Der "vergessene Kölner Bunker" mit tausenden von Toten

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g.aders
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Der "vergessene Kölner Bunker" mit tausenden von Toten

Beitrag von g.aders » 23.06.2020 11:36

Guten Tag in die Runde,

hier mal ein langer Texxt darüber, wie so ein Gerücht oder eine Legende entsteht und wieder verschwindet:
Die im Herbst 1944 geschaffene Dienststelle United States Strategic Bombing Survey (USSBS), zu der sowohl Militärs als auch zivile Experten gehörten, hatte den Auftrag, die Auswirkungen der alliierten Luftangriffe, besonders aber die der amerikanischen Luftstreitkräfte, gegen Städte, Industrieanlagen und Verkehrseinrichtungen in Westeuropa, Deutschland, Italien und später auch in Japan zu untersuchen. Für die so genannten Field Reports wurden Organisation und Wirksamkeit des Luftschutzes untersucht. In dem Report über Köln steht, dass in der Nacht zum 29. Juni 1943 eine Bombe die Decke eines Luftschutzraumes unter dem Kaiser-Wilhelm-Ring durchschlagen habe. Sämtliche Insassen des für den Aufenthalt von 2000 Menschen vorgesehen LS-Raumes seien getötet worden, die genaue Zahl der Toten sei nicht festgestellt worden, da man bis Sommer 1945 den Bunker noch nicht geöffnet und keine Toten geborgen habe. Als Quelle werden Aussagen von „verlässlichen Personen“ genannt.
Über eine solche Katastrophe wurde jahrzehntelang in Köln nichts berichtet. Sie wird nicht erwähnt in zwei publizierten Tagebüchern Kölner Zeitungsredakteure, in keinem Zeitungsbericht, der in den ersten Nachkriegsjahrzehnten an den verheerenden „Peter-und-Paul-Angriff erinnerte. Es findet sich nichts in Unterlagen des Standesamts, nichts in Akten des Stadtarchivs noch in den „Tagesmeldungen“ des Kölner Polizeipräsidenten, die im Landesarchiv NRW vorhanden sind. Über jeden Luftangriff hatte der „Pol.Präs.“ eine Akte anlegen lassen, in denen alle Schadensstellen und Listen aller Todesopfer mit dem Sterbeort aufgeführt sind.
Die einzige schriftliche Quelle war bis Ende der 80er Jahre der „Cologne Field Report“, aber bevor ich ihn für das Stadtarchiv ankaufte, gab es ihn in keiner Kölner Bibliothek bzw. in keinem Archiv.
Aber im „Untergrund“ muss die Erzählung der „verlässlichen Personen“ aus dem Jahr 1945 weitergegeben worden sein. Denn als man im April 1985 beim U-Bahn-Bau zwei Meter unter dem Park am Kaiser-Wilhelm-Ring auf eine unbeschädigte Betonröhre stieß, die von der Herwarthstraße bis zur Christophstraße verlief, titelte der Kölner Stadtanzeiger am 11.4.85: „Der vergessene Bunker. Stadt: Keine Knochenfunde an der Baustelle Kaiser-Wilhelm-Ring“. Das letztere lässt auf das noch immer umlaufende Gerücht vom dem Volltreffer und den vielen Toten schließen.
18 Jahre später:
2003 hielt ich in Köln einen gut besuchten Vortrag mit dem Titel „Der Luftkrieg gegen Köln – Legenden und Tatsachen“ (der in erweiterter Form als Beitrag im Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins erschien), in dem ich auch die Geschichte von den angeblich 2000 Toten in dem LS-Raum erwähnte.
Daraufhin bekam ich jede Menge Anrufe und Zuschriften von „Zeitzeugen“, die mir den Volltreffer „bestätigten“ – allerdings darunter kein einziger Kölner, der von seinem Alter her den Angriff von 1943 miterlebt haben könnten. Es waren alles jüngere Köln, die von älteren Verwandten, Bekannten usw von der Katastrophe gehört hätten. Darunter eine Dame, die von einem ehemaligen Lehrer des Königin-Luises-Gymnasium gehört hätte, dass in dem Bunker einige hundert Schülerinnen „KLG“ gestorben seien. Auf meine Rückfrage, wieso so viele Mädchen dieser Schule ausgerechnet bei Nacht hat in diesen Bunker gegangen sein sollten, reagierte die Dame äußerst aggressiv, weil ich es gewagt hätte, ihre Aussage anzuzweifeln. (die Reaktionen der anderen Zeitzeugen war ähnlich: ich wäre kein Kölner, außerdem viel zu jung, und was ich mir anmaße, die Berichte seriöser Mitbürger anzuzweifeln.) Und mein Hinweis, dass man 1985 bei der Freilegung des LS-Raumes keine menschlichen Überreste gefunden hätte, wurde damit gekontert, dass man nie den ganzen Stollen freigelegt hätte.
Das ist jetzt alles ein paar Jahre her und die Story ist tot – wie auch bald die Legende vom Goldzug sein wird.
Beste Grüße
Euer
Gebhard Aders

