Das Sonderwaffenlager Bellersdorf und die Aartalkaserne Herbornseelbach

In den "graphical location codes by area" , einem Nummernrastercode für amerikanische Militär-Installationen, findet sich sowohl die Aartal-Kaserne in Herborn-Seelbach, einem kleinen, netten Ort neben Herborn , als auch das Lager Bellersdorf. Die Gelände liegen beide im Lahn-Dill-Kreis in Hessen. Traurige Berühmtheit erlangte die Stadt Herborn im Sommer des Jahres 1987, als ein Tanklaster mit überhöhter Geschwindigkeit in den Ortskern der Stadt fuhr und ungebremst in eine Häuserzeile raste. Er hatte defekte Bremsen und setzte neun Häuser in Brand. Bei dem Unglück sterben vier Menschen. Der Militarisierungsatlas weist den Standort Herborn-Seelbach als einen Zwischenlagerungspunkt für Pershing-II-Bestandteile aus. Der Atlas spricht auch von einem Sonderwaffen-Depot bei der Kaserne. Dieses Depot lag jedoch nicht im Ortsteil Seelbach selbst, sondern bei dem nur wenige Kilometer entfernten Dorf mitten im Wald. Auf etwa 350m über NN liegt der mit rund 380 Einwohnern kleinste Ortsteil Bellersdorf der Gemeinde Mittenaar.

Luftbild der Anlage

Das Lager wurde etwa 1965 errichtet. Der innere Bereich durfte nur von amerikanischen Soldaten betreten werden. Der äußere Ring einschließlich der Wachtürme war den deutschen Wachsoldaten vorbehalten und um den äußeren Zaun herum hat ziviles Wachpersonal mit Hunden ungebetene Gäste fern gehalten. Die Bundeswehr-Soldaten mussten jeweils maximal vier Tage am Stück Wache schieben (von Montag Mittag bis Freitag Mittag bzw. von Freitag Mittag bis Montag Mittag), die restliche Zeit war Bereitschaftsdienst in der Kaserne. Kontakt mit den Amerikanern war zwar erlaubt, aber wegen der Sprachbarriere und der Zurückhaltung der Gis eher selten. Der Zugang zum inneren Bereich war Ihnen nur im Alarmfall zur Besetzung der MG-Stellungen erlaubt. Für den Betrieb des Lagers wurde eigens eine Kaserne im ca. neun Kilometer entfernten Herbornseelbach errichtet und im Ortsteil Bicken der Gemeinde Mittenaar eine neue Flussbrücke gebaut, die den Schwertransporten standhalten sollte.


Die neue Brücke

Im März 1962 hatte der damalige Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß entschieden, in Herbornseelbach eine Kaserne zu errichten, in der sowohl deutsche als auch amerikanische Soldaten untergebracht werden sollten. Die "schwierige Geburt", wie es der damalige Herbornseelbacher Bürgermeister Hans Weber (SPD) bezeichnete, gelang nach einigen Widerständen, und die ersten Soldaten konnten im Mai 1966 in die neue, noch nicht ganz fertig gestellte Kaserne einziehen. Es waren Voraus-Soldaten des Transportbataillons für Sonderwaffen SW 83 und die Fernspähkompanie 300. Letztere stellte sich am 6. Juni 1966 mit einer Parade, einem Fallschirmspringen und einem Platzkonzert auf "Deckers Hof" den Seelbachern vor. Die offizielle Standortübergabe erfolgte am 6. September 1967.

Ein amerikanischer Zeitzeuge berichtet aus seiner Dienstzeit Anfang der siebziger Jahre: "Ich habe in diesem Depot an nuklearen Gefechtsköpfen für verschiedene Raketensysteme der US Army gearbeitet. Unser Job bestand darin, die Gefechtsköpfe immer zu warten und immer in einwandfreiem Zustand zu halten. Wir führten praktisch kontinuierlich Test an ihnen durch, um sicherzugehen, daß sie perfekt arbeiten würden.

