US Honest John Raketen eher unbrauchbar gewesen?

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Deichgraf63
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US Honest John Raketen eher unbrauchbar gewesen?

Beitrag von Deichgraf63 » 07.11.2013 12:42

Ein damaliger Freund war seinerzeit als Wehrpflichtiger beim Raketenartilleriebataillon-62 in Kellinghusen stationiert gewesen. Dort war damals Waffensystem Honest John stationiert, eine ungelenkte Kurzstreckenrakete. Die nuklearen Sprengköpfe waren im Sonderwaffenlager dort im Wald untergebracht. Das sah damals anders, als heute aus: Panzergraben als erste Sperre rundum und massig fette Scheinwerfer um das ganze Areal.
Aber zu den Raketen: angeblich mussten die vor einem Start ewig mit Heizdecken vorgewärmt werden (die Shelter dort waren innen nackt und kahl, keine Heizung vorhanden). Bei der kurzen Reichweite der Waffe wäre jeder Feind eher dagewesen, als überhaupt eine Rakete losgeflogen wäre, so die Meinung von damals.
Entsprechend schlecht soll die Moral der Truppe gewesen sein: Im Ernstfall wären wohl alle getürmt, meinte er. Lag wohl auch an dem möglichen "Spielzeug" vorne: Im Ernstfall wäre das Waffenlager samt Kaserne wohl eines der ersten Ziele eines Gegners gewesen.
Die zweite Geschichte gab es in der Kaserne nur als Gerücht: Beim Probeschießen in der Heide soll sich mal eine Rakete nicht vom Startfahrzeug gelöst und dieses "mitgenommen" haben. Soldatenlatein oder gab es da mal einen derartigen Zwischenfall?

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MikeG
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Beitrag von MikeG » 07.11.2013 13:01

Moin!

Zeitzeugen sind immer eine ganz interessante Quelle - die Aussage eines damals seinen Grundwehrdienst Leistenden ist aber schon aus zwei Gründen doch mit etwas Vorsicht zu genießen: Das Ganze ist nicht nur lange her und die Erinnerung trügt da erfahrungsgemäß öfter als erwartet. Hinzu kommt, dass ein Soldat im Grundwehrdienst auch schon ohne diesen zeitlichen Abstand nicht unbedingt in der Lage ist, die Dinge komplett zu überschauen, zu beurteilen und qualifiziert zu bewerten.

Mike

Deichgraf63
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Beitrag von Deichgraf63 » 07.11.2013 14:15

Der "Buschfunk" liefert aber immer mehr Wahrheiten, als was zu der Zeit offiziell gesagt wurde. Mein Informant war damals in der Küche tätig und da hatte er Kontakt mit allen Dienstgraden. Habe intensiv gesucht, die erste Geschichte scheint zu stimmen, Zitat: "Vor dem Abschuß mußte die Rakete auf eine bestimmte Temperatur vorgewärmt werden, weswegen 48 bis 24 Stunden vorher Heizdecken auf die Rakete gelegt wurden" http://www.panzerbaer.de/guns/bw_rakartsys-a.htm und hier sogar Bilder: http://www.panzer-modell.de/referenz/in ... ohn/hj.htm
Für Sylvester hätte die Rakete bestimmt was getaugt, den Termin kennt man ja rechtzeitig...

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turul
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Beitrag von turul » 07.11.2013 19:10

Die Honest John Raketen mussten tatsächlich auf eine bestimmte Temperatur gebracht werden - das ist eines der ballistischen Probleme von Feststoff-Treibladungen. Die Treibladungstemperatur zählt zu den innerballistischen Einflüssen und ist durchaus auch bei der Rohrartillerie von Bedeutung - deswegen werden z.B. in der Feuerstellung gelagerte Munitionsstapel auch gegen direkte Sonneneinstrahlung geschützt.
Die Schußtafeln sind nach einer bestimmten Standardtemperatur berechnet - auch bei der Honest John, da diese Rakete als ballistische Rakete ohne Steuerung flog.
Liegt die LAdungstemperatur über der festgelegten Standardtemperatur, gibt es Weitschüsse, liegt sie unter der Standardtemperatur, gibt es Kurzschüsse.

Das bedeutete im Falle Honest John: Die Heizdecken waren erforderlich, um die Treibladung auf diese Standardtemperatur zu bringen, damit die "Normal"-Schußtafeln Anwendung finden konnten. Innerhalb bestimmter Grenzen konnte die Rakete auch nach einer kürzeren Aufheizzeit abgefeuert werden - nur musste dann diese veränderte Temperatur bei der Berechnung der Schußbahn z.B. durch eine andere Erhöhung des Werferbaumes ausgeglichen werden. Abweichende Pulvertemperaturen können z.B. in den Feuerleitstellen bei der Ermittlung der Schußwerte miteingerechnet werden und führten sicher zu weniger Zielgenauigkeit und größerer Streuung. Zu Honest John Zeiten hat noch meistens manuell mit Spezialrechenschiebern gearbeitet, mit denen die innen- und außenballistischen Einflüsse in Schußwerte graphisch in Schußwerte umgesetzt werden konnten. Für die Rohrartillerie gab es z.B. dafür den "BWE-Rechenschieber" (BWE - Besondere und Witterungseinflüsse).

Zudem war garantiert in den Alarmkalendern der Raketenartilleriebataillone eine Maßnahme vorgesehen, welche das Aufheizen der Raketen bereits relativ früh nach Auslösen der ersten Alarmmaßnahmen vorgesehen hat.

