Wendover Air Base

Wendover, Utah - das ist ein kleiner Ort mit rund 1.500 Einwohnern an der Grenze zwischen den US-Bundesstaaten Utah und Nevada. Mehr als 170km westlich von Salt Lake City liegt Wendover am Rande der riesigen Salzwüste Utahs mitten im sprichwörtlichen Nichts. Einige Meilen entfernt liegt die Strecke, auf der von Zeit zu Zeit einige Unablässige versuchen, den "Land Speed Record", also den Geschwindigkeits-Weltrekord zu Lande, zu brechen - die Bonneville Salt Flats. Auf der anderen Seite der Grenze, im Ortsteil West Wendover, der zu Nevada gehört, versuchen die Leuchtreklamen einiger Kasino-Hotels, Reisende zu locken - dahinter beginnt wieder die Wüste. Und doch hat dieser winzige und unscheinbare Ort nicht unerheblichen Anteil an der Weltgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts.

Wendover -TowerWendover -KasernengebäudeWendover -KasernengebäudeWendover -ehemaliges Schwimmbad

Ende der dreißiger Jahre begann man im Rahmen der Mobilmachung mit Planungen für einen militärischen Flugplatz, Bombenabwurf- und Übungsplätze bei Wendover. Der winzige Ort mit nur 103 Einwohnern lag an der Bahnlinie, die von Salt Lake City an die Westküste führt und wurde aufgrund seiner Lage am Rande der riesigen, weiß schimmernden und nahezu unbewohnten Salzwüste ausgewählt. Im Jahr 1940 bewilligte der Kongress erste Gelder zum Aufbau eines Übungsgebietes und im September des Jahren begann das Army Air Corps mit den ersten Bauarbeiten an der Anlage, die später "Wendover Field" heißen sollte. Fort Douglas untergeordnet, wurde im Juli 1941 weiteres Land akquiriert. Mit einer Breite zwischen dreißig und sechzig Kilometern und einer Länge von rund 145 Kilometern lag hier nur die flächenmäßig größte militärische Anlage der Welt. Die erste hier stationierte Einheit bestand aus einem Offizier und zunächst 10, kurz darauf 47 Soldaten, die am 12. August 1941 mit der Aufstellung von Zielmarkierungen begannen.

Wendover -SatellitenbildDie Basis wurde bis zum Ende des Krieges ständig weiter ausgebaut, die meisten Gebäude entstanden im Jahr 1943. Mitte 1941 standen vier Baracken für je 63 Mann, eine Messe für 250 Mann, Offiziers-Unterkünfte, ein Verwaltungsgebäude, eine Fernsprechvermittlung, zwei Munitionslagerhäuser, ein Lager für die als streng geheim eingestuften Bombenzielgeräte, ein Krankenrevier, drei Munitionsbunker ("Igloos") und vier Pulvermagazine. Ein eigenes Kraftwerk befand sich gerade im Bau, ebenso eine Pipeline, die eine zuverlässige Wasserversorgung aus einer Quelle in den Bergen sichern sollte. Auch eine "falsche Stadt" und ein "falsches Schlachtschiff" als Ziele (beide aus Salz), eine Beleuchtung der Ziele für Nacht-Übungen und ein Maschinengewehr-Schießstand entstanden. Um das Schießen auf bewegliche Ziele zu erlernen, wurden die Bordschützen sogar mit Hilfe von fahrenden, auf Eisenbahnwaggons montierten Schießständen ausgebildet.

Die Wendover Army Air Base wurde im März 1942 schließlich offiziell als Flugplatz und Kaserne für das Training mit den schweren Bombern B-17 und B-24 in Betrieb genommen. Darüber hinaus verlegte die Army Air Force die Entwicklung von Lenkwaffen, Dronen und ferngezündeten Bomben nach Wendover. Die ersten Nutzer waren dann Mitte April vier Geschwader der 306th Bomb Group. Bis zum Jahresende hatten bereits drei Gruppen ihr Training abgeschlossen, eine vierte war noch dabei. Im Folgejahr 1943 wurden dreizehn Gruppen ausgebildet, zum Jahreswechsel befanden sich vier im Übungsprogramm. Anfang 1944 verließen zwei Gruppen Wendover, übrig blieben zwei Gruppen mit B-24 "Liberator". Insgesamt 21 Bomb Groups mit mehr als eintausend Bomberbesatzungen wurden hier ausgebildet. Zu ihrem Trainingsprogramm gehörten der Formationsflug in großen Höhen, Flugnavigation über große Entfernungen, die Identifikation von Zielen und komplette Übungs-Einsätze.