Während des Tages (zwischen 8:00 und 16:00 Uhr) arbeiteten etwa fünfundzwanzig Leute auf der Anlage, rund die Hälfte davon als Wachpersonal. Die Wachen patrouillierten in regelmäßigen Abständen am Zaun entlang, einige arbeiteten auch in den Gebäuden, in denen die Gefechtsköpfe gewartet wurden. Die ganze Anlage wurde rund um die Uhr bewacht, ich glaube, es waren drei Wachschichten. Das Wachpersonal mußte stündlich einen Report nach Herborn durchgeben.

Als im Sommer 1972 Terroristen einen Anschlag auf die olympischen Spiele in München verübten, wurde unsere Einheit in erhöhte Aufmerksamkeit versetzt, nach möglichen Terroristen rund um amerikanische Einrichtungen Ausschau zu halten. Einmal wurde unsere Einheit alarmiert, schwer bewaffnete Terroristen würden sich auf dem Weg nach Herborn befinden - sie tauchten nie auf.

Während dieser Zeit war auch die Bader-Meinhof-Gruppe in Deutschland sehr aktiv und verübte Sprengstoffanschläge au US-Einrichtungen. Sie konzentrierten sich allerdings meist auf größere Anlagen, so daß sie uns in Herborn nicht wirklich störten. Die Wachsoldaten berichteten einige Male von Pkws, die sich der Anlage unerlaubt genähert hätten und jeweils wieder weggeschickt worden waren. Wie sich später herausstellte, waren die Fahrzeuge auf Eigentümer aus der Sowjetunion zugelassen. (Wahrscheinlich handelte es sich um Angehörige der sowjetischen Militärmission. d.Verfasser)

Soweit ich weiß, wurden alle in Herborn gelagerten Atomwaffen im Rahmen der Abrüstungsverträge vernichtet bzw. außer Dienst gestellt. "


Die militärischen Einrichtungen wurden 27 Jahre später in 1994 aufgegeben. Bei der genutzten Fläche handelt es sich um Staatswald. Der Eigentumsübergang vom Land zum Bund und anschließend umgekehrt vollzog sich nach Aussage des Bürgermeisters geräuschlos. Zur Lagernutzung gab es in der Gemeinde Ahnungen und Vermutungen, die sich auch aus der ungewöhnlich scharfen Bewachung entwickelten. Erst in den letzten Jahren entwickelte sich ein Bürgerprotest in Form von Friedens-Gottesdiensten vor dem Lager-Eingang.

Lieferungen kamen und gingen entweder per LKW oder über die Luft. Das Luftbild zeigt sehr schön den Lager-Alltag "on duty". Große Chinook - Helikopter belieferten regelmäßig das Lager aus der Luft. Wenn Helikopter landeten, waren angeblich immer 200 schwer bewaffnete Soldaten vor Ort. Heute ist dort von der einstigen Brisanz des Ortes nichts mehr zu spüren. Das Gelände gleicht einer Halde. Und so wird es auch genutzt, als "Bauschuttzwischenlager Bellersdorf". Die Bunker sind, bis auf einen, mit Erde verschüttet worden. Ein letzter Bunker dient als Lagerstätte für schweres Baugerät. Der Verlauf des alten Doppelzaunes ist noch gut erkennbar und am Waldesrand befindet sich noch ein Nahbereichssonar zum Aufspüren von Menschen, die sich dem Zaun nähern.

Der letzte verbliebene Bunker
Obsolete HinweiseKärgliche Reste der Sicherheits-ElektronikFernmeldeturm der AmerikanerSicherheitsstreifen

Die im Lager und in der Aartalkaserne stationierten Truppen waren:

Die 557th U.S. Army Artillery Group kam ursprünglich aus Camp Gruber, Oklahoma, wo sie 1943 ins Leben gerufen wurde. Zwischendurch in den vereinigten Staaten außer Dienst gestellt wurde sie im Juli 1952 als Headquarters and Headquarters Battery, 557th Field Artillery Missile Battalion, und offiziell der Army zugeteilt. 1955 wurde das Battallion für Corporal-Raketen zuständig (Fort Bliss, Texas) als 557th Field Artillery Missile Battalion (Corporal). Deaktiviert in Deutschland 1958 und als Artillery Group neu zusammengestellt 1963 und 1965 in Fort Sill, Oklahoma stationiert. Im Dezember 1965 bekam die "557th U.S. Army Artillery Group" die Aufgabe des "Special Ammunition Support Command in Germany". Bis zu ihrer Auflösung im Juni 1992 war die 557ste dann in Herbornseelbach.