Quelle: Speisebecher, Wilhelm: Taschenbuch für Artilleristen, Koblenz 1977
Vogel, K.: Taschenbuch für Truppentechnik und Instandsetzungswesen, Darmstadt 1967

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TimoL
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Re: US Honest John Raketen eher unbrauchbar gewesen?

Beitrag von TimoL » 30.05.2014 02:21

Deichgraf63 hat geschrieben:(...) Die zweite Geschichte gab es in der Kaserne nur als Gerücht: Beim Probeschießen in der Heide soll sich mal eine Rakete nicht vom Startfahrzeug gelöst und dieses "mitgenommen" haben. Soldatenlatein oder gab es da mal einen derartigen Zwischenfall?
Das gehört wohl eher ins Reich der Mythen und Legenden... :-)

Auf den Bildern ist schön zu erkennen wie die Raketen auf dem Startfahrzeug gelagert und gesichert sind.

Aber in diesem Zusammenhang mal eine andere Frage:

Die Dinger ziehen ja doch einen ziemlichen Schweif hinter sich her.

Wurde das Startfahrzeug beim Startvorgang eigentlich gegrillt ?

Das farge ich mich ehrlich gesagt schon seit Jahren...
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- Konrad Adenauer (1876-1967), erster Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland 1949-1963 -

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Beitrag von Hoffi28 » 01.06.2015 00:17

Hallo,

naja drin sitzen wäre eher kontraproduktiv. Aber das Fahrzeug war schon noich nutzbar... Vielleicht nicht mehr nach zehn oder mehr Schüssen, aber in Filmen kann man sehen, dasdas Fahrzeug nicht komplett im Abgasstrahl steht. Von Vorteil war die Nutzung für das Fahrzeug garantiert nicht...

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Beitrag von corvus » 01.06.2015 02:20

Der nicht besonders stabil wirkenden Fahrerkabine der Lance-Werfer schien ein Raketenstart nicht zu schaden.Der Boden hinter dem Werfer mußte aber großflächig mit Blechen abgedeckt werden.
Edit: Hab´ mir das noch mal im Netz angeschaut. Anscheinend ist die Kabine zusammenklappbar und das massive Dach dient dann als Deckel. So weit gingen die Werfermannschaften aber nicht bei den Übungen, wo wir als Begleitsoldaten dabei waren...
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Beitrag von sirtobi » 19.08.2015 11:37

Ich muss allgemein aber sagen dass ich es ganz schön krass finde, dass es eine solche Rakete im Nachkriegsdeutschland geschafft hat bis zur "serienreife" bzw. produktion zu kommen......

wenn ich mir die Berichte so durchlesen finde ich ist das eine eine V2 2.0 .
Nach dem Prinzip "naja wir Feuern mal die Rakete in eine grobe Richtung ab, mal schauen wo sie aufkommt....notfalls haben wir ja immernich den atomaren Sprengkopf"

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ChrisMAg2
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Beitrag von ChrisMAg2 » 20.08.2015 01:43

sirtobi hat geschrieben:...
wenn ich mir die Berichte so durchlesen finde ich ist das eine eine V2 2.0 .
Nach dem Prinzip "naja wir Feuern mal die Rakete in eine grobe Richtung ab, mal schauen wo sie aufkommt....notfalls haben wir ja immernich den atomaren Sprengkopf"
Nebenbei bemerkt: die V2 hatte Flüssigkeits Treibstoff, keine Feststofftreibladung.

Zu deinem Prinzip: Grundsatz der Artillerie (der Bundeswehr der 80er Jahre): Die Artillerie kennt weder Freund noch Feind, sondern nur lohnende Ziele.
Gruß
Christian M. Aguilar

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US Honest John Raketen eher unbrauchbar gewesen?

Beitrag von cw658 » 18.03.2018 01:10

Moin,
habe mir das ganze eben mal durchgelesen.
Ich war bei den 110'ern in der Nachbarbatterie.
Zu der Vorwärmgeschichte kann ich nix sagen aber zum anderen Punkt.

Das ist kein Mythos mit dem Werfer!

Es wurde vergessen, die Sicherungsbolzen der Rakete zu entfernen und da hat's den Werfer mit in die Luft getragen.
Gottseidank ist keiner zu Schaden gekommen (es war ein Sonntag), aber die Kirchturmspitze der Kirche in Munster lag danach unten im Kindergarten.

Ansonsten war ich bei einem Scharfen Schuss der HJ dabei.

Der Werferzug hatte da richtig zu tun:
Es wurde hinterm Werfer eine riesige Kuhle ausgehoben und dann wurde der Werfer gerichtet.
Das Fahrerhaus wurde heruntergeklappt und wir mussten in einer ziemlichen Entfernung im Wald der Dinge harren, die da kommen sollten.
Und das war so mächtig, das ich das bis heute nicht vergessen habe...
Es erfolgte der Countdown, die Erde fing an zu vibrieren (das kann man sich gar nicht vorstellen wie), der Wald war taghell (es war mitten in der Nacht!) und das Getöse der Rakete war - trotz Tannenbäumen in den Ohren und diese noch zugehalten - unbeschreiblich.

Ich weiß nicht, ob es da noch Fotos von gibt, aber es war gleißend hell und unglaublich laut.

Ich fand das damals fast noch beeindruckender als wie wenn unsere Werfer eine ganze Salve geschossen haben, was auch nicht von schlechten Eltern war.
Gruß
Christoph

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