Wendover -Gebäude vor 1945Training der Bomberbesatzungen in WendoverTraining der Bomberbesatzungen in Wendover

Im April 1944 endete die Ausbildung von Bomberbesatzungen in Wendover zunächst und wurde durch die Ausbildung von Jagdpiloten auf der P-47 "Thunderbolt" abgelöst. Doch nur drei Gruppen der 72nd Fighter Wing mit insgesamt 180 Mann erhielten hier ihre Ausbildung an diesem Flugzeug, bevor die Einheit den Standort im September 1944 wieder verließ. Es folgte nun die mit Bombern des Typs B-29 ausgerüstete 393rd Bombardment Squadron, ohne dass es dafür eine offizielle Erklärung gegeben hätte. Dieser anscheinend so überstürzte Wechsel hatte einen wichtigen Grund:

Bereits 1942 hatte Präsident Franklin D. Roosevelt das "Manhattan Project" ins Leben gerufen - das amerikanische Programm zur Entwicklung einer Atombombe. Bis 1944 war die Entwicklung schon so weit fortgeschritten, dass man bereits nach einem geeigneten Flugzeug suchte und sich für die B-29 entschied. General Henry "Hap" Arnold, Kommandeur der Army Air Forces, delegierte das Kommando über die neu geschaffene Einheit an Colonel Paul W. Tibbets. Nur Tibbets kannte die Aufgabe der neu gegründeten 509th Composite Group und entschied sich - wiederum aufgrund der einsamen Lage und des großen Platzangebots - für Wendover. Am 17. Dezember 1944 wurde die Composite Group mit einer Stärke von 1.767 Mann in Dienst gestellt. Zu ihnen gehörte auch das First Technical Detachment, das aus zivilen und militärischen Wissenschaftlern bestand. Der größte Teil der Soldaten in Wendover hatte angeblich nicht die geringste Ahnung, an was für einem Projekt hier eigentlich gearbeitet wurde. Im Einzelnen bestand die 509th Composite Group aus den folgenden Einheiten:

  • Headquarters 509th Composite Group
  • 320th Troop Carrier Squadron
  • Headquarters and Base Services
  • Squadron, 390th Air Service Group
  • 603rd Air Engineering Squadron
  • 1027th Air Material Squadron
  • 1395th Military Police Company (Aviation)
  • 393rd Bombardment Squadron (Very Heavy)

Die Stationierung der mächtigen B-29-Bomber in Wendover führte auch zu vollkommen unvorhergesehenen Schwierigkeiten. Selbst der größte Hangar des Platzes war zwar groß genug für die Maschinen, hatte aber ein zu niedriges Tor. Man behalf sich auf unkonventionelle, aber praktische Weise, indem man oberhalb des Rolltores einen zusätzlichen Ausschnitt für das sehr hohe Seitenleitwerk der B-29 in die Hangarwand schnitt.

Wendover - der B-29 - HangarWendover - HangarWendover - Vorfeld

Zur Betreuung des "Projektes W-47", das im "Manhattan Project" eine Schlüsselrolle spielte, wurde eigens eine spezielle Einheit ins Leben gerufen - die 216th AAF Base Unit (special). Die Einheit stellte inerte "Bomben-Dummies" und andere Abwurfkörper und Hilfsapparaturen her, mit deren Hilfe Erkenntnisse über die mechanischen, elektrischen und ballistischen Eigenschaften verschiedener Komponenten  der Bomben und des Abwurfmechanismusses gewonnen werden sollten. Zwischen Oktober 1944 und August 1945 fanden insgesamt 155 solche Testabwürfe statt. Mit Fortschreiten des Projekts wurden die Übungsbomben, welche bereits die Namen "Little Boy" und "Fat Man" trugen, immer komplizierter und ausgefeilter. Für die Einheit standen bei ihrer Arbeit weniger Probleme der Atomphysik im Vordergrund als vielmehr ganz alltägliche Hindernisse. Aufgrund der Größe der Bomben konnten diese nicht mehr wie üblich auf Rollwagen unter den Bombenschacht des Flugzeugs gefahren werden, sondern mussten zunächst in eine Grube herunter gelassen werden, über der dann der Rumpf des Bombers plaziert wurde. Aus der Grube heraus konnte die Bombe dann mit hydraulischer Hilfe in den Rumpf gehoben werden.

Fat Man - Bombe auf einem TransportwagenBeladen eines B-29 - BombersWendover - Bomb Pit, grube für das Beladen der B-29Wendover - Reste der Hydraulik

Währenddessen verlegte ein Teil der 393rd BG nach Batista Field auf Kuba und trainierte dort Flug und Navigation in großen Höhen über Wasser. Nach ihrer Rückkehr nach Wendover erhielt die Einheit im Mai 1945 neue Maschinen - wiederum B-29, allerdings mit neuen, leichteren Einspritzer-Motoren, Verstellpropellern, einem für die Atombomben modifizierten Bombenschacht und pneumatisch betätigten Bombenschacht-Türen. Noch im selben Monat verlegte die 509th Composite Group nach Tinian auf den Marianen-Inseln und flog von dort aus echte Einsätze über Japan. Die 216th Base Unit verblieb mit zwei B-29 und deren Besatzungen in Wendover, um weiter an ihrer nuklearen Mission zu arbeiten.

