Einsatz nuklearer U-Abwehrwaffen

Militärische Objekte und Anlagen ab 1945
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CliffMcLane
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Einsatz nuklearer U-Abwehrwaffen

Beitrag von CliffMcLane » 29.03.2007 22:30

Ich hätte außerdem Interesse, das Thema "Einsatz nuklearer U-Abwehrwaffen von Schiffen aus" bzw. MMunDp Kiel weiter zu vertiefen. Und melde allerdings schon mal Skepsis an. Wo wäre denn das unumgängliche US-Detachment gewesen? Auch taucht bei "History of the Custody and Deployment" zumindest bis 1977 nichts einschlägiges auf - wenn man nicht Bullpup (ASM) oder Walleye der Marine zuschlagen wollte. Nicht einmal die etwa für Italien und UK durchaus belegte "depth bomb".

8) 8) 8)

CML

Rick (†)

Beitrag von Rick (†) » 30.03.2007 15:08

Hoffentlich ist Leif nicht böse, aber ich gebe hier mal wieder, was ich in der privaten Korrespondenz mit ihm geschrieben habe:

Inzwischen habe ich weiter recherchiert und bin auf dieses Statement gestoßen: The first years of the 1960s involved a huge expansion of the U.S. nuclear arsenal in Western Europe; by the late 1960s, Washington had deployed over 7,000 weapons in NATO Europe. The deployments would include W34 (Lulu) and B57 nuclear depth charges designed for anti-submarine warfare (ASW); they and thousands of other weapons would remain at depots in Western Europe until after the Cold War ended.

Außerdem habe ich meine alten Notizen zu Jägersberg-Korügen gefunden und muss gestehen, dass die Sache ein bisschen anders ausschaut. Es ging bei der NATO-Einrichtung wohl vor allem um eine FK-Teststation und Lager für Torpedo Mk 44 und ASROC (Bauantrag 04.11.68; Slice XX, Serial 65E). Diese Teststation hatte einen NATO- und einen nationalen Teil, letzterer vor allem für Torpedos SEAL und SEESCHLANGE sowie NIXE. Mit Datum vom 24.11.71 ist dann die Rede von einer Teilübernahme von zwei MLH Stradley und einem MLH 93 im Teststation-Lagerbereich. Die Prüfanlage war zu diesem Zeitpunkt noch nicht fertig.

Jägersberg war übrigens "das einzige Depot der Marine mit direktem Anschluss ans Wasser, weshalb ein Großteil des Munitionsumschlags der Kampfschiffe" dort stattfindet. Am 30.03.71: Torpedoteststationen gefordert in Jägersberg und Wilhelmshaven.

Dann noch am 06.03.72: Aus Rationalisierungsgründen unterhält das MMunDp 1 Heikendorf (ex Jägersberg) im Einvernehmen mit Fü H eine Außenstelle im Heeresmunitionsdepot Kropp. Für das MFG 1 und MFG 2 stehen dort zur Einlagerung von Flugmunition 15 MLH zur Verfügung. Eine MIF (Mil. Infrastrukturforderung vom 13.08.71 (!) sieht den Bau eines Munitionsinstandsetzungshauses (MIH) für Flugsondermunition vor. (Nach 1971!).

Die FK-Teststation in Jägersberg wurde aber lange nicht fertig, denn bereits 1972 hieß es, nationale Haushaltsmittel stünden erst nach 1977 zur Verfügung. Überhaupt gebaut?


Soweit die Akten. Es kann sein, dass es sich einfach nur um die FK-Teststationen gehandelt hat. Bisher habe ich nichts Schriftliches zu einer Ausstattung der Bundesmarine mit nuklearen Gefechtsköpfen finden können, obwohl ich meine, davon gehört zu haben. Eine andere Frage: Was wissen wir überhaupt über die Bezeichnung amerikanischer Marine(Navy)-Kustodialeinheiten?

