südfriedhof)
Weida - Mitte 16. Jh.
Meersburg - 17. Jh.
Gießen - 1530
Lübeck - Begräbnisplätze vor dem Burgtor und dem Holstentor Mitte 16. Jh.
Kassel - in Verbindung mit dem "Siechenhof" Mitte 13. Jh.
Kiel - 1350
Hamburg - Ende 15. Jh.St. Michealis heute: Michel! damals noch außerhalb der Stadtbefestigung und St. Georg ca. 12 Jh.. Desweiteren im 18. Jh. haben die Hauptkirchen Areale auf der Moorweide vor der Stadtbefestigung als Begräbnisplätze benutzt.
Wismar, Braunschweig und da liessen sich noch viele hinzufügen...


Insbesondere die Pestepedemien Mitte des 14. und im 16. Jh. trugen zu dieser Entwicklung bei. Die nahezu regelhafte Verlegung der Friedhöfe außerhalb der damaligen Stadtgrenzen ist im 18. und 19. Jh. zu beobachten. Das hat, wie Du bereits erwähntest, sicher mit der Industrialisierung und dem sprunghaften Anstieg der städtischen Bevölkerung zu tun.

Grüße
Djensi

ti79
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Beitrag von ti79 » 21.10.2011 20:03

@Djensi:

Karlsruhe, bist du sicher? Karlsruhe wurde doch erst 1715 gegründet. Da könnte höchstens Durlach gemeint sein, heute Stadtteil von Karlsruhe.

Gruß,
Timo

Janericloebe
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Beitrag von Janericloebe » 22.10.2011 01:30

Djensi hat geschrieben:@ janericloebe: Vielleicht sind wir mit den Zeitaltern ein wenig verrutscht, aber nicht alle Städte hatten im späten Mittelalter oder in der freuen Neuzeit ausreichend groß angelegte Kirchhöfe oder Gottesacker in ihren Mauern. (...) Insbesondere die Pestepedemien Mitte des 14. und im 16. Jh. trugen zu dieser Entwicklung bei. (...)
Eben.
Janericloebe hat geschrieben:Wenn ein mittelalterlicher Friedhof vor den Toren einer Stadt angelegt wurde, hatte dies zumeist platztechnische Gründe. (...) Richtig ist allerdings, dass z. B. Pestkranke (aber auch Arme, Gaukler, Unehrenhafte und die besagten Juden) auf Friedhöfen außerhalb der Stadtmauern begraben wurden. Aber das waren eben keine regulären Friedhöfe.
Dann sind wir uns ja wieder einig. ;)

=======

Wie versprochen noch ein paar echte mittelalterliche Kirchhöfe oder deren Reste und nachfolgenden Gräber, die ich teilweise durch Zufall gefunden habe.

Im Gegensatz zu vielen Pestfriedhöfen, die sich zu normalen Friedhöfen weiterentwickelten, wurden zahlreiche Kirchhöfe später eingeebnet. Auch wurden die meist vorhandenen Kirchhofmauern aus ästhetischen oder verkehrstechnischen Gründen abgetragen. Solche Mauern gab es übrigens nicht nur bei Wehrkirchen, da man die Kirche auch in Friedenszeiten und innerhalb einer Stadt vor herumlaufendem Vieh etc. schützen musste.

Gruß
Janericloebe
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