Am 16. Juli 1945 testeten die USA bei Alomogordo in New Mexico erfolgreich eine Atombombe vom Typ "Fat Man". Präsident Harry S. Truman drohte Japan mit dem Einsatz einer Bombe mit unvorstellbarer Zerstörungskraft, aber Japan reagierte nicht darauf. Am 6. August 1945 um 2:45 Uhr starteten Colonel Tibbets und seine Besatzung mit der "Enola Gay" - um 9:15 Uhr explodierte über Hiroshima die erste Atombombe vom Typ "Little Boy". Trotz der verheerenden Wirkung gab Japan zunächst immer noch nicht auf. Drei Tage später explodierte über Nagasaki eine Atombombe vom Typ "Fat Man", abgeworfen von der B-29 "Bock"s Car", geflogen von Major Charles Sweeney. Da Japan nicht sofort kapitulierte, orderte Colonel Tibbets eine weitere Bombe vom Typ "Fat Man". Am 14. August, kurz nachdem das Flugzeug mit der Lieferung von Wendover Richtung Tinian abgehoben hatte, kapitulierte Japan. Die Bombe kehrte zurück nach Wendover, wurde wieder demontiert und die Einzelteile zurück nach Los Alamos gebracht. Der Zweite Weltkrieg war vorbei - aber die Menschheit hatte die Schwelle in das Zeitalter der Atomwaffe überschritten.

Tibbetts vor der Enola GayB-29 Enola Gay (Hiroshima)B-29 Bock's Car (Nagasaki)

Die 216th Base Unit wurde mitsamt sämtlichem Atomwaffen-Material auf die Sandia Base versetzt. Sogar einige der von der Einheit benutzten Gebäude wurden demontiert und in Sandia wieder aufgebaut. Anfang 1946 war in Wendover von der aktivsten Atomwaffen-Schmiede der damaligen Zeit nichts mehr übrig.

Am 31. Dezember 1945 wurde Wendover an das Ogden Air Logistics Center übergeben. Schon im Oktober 1944 war ein Detachment des Special Weapons Branch aus Wright Field mit dem Auftrag nach Wendover gekommen, erbeutete und experimentelle Raketen- und Lenkwaffen zu erproben. Hierzu gehörte einfachere Abwurfmunition, ferngelenkte Gleitbomben, aber auch Waffen mit eigenem Antrieb wie etwa ferngesteuerte B-17-Bomber oder die deutsche Fi-103 bzw. V1. Im Sommer 1944 waren etwa 1,25 Tonnen geborgener Reste von V1-Flugkörpern aus England zur Analyse in die USA verschifft worden. Die US Air Force wollte diese Waffe kopieren und studierte sie daher sehr genau. Bereits nach wenigen Wochen hatte man Pläne und konnte die erste amerikanische V1 unter der Bezeichnung "JB-2" (Jet Bomb 2, Navy-Name "Loon") herstellen. Am 5. Juni 1945 absolvierte die JB-2 den ersten erfolgreichen Testflug. Die in Wendover abgeschossenen Testmuster trugen den Spitznamen "Wendover Willie" und wurden meist mehrmals benutzt. Obwohl man sehr schnell erkannte, dass die Waffe aufgrund ihrer Zielungenauigkeit praktisch nur als Terrorwaffe einsetzbar war, orderte man mehrere tausend Einheiten für den Einsatz in Japan. Weitere Erprobungen zur Verbesserung des Lenksystems fanden in Eglin (Florida) und Wendover statt. Bei Einstellung der Produktion im September 1945 waren bereits 1.385 Einheiten an die Truppe ausgeliefert worden. Auch danach wurde noch an der JB-2 weiter entwickelt..  Wendover spielte noch für einige Zeit eine Schlüsselrolle in der Entwicklung neuer Lenkwaffen, bevor dieser 1.200 Man starke Bereich im März 1947 nach Alamogordo/White Sands in New Mexico verlegt wurde. Die Schienen der rund 120m langen Startrampe der JB-2 wurden demontiert und ebenfalls nach Alamogordo geschafft. In Wendover verblieben nur die Fundamente und ein Beobachterstand.

