Zivile Verteidigung bei der Bahn AG

Zivile bzw. nicht-militärische Schutzbauwerke und Anlagen des Kalten Krieges
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Leif
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Zivile Verteidigung bei der Bahn AG

Beitrag von Leif » 18.11.2006 13:23

Hallo,
diese nette Passage wollte ich Euch nicht enthalten:
Bemerkungen 2006 des Bundesrechnungshofes

20 Bund zahlt jährlich 8 Mio. Euro für
weitgehend nutzlose Maßnahmen
zur Zivilen Verteidigung bei der
Deutschen Bahn AG
20.0
Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
stellt der Deutschen Bahn AG jährlich 8 Mio.
Euro für die Zivile Verteidigung zur Verfügung, ohne dass
es den Bedarf an die veränderte sicherheitspolitische
Lage angepasst hat. Es finanziert damit u. a. Schutzräume,
die mangels Vorwarnzeit nicht mehr aufgesucht
werden können, und die Lagerung von Ersatzmaterial,
das veraltet und unbrauchbar ist.
20.1
Mit dem Verkehrssicherstellungsgesetz aus dem Jahre
1965 werden der Deutschen Bahn AG (DB AG) Aufgaben
der Zivilen Verteidigung auf dem Gebiet des Eisenbahnverkehrs
übertragen. Die Zivile Verteidigung umfasst
die Planung, Vorbereitung und Durchführung aller
zivilen Maßnahmen, die erforderlich sind, um die Versorgung
der Bevölkerung und der Streitkräfte mit notwendigen
Gütern und Leistungen im Verteidigungsfall
sicherzustellen. Insbesondere sieht das Gesetz vor, die
Arbeitsplätze des betriebswichtigen Personals sowie
Bahnanlagen und Einrichtungen durch bauliche Maßnahmen
so zu schützen, dass der Eisenbahnbetrieb im Krisenfall
aufrechterhalten werden kann. Im Jahre 2005
stellte der Bund hierfür 8 Mio. Euro zur Verfügung.
Der Bundesrechnungshof hatte bereits im Jahre 1998 festgestellt,
dass das Bundesministerium für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung (Bundesministerium) keine aktuellen
Konzepte hatte, die begründen, warum die Ausgaben
für Zivile Verteidigung notwendig und angemessen sind.
Die Vorratslager enthielten große Mengen an signal- und
fernmeldetechnischen Materialien, die nicht mehr verwertbar
waren. Das Bundesministerium hatte zugesagt,
zügig ein Gesamtkonzept zu erarbeiten, das die Aufgaben
der DB AG für die Zivile Verteidigung an die veränderte
sicherheitspolitische Lage anpassen sollte.
Im Jahre 2000 forderte der Rechnungsprüfungsausschuss
des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages
(Rechnungsprüfungsausschuss) das Bundesministerium
auf, die Gesamtkonzeption der Bundeseisenbahnen
zur Zivilen Verteidigung zu überprüfen. Der Bundesrechnungshof
untersuchte im Jahre 2006 mit Unterstützung
des Prüfungsamtes des Bundes Hannover (Prüfungsamt),
inwieweit das Bundesministerium den Beschluss des
Rechnungsprüfungsausschusses umgesetzt hat. Dabei stellte
er fest, dass das Bundesministerium erste Schritte unternommen
hatte, um die Aufgaben zu rationalisieren und
die Ausgaben zu verringern. Die Gesamtkonzeption zur
Zivilen Verteidigung hatte es nicht überprüft. Das Bundesministerium
fördert weiterhin den Bau und die Instandhaltung
von Schutzräumen. Es verpflichtet die
DB AG außerdem, umfangreiche Vorratslager mit Hilfsbrücken,
mobilen Stellwerken und nachrichtentechnischen
Materialien zu unterhalten. Die Hälfte der Haushaltsmittel
für die Zivile Verteidigung – rund 4 Mio. Euro –
entfallen auf Personal- und Verwaltungskosten.
Das Prüfungsamt stellte fest, dass der Bund im Zuständigkeitsbereich
der DB AG rund 700 Schutzraumanlagen
unterhält. Dazu gehören im Wesentlichen Schutzräume
für betriebswichtiges Personal, Stellwerkschutzräume
und baulich geschützte Befehlsstellen. Die Mehrzahl der
Räume hat weniger als 50 Plätze. Viele Schutzräume befinden
sich in Betriebsgebäuden der DB AG, in denen
kein Personal mehr eingesetzt wird. In einem Lager werden
rund 400 Hilfsbrücken aufbewahrt. In zwei weiteren
Lagern werden 14 mobile Container-Stellwerke bevorratet.
