Der Stichkanal nach Osnabrück und seine historischen Brücken
Binnenwasserstraßen sind, solange sie wirtschaftlich genutzt werden, einer stetigen Erneuerung und Anpassung an geänderte Verkehrsanforderungen ausgesetzt. Erhaltene Relikte aus der Bauzeit der heute noch genutzten Kanäle sind daher selten geworden.
Der ab 1905 gebaute Mittellandkanal als wichtige Verbindung der Industriegebiete an Rhein und Ruhr mit Elbe und Weser wurde bereits ab den 1960er Jahren für die Erfordernisse der modernen Binnenschifffahrt ausgebaut. Dabei wurde nicht nur das Kanalbett verbreitert und vertieft, es wurden auch alle 312 Kanalbrücken durch Neubauten ersetzt. Nachdem der Ausbau des Mittellandkanals abgeschlossen war, waren allein die Stich- und Zweigkanäle noch weitgehend in ihrem Originalzustand erhalten. So auch der Stichkanal nach Osnabrück, der nun aber ebenfalls ausgebaut wird und dabei die letzten noch erhaltenen Bauten aus der Entstehungszeit verliert.
Der Stichkanal Osnabrück zweigt bei Bramsche vom Mittellandkanal in südlicher Richtung ab und endet nach etwa 14,5 Kilometern im Osnabrücker Hafen im Norden der Stadt. Der Kanal wurde ab 1910/11 gebaut und im November 1915 fertiggestellt. Neben dem Bau zweier Schleusen bei Hollage und Haste war auch die Errichtung von mehreren Straßen- und Eisenbahnbrücken erforderlich. Die Brücken wurden, bis auf eine Ausnahme, einheitlich als genietete Fachwerkbogenkonstruktionen aus Stahl hergestellt. Für die Widerlager verwendete man Sandstein. Die Bogenbrücken wurden in einem einheitlichen, an Jugendstilelementen orientierten Stil gehalten. In den Details, z.B. den Geländern, war aber eine individuelle und sehr sorgfältige Gestaltung erkennbar. Bei genauem Hinsehen glich keine der Brücken einer anderen. Von den acht zwischen 1910 und 1915 erbauten Brücken waren Ende der 1980er Jahre noch sechs nahezu unverändert erhalten, mitsamt den Widerlagern, den Brüstungsmauern, den Geländern, der Straßenpflasterung und teilweise sogar noch der ursprünglichen Randbepflanzung. Nicht zuletzt haben die Brücken auch einen deutlichen landschaftsprägenden Charakter.
Doch trotz ihres unbestrittenen Denkmalwertes werden nun auch die letzten noch verbliebenen Brücken verschwinden. Der Stichkanal Osnabrück (SKO) wurde, ebenso wie der Mittellandkanal (MLK), ursprünglich für die Schleppschifffahrt und Schiffe mit einer Tragfähigkeit von 600 t konzipiert. Nach Abschluss der Ausbauarbeiten am Mittellandkanal wird nun auch der weniger stark befahrene SKO den heutigen Schiffsgrößen angepasst. Auch die Stich- und Zweigkanäle des MLK sollen grundsätzlich so ausgebaut werden, daß überall der Verkehr von Großmotorgüterschiffen (Länge bis 110 m, Breite 11,45 m, Tiefgang 2,80 m) in Einzelfahrt möglich wird. Bisher können den SKO nur Schiffe mit einer Länge von max. 82 m, einer Breite von max. 9,50 m und einem Tiefgang von max. 2,20 m nutzen. Im Zuge des Ausbaues wird der Kanalquerschnitt verbreitert und vertieft. Dafür müssen alle historischen Brücken durch Neubauten ersetzt werden, da ihre Spannweite und die Durchfahrtshöhe für das neue Profil des Kanals nicht ausreicht. Die neuen Brücken werden zwar auch aus Stahl, als geschweißte Bogenkonstruktion, hergestellt, die Ähnlichkeit mit dem historischen Vorbild ist aber eher rudimentär.
Der Ausbau des eher mäßig befahrenen SKO ist dabei nicht unumstritten. Der Hafen Osnabrück wurde nach Angabe der Betreibers, der Stadtwerke Osnabrück, im Jahr 2004 von ca. 785 Schiffen angelaufen. Die Umschlagmenge betrug 629.000 t, vor allem Steine und Erden, Mineralöl, Eisenschrott und Zellstoff. Im Vergleich dazu wurden beispielsweise in den hannoverschen Häfen in 2003 ca. 3,38 Mio. Tonnen umgeschlagen.
Ein erster Abschnitt des SKO wurde bereits ab 1980 im Zusammenhang mit dem Mittellandkanal ausgebaut. Dabei wurden auch bereits die beiden der Einmündung am nächsten liegenden Brücken Nr. 71 und 72 durch Neubauten ersetzt. Als erste der verbliebenen historischen Brücken wurde dann Ende Juni 2000 die Brücke Nr. 73 bei Hollage abgebrochen und neu errichtet. Es folgte die Brücke Nr. 76 im Oktober 2002 und schließlich die Brücke Nr. 74, beide ebenfalls in der Nähe der Ortschaft Hollage. Zur Zeit wird neben der Brücke Nr. 78 bei Pye der Neubau erstellt. Nach dessen Fertigstellung, voraussichtlich im Oktober diesen Jahres, wird auch diese Brücke verschwinden. Es folgt dann ab Dezember 2006 die Brücke Nr. 79 bei Eversburg, die als einzige eine abweichende Konstruktion mit einem untenliegenden Fachwerk aufweist, und schließlich 2007/08 als letzte die Brücke Nr. 75, wiederum bei Hollage.
Ein Fragment der Brücke Nr. 73 wurde vom Verein des Heimathauses Hollager Hof beim Abbruch gesichert, restauriert und im August 2004 als Denkmal neben dem Brückenneubau aufgestellt. Eine Tafel weist auf die auch regionale Bedeutung der alten Brücken hin:
"Wegen der Einzigartigkeit der alten Brücken über den Stichkanal ist hier ein Teilstück der Brücke 73 (Niehaus Brücke) und das Sandstein-Portal wieder aufgebaut, damit nachfolgende Generationen die Handwerkskunst um 1910 nachvollziehen können. In der Gemarkung Hollage befanden sich vier Bogenbrücken mit Sandsteinportalen, die zwischen 1910 und 1914 entstanden sind. Die tragenden Teile sind, wie hier zu sehen, als genietete Stahl-Fachwerk-Konstruktion ausgeführt. Die Geländer zeigen Jugendstil-Elemente."
Nach Abschluss der Arbeiten an den Brücken wird dann das Kanalbett selbst ausgebaut. Diese Maßnahmen sollen bis voraussichtlich 2010 beendet werden. Anschließend werden auch die dann etwa 100 Jahre alten Kammerschleusen bei Hollage und bei Haste durch Neubauten ersetzt. Mit ihnen werden die letzten noch verbliebenen Zeugen aus der Entstehungszeit des Kanals verschwinden.
Quellen und weitere Informationen:
- Internetseite des WSA Minden: http://www.wsa-minden.de/
- Internetseite des Neubauamtes für den Ausbau des Mittellandkanals in Hannover: - http://www.nba-hannover.wsv.de/
- Jan Gympel: Schrittmacher des Fortschritts - Opfer des Fortschritts?, Bonn 1999
- Museum Industriekultur Osnabrück (Hrsg.): Die Industrie-Kulturlandschaft Piesberg - Ein Führer: Rasch Verlag, Bramsche 1997
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