JB-2 - die amerikanische V-1

Der Flugplatz wurde nun noch einige Zeit als Abstellplatz für B-29 benutzt, bevor das Strategic Air Command die Anlage 1947 übernahm und unter der neuen Bezeichnung "Wendover Air Force Base" als Truppenunterkunft für Manöver nutzte. 1949 wurde der Platz außer Dienst gestellt und 1950 an das Ogden Air Material Area übergeben, aber weiterhin als Übungsplatz genutzt. Ab 1954 nutzte das Tactical Air Command Wendover etwa vier Jahre lang als Übungsplatz und investierte etwa eine Million US-Dollar in die Renovierung. 1958 ging die Anlage wieder an Ogden zurück und wurde 1960 in "Wendover Air Force Auxiliary Field" umbenannt, das dazugehörige, riesige Übungsgebiet in "Hill Air Force Range".

Wendover - ShelterWendover - Blick auf den MunitionslagerbereichWendover - Munitionslagerhaus (Igloo)
Wendover - Munitionslagerhaus (Igloo)Wendover - Tür eines MunitionslagerhausesWendover - Gebäude im Munitionslager

Im Jahr 1965 wurde der Flugplatz schließlich ganz geschlossen, die stationierten Bodeneinheiten 1969 außer Dienst gestellt und der gesamte Flugplatz 1976 als aufgegeben erklärt. Vorher, Im Juli 1975, erkannte man die historische Relevanz und stellte den Flugplatz unter Denkmalschutz. Im Juli 1976 wurde das Wasserversorgungssystem an die Stadt Wendover übergeben, im August folgte der größte Teil von Wendover Air Force Auxiliary Field. Die Air Force behielt ein etwa vierzig Hektar großes Gelände für eine Radaranlage und den riesigen, südlich angrenzenden Bereich des Hill Air Force Range. Seit 1977 wurden die Flugplatzeinrichtungen für verschiedenste Zwecke benutzt. Die Stadt Wendover nutzte einige Gebäude selbst, andere wurden und werden von Firmen benutzt.

Im Laufe der Jahrzehnte diente Wendover bzw. später Decker Field auch als Kulisse für verschiedenste Filme. 1973 entstand hier der Film "Duell der Helikopter" (Originaltitel: "Birds of Prey"), in dem erstmals Hubschrauber innerhalb eines Hangars flogen. Auch einige Szenen des effektgeladenen Actionfilms "Con Air" wurden 1997 in Wendover gedreht. Ein paar Hinterlassenschaften künden noch heute davon, so z.B. der Rumpf einer C-123K oder ein hölzerner Turm im Bereich des ehemaligen Munitionslagers. Der bekannteste Film, in dem der Flugplatz eine Rolle spielte, ist sicherlich "Independence Day" - hier diente Wendover als Außenansicht des "Area 51".

Die Rollbahnen, Hangars und einige weitere Gebäude dienen nun als ziviler Flugplatz ("Decker Field"). Die ursprüngliche Runway 03/21 wurde 1998 geschreddert und als Untermaterial für die neue Runway 08/26 verwendet. Die alte Runway 07/25 wurde von den Pionieren der Air Force benutzt, um das Zerstören und Reparieren von Flugplätzen zu trainieren und ist heute nicht mehr nutzbar, soll aber für Übungszwecke der Nationalgarde wieder hergerichtet werden. Bis heute unterhält die Air Force Nutzungsverträge mit der Stadt Wendover, die ihr, der Air Reserve und der Nationalgarde eine Verwendung des Flugplatzes für Trainingszwecke erlaubt. Für einen kleinen Ort mitten im Nicht völlig unerwartet, fliegt eine Boeing 737 Wendover doch wöchentlich an. Es handelt sich um einen billigen Pauschalflug aus dem Nordwesten der USA, der zu einem Wochenend-Kasino-Paket gehört.

Wendover - Manöver in Decker Fire´ld 1987Wendover - Gebäude und Kulissen-TurmWendover - Hinterlassenschaft der Filmcrew

Viele originale Bauten sind noch heute erhalten, einige werden genutzt, andere stehen leer und verfallen zusehends. Im Betriebsgebäude des Flugplatzes ist auch ein kleines Museum untergebracht, das von einem Verein zur Erhaltung des historischen Flugplatzes betrieben wird. Ein Besuch lohnt sich - auch, wenn man selbst als USA-Urlauber sicher nicht unbedingt so häufig in dieser Gegend vorbei kommt ...

Quellen:
- World War II Sites in the United States, Richard E. Osborne
- Historic Wendover Air Field - http://www.wendoverairbase.com/
- Historic American Buildings Survey, Library of Congress
- History of 509th Composite Group
- We develop Missiles, not Air, Mattsen/Tagg
- The Army Air Forces in World War II
- USAF - Hill AFB Fact Sheet-

Tags: Atomwaffen, USA, V-Waffen