Diese Stellwerke sind noch mit herkömmlicher Technik
ausgestattet. Sie können daher die heute auf den
Hauptstrecken eingesetzten elektronischen Stellwerke im
Bedarfsfall nicht ersetzen. Die vorhandenen nachrichtentechnischen
Materialien wurden vor mehr als 25 Jahren
beschafft. Sowohl Brücken als auch Stellwerke werden
regelmäßig für Baumaßnahmen an die DB AG vermietet.
Damit erzielt der Bund jährlich Einnahmen in Höhe von
rund 500 000 Euro. Gleichzeitig erhält die DB AG Zuwendungen
des Bundes, um diese Brücken und Stellwerke
anzumieten.
In den Jahren zwischen 2002 und 2005 ersuchte die
DB AG mehrfach das Bundesministerium, den konventionellen
Schutzraumbau einzustellen und zu prüfen, ob
die Schutzräume noch benötigt werden. Dabei wies die
DB AG darauf hin, dass das bisherige Schutzraumkonzept
die veränderte Bedrohungslage nicht berücksichtigt.
Nach Einschätzung aus militärischen Kreisen sei ein konventioneller
Krieg mit flächendeckenden Bombenangriffen
heute unwahrscheinlich. Vielmehr bestehe die Gefahr
von punktuellen Anschlägen und anderen nicht vorhersehbaren
Schadensereignissen. Dabei bliebe die Infrastruktur
im Wesentlichen erhalten. Mögliches Ziel von
Anschlägen seien zudem nicht mehr einzelne Bahnstrecken
sondern die Betriebszentralen, da sich Leit- und
Sicherungstechnik dort konzentrieren.
Drucksache 16/XXXX – 148 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Wenn die DB AG beantragte, Schutzräume nicht zu
bauen, lehnte das Bundesministerium dies in der Regel
ab. Ausnahmen machte es nur, wenn die betreffenden
Schutzräume ganz offensichtlich unnötig waren. Das
Bundesministerium wies darauf hin, dass ein neues
Schutzraumkonzept erst erstellt werden könne, wenn bekannt
sei, inwieweit das Bundesministerium des Innern
die vorhandenen Kapazitäten für den zivilen Bevölkerungsschutz
nutzen wolle.
20.2
Der Bundesrechnungshof hat beanstandet, dass das Bundesministerium
sechs Jahre hat verstreichen lassen, ohne
den Beschluss des Rechnungsprüfungsausschusses umzusetzen
und sein Gesamtkonzept zur Zivilen Verteidigung
zu überprüfen.
Angesichts der veränderten Bedrohungslage teilt der
Bundesrechnungshof die Einschätzung der DB AG, dass
es nicht mehr notwendig ist, in deren Zuständigkeitsbereich
700 Schutzräume zu unterhalten. Schutzräume sind
heute grundsätzlich ungeeignet, das Personal vor Anschlägen
zu schützen. Da zu befürchtende Formen von
Anschlägen keine nennenswerte Vorwarnzeit lassen, können
Schutzräume nicht mehr rechtzeitig aufgesucht werden.
Kleinere Schutzräume in Gebäuden, in denen kein
Betriebspersonal mehr eingesetzt ist, sollten sofort aufgegeben
werden. In einem Krisenfall würde der Bahnbetrieb
von speziellen Bedienplätzen in den Betriebszentralen
gesteuert. Bei größeren Schutzräumen sollte das
Bundesministerium des Innern prüfen, ob diese für den
zivilen Bevölkerungsschutz verwendet werden können.
Der Bundesrechnungshof hat auch empfohlen, die Vorratslager
aufzugeben und die Bestände soweit wie möglich
zu veräußern. Die gelagerten Signal- und Fernmeldematerialien
sind ebenso wie die Container-Stellwerke
veraltet. Sie entsprechen nicht der heute eingesetzten
elektronischen Sicherungs- und Nachrichtentechnik und
sind daher nur noch sehr eingeschränkt nutzbar.
Der Bundesrechnungshof hat im Übrigen die Auffassung
vertreten, dass die DB AG als Infrastrukturbetreiberin
selbst verpflichtet ist, für Ausfälle der Infrastruktur Vorsorge
zu treffen. Entsprechende Vorsorgemaßnahmen
werden ohnehin vom Bund nach dem Bundesschienenwegeausbaugesetz
finanziert. Dazu gehört beispielsweise
die Einrichtung von Notbedienplätzen auf ferngesteuerten
Stellwerken, um den Betrieb bei Ausfall einer Betriebszentrale
aufrechterhalten zu können. Hilfsbrücken und
Stellwerke sollten nicht als Ausgaben für Zivile Verteidigung
finanziert werden, wenn die DB AG diese weit
überwiegend für planmäßige Baumaßnahmen nutzt. Die
