Prager Frühling 1968: Ausgabe scharfer Munition beim Bund?

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turul
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Beitrag von turul » 08.11.2013 20:26

Ich gehöre auch schon zu den älteren Semestern und kenne noch diese "alte Bundeswehr". Aus meiner Erfahrung sage ich dazu:

Wie oben schon festgestellt - 1968 gab es noch keine Übungsmunition, also kann die Erzählung schon von daher nicht stimmen.

Genauso unwahrscheinlich ist die Ausgabe von Platzpatronen (Manövermunition):

a)Diese Munition ist -wie oben auch schon festgestellt - genauso für Suizide geeignet. Ich war Feldjäger und habe in mehr als dreißig Dienstjahren mehr als einen solchen Fall als "Besonderes Vorkommnis" dokumentieren und melden dürfen.

b) Wo soll den diese Manövermunition herkommen? Hat der "fürsorgliche Vorgesetzte" die in seiner Schreibtischschublade aufbewahrt, weil er sie bei der letzten Gefechtsübung übrig behalten hat? Offiziell angefordert kann er sie wohl nicht haben.
Die Wachmunition lagerte im Wachlokal, wurde bei Wachwechsel überprüft und übergeben. Wie sollen denn da auf einmal Platzpatronen dazwischen geschmuggelt werden? Jeder Vorgesetzte muss sich doch darüber im klaren sein, dass er in Teufels Küche kommt, wenn irgendeiner der Wachsoldaten die Geschichte von der ausgetauschten Wachmunition herumerzählt. Dieses Verhalten des Wachvorgesetzten wäre nicht mehr nur ein blosses Dienstvergehen, sondern wir haben hier den Straftatbestand der Wachverfehlung nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 Wehrstrafgesetz mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe (neben der zu erwartenden disziplinaren Ahndung).

Deichgraf63
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Beitrag von Deichgraf63 » 08.11.2013 20:50

Warum sollte mein damals bester Kumpel mir Märchen erzählt haben? Als "Küchenbulle" bekam er viel mit und am Wochenende trafen wir uns oft. Der Bund und sein Wehrdienst waren oft Thema, schon weil er gegen den Rat seiner Freunde da angetreten war. Geholfen haben wir ihm trotzdem, Auto besorgt usw. Auf jeden Fall war das hinterher genug für ihn, aber auch nicht schlimm, weil er nur 45 km weit weg wohnte und prima zwischendurch nach Hause kam.

gfaust
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Beitrag von gfaust » 08.11.2013 21:09

Der Artikel

http://www.wlz-fz.de/Lokales/Serien/50- ... h-auf-Prag

beschreibt ganz gut die Vorgänge aus Sicht der Bundeswehr.
Auch die Bundeswehr wurde in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt, Teile des II. Korps brachten sich in Süddeutschland in ihrem „Verfügungsraum“ in Stellung, zweimal täglich rief Verteidigungsminister Gerhard Schröder seine Generäle zum Lagevortrag zusammen.
Ergänzend noch:

http://www.dradio.de/dlf/sendungen/inte ... lf/834820/
Eisele: Wir waren natürlich sozusagen hoch gespannt, weil sich das in unmittelbarer Nähe auch der Einsatzräume meiner 4. Panzergrenadierdivision, also im Osten Bayerns, in der Oberpfalz, in Niederbayern abspielte. Die unmittelbare Reaktion der NATO war eigentlich sehr verhalten, denn während wir jungen Offiziere damals damit rechneten, wir müssten möglicherweise aufmunitionieren und vielleicht auch schon in Auflockerungsräume außerhalb unserer Kasernen ziehen, war davon überhaupt nicht die Rede. Es schien so, als ob die politische Führung in der NATO, aber auch in der Bundesrepublik das ganze, die Gefährdungssituation sozusagen herunterspielen wollte.
Edit: Weitere Quelle hinzugefügt

Deichgraf63
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Beitrag von Deichgraf63 » 08.11.2013 21:48

Aus Sicht eines zivilen Zeitzeugen fand ich die Lage damals gar nicht so bedrohlich. Man hoffte zwar, der "Prager Frühling" würde Erfolg haben, aber Gefahr für uns empfand ich damals nicht.
Erst die Berichte später von meinem Kumpel beim Bund haben mich nachdenklich gemacht. Das war Jahre vorher bei der sogenannten "Kubakrise" 1962 ganz anders, Schlagzeile damals in der Heimatzeitung "Gibt es Krieg?" Wir hatten bei uns nicht einmal einen Keller, ich überlegte damals, im Schacht über den Heizöltank vor dem Haus unterkriechen zu können. Albträume hatte ich damals auch, die endeten in einer grellen Atombombenexplosion. Kein Witz, liebe Leser hier.
Auch die Polenkrise 1980 war aus meiner Sicht beängstigend. Im Sommer 1980 fuhr ich nach Schweden in den Urlaub, alleine mit Zelt. Im Hinterkopf immer den Gedanken, wen es knallt wäre ich dort sicherer, als zu Hause. Die jüngeren Leser hier werden das kaum nachvollziehen können, glaube ich.

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kuhlmac
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Re: Prager Frühling 1968: Ausgabe scharfer Munition beim Bun

Beitrag von kuhlmac » 09.11.2013 14:06

Deichgraf63 hat geschrieben:Noch eine für mich glaubhafte Geschichte von einem guten Bekannten von damals. Der diente 1968 beim Raketenartilleriebataillon 650 in Breitenburg-Nordoe bei Itzehoe. Bewaffnung war die Sergeant Rakete, das Sonderwaffenlager dazu befand sich im Wald bei Kellinghusen.
Ich habe mir das jetzt auch mal ein paar Tage durch den Kopf gehen lassen und, da ich im "Umfeld" von 650 bei 611 war, kann ich, zumal SAS auch aktiv erlebt, meinen Senf geben.