Die Historie der 96th Ordnance Company reicht zurück bis in den August 1914 in Fort Hancock, Georgia. Im Zweiten Weltkrieg war die Einheit im Pazifik im Einsatz. 1948 wurde sie auf Hawaii außer Dienst gestellt, von 1952 bis 1957 war sie auf den White Sands Proving Grounds (New Mexico) aktiv, 1959 wurde sie als Sonderwaffeneinheit wieder in Dienst gestellt. 1966 wurde der Truppenteil nach Deutschland verlegt und der 548th U.S. Army Artillery Group zugewiesen. Auch sie wurde im Juni 1992 außer Dienst gestellt.

Herborn Army Post, ca. 1971-1973

Am 27. September 1993 endeten auch für die Bundeswehr 27 Jahre Garnisonsgeschichte in Herbornseelbach. Zum letzten Mal holten Soldaten des Nachschubbataillons SW 320 am 27. September 1993 die Bundesflagge an der Aartalkaserne ein. Der Auftrag des Bataillons bestand darin, die Truppenteile des III. Korps (III GE Corps; 2ATAF) mit Sondermunition wie etwa nuklearen Sprengköpfen zu versorgen und die Bewachung des Lagers im Wald bei Bellersdorf sicherzustellen. Die Geschichte ging schließlich auch nicht an der Aartal-Kaserne vorüber. Die Entwicklung im Ostblock und der Zusammenbruch der DDR machten auch das Vorhalten von Sondermunition überflüssig, und somit kam im Zuge der allgemeinen Truppenreduzierung auch das Ende für die Seelbacher Kaserne. Am 18. Juni 1993 folgte dann der letzte große Auftritt des Nachschubbataillons SW 320. Auf dem Herborner Marktplatz fand ein "feierliches Gelöbnis" der letzten in Seelbach ausgebildeten Rekruten statt. Mit der Übergabe der Truppenfahne von Oberstleutnant Richter als Kommandeur des Nachschubbataillons SW 320 an den Korpsartilleriekommandeur Oberst Eckermann wurde das Nachschubbataillon SW 320 zum 30. September 1993 außer Dienst gestellt. Die Tradition des Militärs in Herbornseelbach war damit aber nicht ganz untergegangen: Aktive und ehemalige Soldaten, Reservisten und zivile Mitarbeiter gründeten den "Traditionsverband der ehemaligen Garnison Herbornseelbach e. V.", der seitdem die Erinnerung an die Garnison und das Nachschubbataillon bei Treffen und Vorträgen, Reisen zu historischen Stätten und anderem wach hält.

Quellen:
- eigene Recherchen
- eigenes Archiv
- Universitätsbibliothek Gießen
- Bürgermeister der Gemeinde Mittenaar, Hermann Steubing, Lahn-Dill Kreis, Hessen
- Zeitungsarchiv und Online-Angebot des Gießener Anzeigers, http://www.mittelhessen.de
- Der Militarisierungs-Atlas der BRD.
- Der Bedrohungs-Atlas, Bundesrepublik Deutschland, Burkhard Luber, Jugenddienst-Verlag, 1983.
- Abrüstungsatlas, Chancen und Risiken des Amerikanischen Truppenabzuges aus der BRD, Georg Olms Verlag, 1990.
- http://usarmygermany.com

Weiterführende Informationen gibt es beim Traditionsverband Aartalkaserne.

Tags: Atomwaffen, Depot