Einnahmen aus der Vermietung bieten dem Bund keinen
finanziellen Vorteil, weil die DB AG Hilfsbrücken und
Stellwerke mit Bundesmitteln mietet.
Nach Auffassung des Bundesrechnungshofes sollte daher
der gesamte Haushaltsmittelansatz für die Zivile Verteidigung
bei der Bahn in Höhe von 8 Mio. Euro für wirksame
Maßnahmen zur zeitgemäßen Zivilen Verteidigung oder
sachgerecht anderweitig verwendet werden.
20.3
Das Bundesministerium ist der Auffassung, dass es angesichts
der veränderten sicherheitspolitischen Gegebenheiten
nicht möglich sei, ein „jederzeit aktuelles Gesamtkonzept“
zu haben. Das Bundesministerium gehe davon aus,
dass der Bundesrechnungshof die veränderte Sicherheitslage
nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001
nicht berücksichtigt habe. Es stütze seine eigenen grundsätzlichen
Überlegungen und Zielvorstellungen auf einen
Bericht des Bundesministeriums des Innern aus dem
Jahre 1995. Bei einer Gesamtkonzeption sei auch der Bedarf
anderer Ressorts, z. B. Eisenbahntransporte für die
Streitkräfte, zu berücksichtigen. Im Übrigen habe das
Bundesministerium die Ausgaben für die Zivile Verteidigung
der DB AG im Hinblick auf die Haushaltslage des
Bundes bereits deutlich gekürzt.
Das Bundesministerium hat mitgeteilt, mit einem Forschungsvorhaben
klären zu wollen, welche Schutzräume
noch notwendig seien. Erst dann könne ein eigenes Konzept
erstellt werden. Das Bundesministerium der Verteidigung
habe inzwischen mitgeteilt, auf welchen Schienenwegen
es Transportkapazität benötige. Daher könnten
noch im Jahre 2007 etwa 120 Schutzräume aufgegeben
werden. Außerdem würden neue Schutzräume nur noch
in den neuen Ländern errichtet. Grundsätzlich seien
Schutzräume weiterhin geeignet, betriebsnotwendiges
Personal zu schützen. Nach Angaben der DB AG würden
644 von 732 Schutzraumanlagen kostenpflichtig unterhalten.
Die Kritik des Bundesrechnungshofes, Schutzraumanlagen
seien überwiegend in Gebäuden, in denen kein
betriebsnotwendiges Personal mehr arbeite, treffe nicht
zu. Nach seiner Prüfung existierten 244 Schutzräume für
betriebswichtiges Personal.
Der Bundesrechnungshof hatte kritisiert, dass die DB AG
für planmäßige Bauarbeiten Material nutzt, das für die
Zivile Verteidigung bevorratet wird. Dazu hat das Bundesministerium
entgegnet, den anfallenden Unterhaltungskosten
stünden Mieteinnahmen gegenüber.
20.4
Das Bundesministerium hatte sechs Jahre Zeit, seine
Maßnahmen zur Zivilen Verteidigung auf ihre Notwendigkeit
hin zu überprüfen. Ein kostenintensiver und langwieriger
Forschungsauftrag zum Einfluss der veränderten
Bedrohungslage auf die Zivile Verteidigung ist nicht noch
zusätzlich notwendig. Die Ereignisse des 11. September
2001 sowie ihre Folgen fallen nicht unter das Verkehrssicherstellungsgesetz,
sind dem Bundesrechnungshof aber
durchaus bewusst. Nicht zuletzt deshalb fordert er, endlich
ein Gesamtkonzept zu erstellen, dass diese neuen Erkenntnisse
berücksichtigt.
Es ist nicht mehr zu rechtfertigen, Bundesmittel für
Schutzräume und Vorratslager im Bereich des Eisenbahnverkehrs
aufzuwenden. Schutzräume sind wegen geringer
Vorwarnzeiten nicht geeignet, Betriebspersonal zu schützen
und den Eisenbahnbetrieb im Krisenfall aufrecht zu
erhalten. Die für die Zivile Verteidigung gelagerten Materialien
sind entweder überaltert oder werden durch die
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 149 – Drucksache 16/XXXX
DB AG zweckfremd verwendet. Die dafür vorgesehenen
Bundesmittel können also eingespart werden. Die Vermietung
dieses Materials erbringt letztendlich keinen finanziellen
Vorteil für den Bund, da er selbst die Mieten trägt.
Der Bundesrechnungshof hält daher an seiner Auffassung
fest. Der Bund sollte nur dann Zuschüsse an die DB AG
für die Zivile Verteidigung gewähren, wenn damit Vorkehrungen
getroffen werden, die auch bei heute zu erwartenden
Bedrohungsszenarien wirksamen Schutz bieten
oder der Nachsorge dienen.