Gebe weiter an CML, den Experten,
Rick

Rick (†)

Beitrag von Rick (†) » 30.03.2007 19:04

Siehe da, in meinen Unterlagen finde ich imer wieder Überraschendes, auch wenn ich es selber geschrieben habe...
Ein NATO-Projekt aus Slice XIII betraf das Marinemunitionsdepot Tannenhausen (könnte sich wieder um einen Teilbereich handeln).
Das Marinemunitionsdepot Oxstedt beherbergte um 1960 herum auch die Munition für den NATO-Flugplatz Nordholz (kann aber rein konventionell gewesen sein).
Das Munitionsdepot Flensburg-Harrislee war zumindest bis zur Übergabe durch die Alliierten (Briten?) an die Bundeswehr eine NATO-Einrichtung.
Rick

Rick (†)

Beitrag von Rick (†) » 30.03.2007 23:05

In einer "Information über Aufklärungsmerkmale für ortsfeste Kernmittellager der NATO-Streitkräfte" der Verw. Aufklärung des MfNV von August 1972 heißt es über NATO-Lager Typ B (= Marine): "In diesen Lagern befinden sich Kernbomben für eine oder mehrere U-Jagdstaffeln. Teilweise sind auch konventionelle Unterwasserwaffen eingelagert." Führt nicht viel weiter, aber ich wollte es doch als Quelle erwähnen.
Rick

CliffMcLane
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Einsatz nuklearer U-Abwehrwaffen

Beitrag von CliffMcLane » 31.03.2007 02:14

Hallo Rick & Co,
Eine andere Frage: Was wissen wir überhaupt über die Bezeichnung amerikanischer Marine(Navy)-Kustodialeinheiten?
Ich fürchte, nicht eben viel (wie auch zu dem gesamten angesprochenen Fragenkomplex; :( :( :( ). Kurze Zusammenfassung:

(1) Eine Ausstattung der Bundesmarine mit Atomwaffen irgendwelcher Art (nimmt man mal MFG 1 & 2 als mögliche Kandidaten aus) taucht - soweit ich sehe - an keiner einzigen Stelle der entsprechenden Überlieferung der vergangenen 25 Jahre auf. Nicht bei Arkin, nicht im Militarisierungsatlas, schlicht nirgendwo. Das ist kein endgültiges Argument, aber doch ein Indiz.

(2) "History of the Custody and Deployment" von 1978 ist schon ein unhintergehbares Dokument. Ich gestehe, dass ich bisher aus Bullpup (ASM) und Walleye nicht recht schlau werde, die beide vor allem von der US Navy eingesetzt worden sein sollen (aber auch von der US Air Force). Klingt jedenfalls nicht unbedingt nach Bundesmarine.

(3) Nach vorliegenden Quellen waren Mk 101 Lulu und später B-57 NDB ("Nuclear Depth Bomb") während des Kalten Krieges zur U-Boot-Bekämpfung stationiert in (a) St. Mawgan/UK für den Einsatz durch britische, niederländische und amerikanische Flugzeuge (P-2 Neptune, P-3 Orion, Nimrod, Shackleton) und in (b) Sigonella/Sizilien für italienische und amerikanische Maschinen (P-3 Orion, Atlantic). Es geht also jedenfalls nicht um U-Abwehrwaffen von Schiffen, sondern im wesentlichen von Flugzeugen aus.

Die entsprechende US-Einheit in Cornwall lief unter "US Naval Weapons Facility" oder "Naval Aviation Weapons Facility", die in Sizilien schlicht unter "Naval Air Station". Seitens der Niederländer war die 320 Squadron Marine Luchtvaart Dienst (MLD) in Valkenburg zuständig. Mit einer gewissen Mühe sind im Netz Fotos von niederländischen Flugzeugen in St. Mawgan aufzutreiben. Bei der US-Bewachungseinheit hat die sonst blendend infomierte Broschüre "Lagerung und Transport von Atomwaffen" von 1982 bezeichnenderweise nur eine Kette von Fragezeichen.

Noch ein Hinweis: Möglicherweise waren die US-Einheiten nicht unter SACEUR angesiedelt, was die Recherche erschweren könnte.

