Aktuell: Bombenentschärfung Hannover

Militärische Objekte und Anlagen des 2. Weltkriegs (und 1933-1945)
Bunkerbob
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Nachklapp zu den Evakuierungsradien

Beitrag von Bunkerbob » 28.06.2017 12:31

Ist zwar schon ein Weilchen her, aber hier noch eine Ergänzung:
GeorgM hat geschrieben: woher wissen denn die Kampfmittelräumer wie schwer die Bombe ist?
Das wissen sie nur bei Zufallsfunden, wenn in bombardierten Bereichen gebuddelt wird, ohne vorher nach Bomben zu suchen.
Bei gezielter Suche (d.h. nach Luftbilddetailauswertung mit luftsichtig erkannten Einschlagverdachtspunkt, geomagnetischer Untersuchung z.B. durch Bohrlochsondierung und ggf. dem neuen "Ultra-TEM" mit konkreten Hinweisen auf einen Bombenblindgänger) wird in der Tat ein Sicherheitsbereich festgelegt, bevor die Bombe endgültig freigelegt wird.
Die Radien dieser Sicherheitsbereiche schwanken von Bundesland zu Bundesland, es gibt keine einheitliche Regelung (die zitierte Fausformel "pro Pfund ein Meter" stammt aus dem Krieg, da war es nicht ganz so schlimm, wenn nach einer Bombennacht mit 500 Toten am nächsten Morgen durch einen verirrten Splitter einer fehlgeschlagenen Entschärfung neben dem Entschärfer noch ein weiterer Einwohner das Leben verloren hat).
Bereits im Krieg gab es Vorschriften, die L.Dv. 764/H.Dv. 412/M.Dv. 872 forderte bei Sprengung von Sprengbomben größer 40 kg in Sprenggruben 1.000 m, ohne Sprenggruben sogar 2.000 m
Die Berufsgenossenschaftliche Vorschrift DGUV Regel 113-016 „Sprengarbeiten“ fordert heute "bei Eisen- und Stahlsprengungen" (da könnte ja ein wirksamer Stahlsplitter fortgeschleudert werden) einen Umkreis von 1000 m von der Sprengstelle, ebenso die DGUV Regel 113-003 "Zerlegerichtlinie", die KatS-DV 250 "Sprengen" und die PDv 403 "Sprengen"

Die einzigen, die sich beruflich explodierenden Bomben exponieren, sind die Soldaten der Bundeswehr, und auch wenn die auf dem Übungsplatz ständig mit Helm herumlaufen gilt dort lt. Heeresdienstvorschrift H.Dv 183/100 "Durchführungsvorschriften für das Vernichten von Munition" bei der Vernichtung von Munition durch Sprengen an der Oberfläche ein Radius von 1.250 m

Das das nicht ganz aus der Luft gegriffen ist, zeigen zwei praktische Beispiele: bei einer Bombenexplosion in Hattingen 2008 flog der Bombenboden rund 1.200 m weit, bei dem tragischen Unglück in Göttingen 2010 ist ein Fragment 700 m vom Explosionsort entfernt durch ein Dach in den Fußboden des Kinderzimmers durchgeschlagen (siehe Anlagen).

Da üblicherweise die Entschärfungen gut ausgehen, ist das Gemurre und der Unwillen in der Bevölkerung natürlich immer groß, und auch die für die Evakuierung Verntwortlichen fangen an, über den roten Kreis auf der Karte zu diskutieren ("könnte man nicht dort etwas weniger, dann brauchen wir die Kreuzung nicht sperren/den Wohnblock nicht evakuieren, ...?") Oder man kommt gleich mit praktischen Ratschlägen "letzte Woche in Essen haben die auch nur 300 Meter Sperrkreis eingerichtet".
Wir in M-V sprechen eine Empfehlung aus, wenn die Ordnungsbehörde darunter geht, ist das ihre Entscheidung - und ihre Verantwortung.
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niemandsland
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Re: Nachklapp zu den Evakuierungsradien

Beitrag von niemandsland » 28.06.2017 15:17

Von "Bunkerbob" aufgeführte Dv's:

WK2:
- L.Dv. 764
- H.Dv. 412
- M.Dv. 872
^^ Quellen im Internet vorhanden.