Büttner
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Re: Zivilen Verteidigung bei der Bahn AG

Beitrag von Büttner » 18.11.2006 19:33

Leif hat geschrieben: ... veränderten Bedrohungslage ...
Man muß es nur lange genug wiederholen und dann glaubt auch einer dran und dann können wir auch wieder Steuergelder für dieses und jenes ver(sch)wenden .... :x

petzolde
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Beitrag von petzolde » 19.11.2006 22:30

Tief schlummernde Bürokratie. Ist schon sehr bemerkenswert....
Hätte man mit dieser Bürokratie eigentlich auch einen Krieg gegen den Warschauer Pakt gewinnen können?
gruß EP

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FishBowl
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Beitrag von FishBowl » 21.11.2006 00:59

Wozu?

Allzu viele Bürokraten / Beamte haben ja auch ab '45 mit fliegenden Fahnen zum Sieger oder Rechtsnachfolger gewechselt, oder zumindest oft als Unentbehrliche und treue Diener des jeweils aktuellen Staatsgebildes schnell einen Persilschein erhalten können.
Und nur äusserst wenige haben ihre Bezüge und Versorgungsansprüche verloren.
Also brauchten die keinen Krieg zu gewinnen, um das eigene Wohlergehen zu sichern.

In den 60ern aufgewachsen, erinnere ich mich mit Grausen an zahlreiche Lehrer mit Reichs-Vergangenheit. Keiner von denen will jemals irgendwelchen Dreck am Stecken gehabt haben, alle haben nur ihre Pflicht getan...

Ähnliches galt für den durch eine Seite meiner Verwandschaft mir recht zahlreich bekannt gewordenen Typ des gemeinen Schupos.

Diese fragwürdigen Gestalten waren für mich der entscheidende Grund, keinesfalls in den Staatsdienst einzutreten.

Manch ein noch weniger ziviles Gewerk mag länger gewartet haben, um wieder in den aktiven Dienst zu treten, aber jedenfalls war man ja oft aufgrund der Erfahrung und Qualifikation unentbehrlich, zum Aufbau der jeweils folgenden Organisation...

Grüsse

Jürgen

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