Wer redet denn von Üb-Mun? In Meyn A wie K wurde natürlich immer scharfe Mun für die Wachen ausgegeben, sowohl für das G3 (zuerst mitgemacht) wie auch für die P1, die ich als stv. WH K später immer am Mann hatte. Was auch sonst? Üb-Mun habe ich da noch nie gesehen, höchstens grüne "verschwundibuse" vom Gruppenschiessen. Insoweit unterschreibe ich die Schilderungen von turul, das kenne ich genau so.

Im übrigen hatte man bei den Wachgängen auch immer die vier Magazintaschen "voll" dabei, in beiden Lagern. Alleine schon die Amis im A achteten schon strikt auf "Wachsamkeit" - und wenn man im "Lehnstuhl" K im Funk deren Übungen hörte, war man meist schon froh, nicht "da drüben" zu sein.

Tatsächlich halte ich es aber ggf. für möglich, dass 68 die Mun-Menge für die Wachen angepasst worden sein könnte, aber so ganz überzeugt bin ich nicht, da bei Sw in den 80ern immer "genug" scharfe Mun und auch alle Waffen (bis auf die FK20) mitgeführt wurde, mindestens bei der BglStf. Die hatten in ihren Wachtörns ganze Kisten "scharf" auf den Unimogs und passten gut drauf auf. Warum sollte das früher anders gewesen sein, zumal bei der Funktion "atomare Teilhabe"?

Und das manche in diesen Einheiten "am Rad gedreht" haben, kann ich nur bestätigen. Spindausräumen nach Abmarsch des betroffenen Soldaten ins LKH wegen heftigem (aber zum Glück haarscharf niemanden treffenden) Missbrauch einer Schusswaffe in Stellung "F-rieden" macht auch in Stabsfunktion nur bedingt Spaß.
"Wir essen jetzt Opa!" Satzzeichen retten Leben!

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Re: Prager Frühling 1968: Ausgabe scharfer Munition beim Bund?

Beitrag von karstenHH » 21.12.2014 13:43

Deichgraf63 hat geschrieben:Noch eine für mich glaubhafte Geschichte von einem guten Bekannten von damals. Der diente 1968 beim Raketenartilleriebataillon 650 in Breitenburg-Nordoe bei Itzehoe. Bewaffnung war die Sergeant Rakete, das Sonderwaffenlager dazu befand sich im Wald bei Kellinghusen.
Nach dem Einmarsch der Russen in der Tschechoslowakei wurde an die Truppe "scharfe Munition ausgegeben", erzählte er später. Es wurde wohl damit gerechnet, dass es kurzfristig zu einem Einsatz kommen konnte. Auf alle Fälle soll da eine ziemlich gedrückte Stimmung geherrscht haben. Der Informant wechselte dann später auch zum Deutschen Wetterdienst.
War das damals wirklich so "knapp"? Gut, man konnte nicht wissen, ob der Russe nicht gleich weitermarschiert. Der "Atomhammer" scheint damals aber sehr locker gehangen zu haben.
Hallo.
Ich hole den Thread mal hoch.
Lange ists her so Anfang der 80er ,da unterhielt ich mich mit einen Älteren Bekannten darüber der zu der zeit Gedient hatte.
Er sagte mir sowas das Nato Alarm ausgelöst wurde und viele Einheiten in Verfügungsraum verlegt wurden.Ohne Mun.
Sie wurden langsam nervös weil der Alarm ziemlich lange ging und sich immer mehr 72 Stunden annäherte.Nach 72 Stunden wäre Aufmunitioniert wurden und der Alarm ein Heisser sagte er mir .So aus meiner Erinnerung heraus.
Was auch mehr Sinn macht.Aufmunitioniert in Verfügungsraum hätte der Warschauer Pakt ja auch leicht als Kriegsvorbereitung werten können oder das die Nato da in der CSSR eingreiffen will.
Wie das also nun genau war weiss ich nicht. Aber an diesen Gespräch erinner ich mich noch gut und deckt sich auch damit wie die Nato bei Normalen Alarm verfuhr.Wenn raus in Verfügungsraum dann erstmal ohne Munition.Bei ein Überraschungsangriff auf die Bundesrepublik wäre das natürlich anders gewesen,Aber den gabs da nicht.
In Verfügungsraum zu gehen war ja erstmal eine Vorsichtsmassname.
Nicht auszudenken die Bundeswehr wäre Aufmunitioniert aufmarschiert und ihre Verbündeten und ein Kommandeur wird nervös und gibt ein Befehl der zum Krieg geführt hätte.
Es war ja nun auch kein Heisser Alarm im eigentlichen sinne.Deshalb gehe ich auch davon aus das es so war.Es gibt da ja mehrere Stufen bei den Alarmen und das war noch keine wo Aufmunitioniert losgefahren wird.
MFG karsten

Hans Ludwig Wiegel
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Prag 68: Ein Panzer wurde aufmunitioniert

Beitrag von Hans Ludwig Wiegel » 17.01.2015 10:59

Hallo,

angeblich wurde, lt. Aussagen meiner Frisörs, der während des Prager Frühlings 1968 seinen Grundwehrdienst in der selben Kaserne leistete, wie ich später, ein Kampfpanzer komplett aufmunitioniert.

Der Panzer war nach wie vor in der Kaserne abgestellt, nicht in irgendeinem Verfügungsraum.

Die Kaserne, aber inzwischen mit einer anderen Einheit, liegt ca. zwischen 23 und 35 Kilometer von der deutsch-tschechischen Grenze entfernt.

Gruß

Hans Ludwig

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