Danach:
- DGUV Regel 113-016 „Sprengarbeiten“ [öffentlich; Arbeitssicherheit]
- DGUV Regel 113-003 "Zerlegerichtlinie" [öffentlich; Arbeitssicherheit]
- KatS DV 250 "Sprengen" [VS NfD]
- PDv 403 "Sprengen" [nicht öffentlicher (Rund-)Erlaß der Innenminister]
- Heeresdienstvorschrift H.Dv 183/100 "Durchführungsvorschriften für das Vernichten von Munition" [recht teuer, z.B. via Ebay - Ausgabe 2002]

---
- Heeresdienstvorschrift H.Dv 34/280 "Schutz- und Sicherheitsbestimmungen für das Vernichten von Munition" [recht teuer, z.B. via Ebay - Ausgabe 1991 / Neudruck 2000]
...und noch einige andere mehr.


@ Bunkerbob

Moin Moin,

interessante Ausführungen. Leider ist es nur etwas schwierig, Einblick in die entsprechenden Dienstvorschriften zu bekommen. Einige der zuvor genannten DVs sind als "VS NfD" klassifiziert.
So z.B. die [Katastrophenschutz-Dienstvorschrift] KatS-DV 250 und PDv 403. Von der H.Dv 183/100 existieren alte Originale und teure Fotokopien auf ebay.

Leider fällt es etwas schwer, sich über Fragen die mit dieser Thematik auch nur entfernt zu tun haben, als "normal sterblicher" zu informieren. Gerade wenn man sich seid Jahren mit Themen befasst, die entsprechende Fragen hin und wieder aufwerfen.

Aus diesem Grund ein dickes Danke für die Beantwortung der Frage hier im Forum, mit entsprechenden Quellenangaben. ;-)

Gruß aus Hannover
Guido Janthor
Das Reh springt hoch, das Reh springt weit, warum auch nicht, es hat ja Zeit! :jump:

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Re: Nachklapp zu den Evakuierungsradien

Beitrag von Bunkerbob » 28.06.2017 15:38

niemandsland hat geschrieben: Leider ist es nur etwas schwierig, Einblick in die entsprechenden Dienstvorschriften zu bekommen.
Hi Guido (ich glaube, ich bin dir noch eine Antwort auf die PN schuldig :oops: )

Die Vorschriftn selber habe ich nur herangezogen, da ganz offensichtlich einer vom anderen abgechrieben hat (oder es gibt eine gemeinsame Quelle) und es mir einzig und allein um die 1.000 Meter Radius bei der sog. "offenen Stahlsprengung" ging, die - bei allen Unterschieden dieser Vorschriften - überall gleich angeführt sind.
Und wie schon geschrieben: Das ist der Bereich, der vorgegeben wird, wenn man in der Öffentlichkeit an Stahl oder Stahlbeton herumsprengt und eben die Gefahr besteht, dass aus Versehen wirksame Splitter mit hoher Geschwindigkeit fortgeschleudert werden.

Granaten und Bomben sind allerdings anders konstruiert: da haben Heerscharen von Wissenschaftlern und Ingenieuren lange getüftelt, um ein optimales Verhältnis von Sprengwirkung und hoher Splitterirkung zu erreichen, und die Splitter fliegen eben sehr weit.

Aber zum Glück für zukünftige Kampfmittelbeseitiger haben die Amis die BLU-129 erfunden und exportieren die jetzt auch:
bessere Sprengwirkung, aber mit Bombenhülle aus Fieberglas weniger weitreichende Splitter
"providing a very low collateral damage weapon to reduce unintended fratricide" - mor bang for you buck, und die Evakuierungsradien kann man auch reduzieren ...

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