CML

Rick (†)

Beitrag von Rick (†) » 31.03.2007 15:33

Hallo CML,
alles, was ich hinsichtlich USN und "Special weapons" gefunden habe, war dies http://www.navynucweps.com/History/kodhistory.htm. Und das waren A-Waffen im Besitz der und zum Einsatz durch die USN. Da diese Waffen auf amerikanischen Schiffen oder in amerikanischen Stützpunkten lagerten, ging es nicht primär um Bewachung sondern um Arbeiten an den Waffen. Unter SACEUR gab es tatsächlich keine Struktur für irgendwelche Bewachungseinheiten der Navy, wie ich einem Überblick des MfNV entnehme.
Gruß
Rick

CliffMcLane
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Einsatz nuklearer U-Abwehrwaffen

Beitrag von CliffMcLane » 08.04.2007 17:04

Hallo Rick & Co.,

laut Sander-Nagashima: Die Bundesmarine 1950 bis 1972, München 2006 kann man das Thema zumindest für diesen Zeitraum schlicht verneinen. Zusammenfassung:

(1) In einer grundlegenden Studie von 1958 über die "Seestrategische Lage der Bundesrepublik" wird überraschenderweise über eigene Polaris-U-Boote nachgedacht. Dies könnte, so der Verfasser, auf eine Anregung des Generalinspekteurs, vielleicht sogar von VMin Strauß zurückgehen. Die Marine hielt davon eh nichts. Innerhalb der Ostsee seien sie zu stark gefährdet. Außerdem war die Idee natürlich angesichts des bündnispolitischen Umfelds absurd (S. 85).

(2) Im Laufe der wechselnden Konzeptionen werden Wünsche laut nach einer Ausstattung der U-Boote mit Torpedos mit nuklearen Gefechtsköpfen (S. 147), einer Bewaffnung der Schnellboote mit dem Flugkörper "Sea Mauler" (S. 268), einer Nachrüstung des Tartar-Flugkörper der Lenkwaffenzerstörer mit einem nuklearen Sprengkopf (S. 292) - woraus jedoch niemals etwas geworden ist (S. 300).

(3) In Reaktion auf den französischen NATO-Austritt entwickelte der Chef der Inspektion der Marine-Waffen die sehr exotische Idee, in Norddeutschland 15 bis 20 stationäre "Küstenpolaris"-U-Boote zu dislozieren. Eine Vorstellung, wie der Verfasser kommentiert, mit "teilweise abenteuerlichen Zügen" (S. 361).

(3) Im Juni 1965 wies der Leiter der Studiengruppe Marine in einem Vortrag vor dem Inspekteur Marine darauf hin, dass die Bundesmarine ohne Nuklearwaffen mit der Baltischen Flotte (die solche besaß) nicht mithalten könne. Er forderte eine nukleare Teilhabe auch der Marine und die Entwicklung eines nuklearfähigen taktischen Flugkörpers für die Seestreitkräfte. Damit kam er nicht durch: Der Inspekteur Marine betonte, dass "aus militärpolitischen Gründen einstweilen nur der Nuklearwaffeneinsatz durch F-104 ... in Frage komme" (S. 324). Später könne man vielleicht auch einmal über einen Nuklearkopf für die ASROC der Lenkwaffenzerstörer nachdenken.

(4) Im revidierten Schiffbauprogramm der Marine von 1966 ist davon die Rede, dass eine Bewaffnung der Marine mit taktischen Nuklearwaffen für deren "selektiven Einsatz" erforderlich sei. Allerdings, heißt es weiter, besitze man hierfür zur Zeit ohnehin kein geeignetes Waffensystem (S. 376).

(5) Bezüglich der MPA: Die 18 Bréguet Atlantique waren 1967 beim MFG 3 eingetroffen (S. 402), aber generell nicht - weil zu gefährlich - für die U-Boot-Bekämpfung in der Ostsee gedacht (S. 338). Durchgesetzt wurde bei der NATO der Einsatz in der Nordsee bis zum 61. Breitengrad (was etwa der Höhe von Bergen entsprechen dürfte). Man wird den Eindruck nicht los, dass es dafür nicht eigentlich ein eigenes Einsatzprofil der NATO gab, sondern dass die MPAs eher zum Versuch der Marine gehörten, abseits ihrer eigentlichen Aufgabe, die Ostseezugänge zu decken, Flagge in Nordsee & Atlantik zu zeigen. Bis 1972 gab es mit Sicherheit keinen nuklearen Auftrag.