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MikeG
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Re: Der "vergessene Kölner" mit tausenden von Toten

Beitrag von MikeG » 23.06.2020 12:30

Vielen Dank!

Zwar kenne/kannte ich dieses ferücht nicht, aber das "Drumherum", die "seriösen Zeugen", deren Beharrlichkeit und manchmal Empörtheit oder gar Agressivität, der "Stille-Post-Effekt", all das ist leider oft recht typisch. Manchmal kommt dann als Reaktion sogar noch eine Verschwörungstheorie hinzu - "Ja, das ist nämlich absichtlich vertuscht worden, daran sieht man ja, dass es wahr ist.".

Mike

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zulufox
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Re: Der "vergessene Kölner" mit tausenden von Toten

Beitrag von zulufox » 23.06.2020 13:52

Hallo Mike,

:mrgreen: :thumbup:

Gruß
Zf :holy:
Demosthenes (384 - 322 v. Chr. Athen)
"Nichts ist leichter als Selbstbetrug, denn was ein Mensch wahrhaben möchte, hält er auch für wahr."

g.aders
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Re: Der "vergessene Kölner Bunker" mit tausenden von Toten

Beitrag von g.aders » 06.07.2020 10:28

Guten Tag zusammen,
inzwischen hatte ich Kontakt mit einer Kölner Arbeitsgeminschaft für Festungsbau, die sich auch mit Bunkern aus der Neuzeit befasst.
Also:
Der Bunker ist ein Röhrenbunker, der aus einem Eingangsbereich von 7 m Länge sowie aus 4 Abschnitten von je 15 m besteht/bestand.
Fassungsvermögen max 200 Personen - die Angabe über ein Fassungsvermögen von 2000 Personen stimmt also nicht - entweder hat 1945 jemand den Amis völlig übertriebene Angaben gemacht oder aus der Zahl "200" ist durch Schreibfehler eine "2000" geworden.
Beste Grüße
Gebhard Aders

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Re: Der "vergessene Kölner Bunker" mit tausenden von Toten

Beitrag von hindenburg » 21.09.2020 21:52

g.aders hat geschrieben: 06.07.2020 10:28 Guten Tag zusammen,
inzwischen hatte ich Kontakt mit einer Kölner Arbeitsgeminschaft für Festungsbau, die sich auch mit Bunkern aus der Neuzeit befasst.
Also:
Der Bunker ist ein Röhrenbunker, der aus einem Eingangsbereich von 7 m Länge sowie aus 4 Abschnitten von je 15 m besteht/bestand.
Fassungsvermögen max 200 Personen - die Angabe über ein Fassungsvermögen von 2000 Personen stimmt also nicht - entweder hat 1945 jemand den Amis völlig übertriebene Angaben gemacht oder aus der Zahl "200" ist durch Schreibfehler eine "2000" geworden.
Beste Grüße
Gebhard Aders
Hallo @g.aders,
bin erst gerade auf deinen Beitrag gestoßen. Wirklich sehr interessant, vielen Dank auch für das Update!

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