Grüße

CML

Rick (†)

Beitrag von Rick (†) » 08.04.2007 18:06

Hallo, CML & Co.,

aus den Akten, die ich in Freiburg einsehen konnte, geht hervor, dass es um 1962 Studien gab, eine künftige Generation deutscher Zerstörer mit A-Flugkörpern auszurüsten. Es scheint aber in der Tat bei Studien geblieben zu sein. ASROC war mir aus einem früheren Gespräch mit einem Marineangehörigen in Erinnerung geblieben, dürfte aber ebenfalls Planung geblieben sein.

Zur gleichen Zeit gab es heftigen Streit zwischen der Marineführung und der Abteilung T(echnik, später im BWB), die die Tartar-Pläne der Marine in Bausch und Bogen verurteilt hatte. Tartar lag der Marine aber, aus welchen Gründen auch immer (bei Sander-Nagashima wird darauf, glaube ich, auch näher eingegangen), sehr am Herzen und so wurde argumentiert, dass die Nachfolgeversion von Tartar alle Forderungen erfüllen werde.

Die ATLANTIC wurde zwar später durchaus auch über der Ostsee eingesetzt, war aber für den V-Fall damals (weil nur schlecht zu schützen?) für die Nordsee eingeplant. In den Unterlagen wird konkret die Nutzung norwegischer Stützpunkte für die deutschen ATLANTIC in diesem Fall angesprochen. Es existierten in Norwegen wohl auch deutsche Kommunikationseinrichtungen für deutsche U-Boote und ATLANTIC, denn in einem nicht näher spezifizierten Fall fragt die norwegische Seite, ob eine Mitbenutzung einer solchen Kommunikationsanlage durch Norwegen möglich sei.

Gruß
Rick

CliffMcLane
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Einsatz nuklearer U-Abwehrwaffen

Beitrag von CliffMcLane » 08.04.2007 20:59

Hallo Rick & Co.,

(1) laut S-N war Tartar als Schiff-Schiff-Flugkörper nicht wirklich zu verwenden und zudem in der Reichweite den sowjetischen Mustern absolut unterlegen - was dazu führte, dass sich die Lütjens-Klasse mit dieser Bewaffnung praktisch nicht in der Ostsee sehen lassen konnte.

(2) Dazu heißt es in der Kurzfassung "Konzeption der Bundesmarine" von 1961 laut S-N: "Das Problem bestehe hier allerdings in der starken Gefährdung des hierfür vorgesehenen Heimatfliegerhorstes Nordholz im Kriegsfall. Ausweichplätze in Südnorwegen seien hier ein anzustrebender Ausweg" (S. 208).

(3) Weil wir schon beim Ausland sind: Es wurden schon in den frühen 60ern Nachschub-Depots in Norwegen, Schottland, den Niederlanden und in Frankreich eingerichtet. Weiß jemand dazu Näheres (man hat ja ein bisschen das Gefühl, dass diese auch dazu dienten, die sodann nötige Geleitschutz-Präsenz in der Nordsee zu rechtfertigen)?

(4) Mächtig Sorgen bereiteten der Bundesmarine übrigens "landgestützte Flugkörper-Batterien an der mecklenburgischen Küste..., die über den 'Kennel'-FK verfügen" - wobei an anderer Stelle behauptet wird, dass auch für diese Flugkörper "vom Gegner sämtlich Atomsprengköpfe von vermutlich etwa 20 kt bereitgehalten würden" (S. 317, 323). Es dürfte sich dabei um den Marschflugkörper SSC-2B "Samlet" (S-2 Sopka) bzw. die Spezial-Küstenartillerie-Abteilung der NVA-Marine in Gelbensande/Schwarzenpfost gehandelt haben, die mit Sicherheit nur konventionell bewaffnet war (später KRR-18 mit SSC-3A "Styx" bzw Rubezh). Aus heutiger Sicht ein recht exotisches Waffensystem. Angeblich kann man am Flugplatz Rerik noch ein Rest-Exemplar bewundern, das nun als Kinderspielgerät dient.

CML

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