Die Marinebatterien des Westwalls am Oberrhein
Südlich von Karlsruhe, etwa 12 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, stehen im sogenannten Hardtwald gesprengte Bunkerruinen, von denen besonders zwei Anlagen aufgrund ihrer enormen Größe die Aufmerksamkeit vorbeigehender Passanten auf sich ziehen. Von vielen zwar wahrgenommen, aber dennoch nicht weiter beachtet, stehen diese Bauwerke bereits seit über 60 Jahren als Teil der Deutschen Westbefestigungen, welche ebenfalls unter dem Namen Westwall bekannt ist, nahe der französischen Grenze nur wenige Kilometer vom Rheinufer entfernt. Während des passierens der Anlagen vermuten nur die allerwenigsten der örtlichen Spaziergänger, um welche besondere Art von Bunkeranlagen es sich dabei handelt und welche besondere Rolle genau diese Bauwerke einstmals zu Beginn des Zweiten Weltkrieges spielten.
Noch viel weniger ist den meisten etwas von den geschäftigen Aktivitäten der letzten Kriegsmonate Ende 1944 / Anfang 1945 bekannt, welche mit der verzweifelten Absicht durchgeführt wurden, diese Anlagen wieder kampffähig zu machen und das Schicksal am Oberrhein noch einmal zu Gunsten der deutschen Führung zu entscheiden. Ähnlich verhält es sich mit den kurz darauf aufbrennenden Kampfhandlungen im hiesigen Bereich, welche den Einmarsch der Franzosen ins Rheintal einleiten sollten. Während für den unwissenden Spaziergänger hier nur weitere gesprengte Trümmerhaufen des einstigen Westwalls ihrem Dasein fristen und langsam von der Natur verschluckt werden, stellen die Bauwerke im Hardtwald wiederum für den historisch Interessierten sowie jeden Festungs- und Westwallforscher eine Besonderheit dar. Denn diesem Personenkreis sind die Bunkeranlagen der sogenannten „Hardtwald-Batterie“ mit ihren orstfesten 17-cm-Marinegeschützen durchaus ein Begriff, wobei auch hier wie so oft der Mangel an näheren Informationen zur eigentlichen Geschichte der Bauwerke ein Problem darstellte. Was steckt also nun hinter diesen mächtigen Bauwerken? Welche geschichtlichen Ereignisse spielten sich hier ab und warum sollten die Bunkeranlagen im Hardtwald zu Kriegsbeginn 1939 gleich mehrfach zur Vorführungen von eingeladenen Besucher des Militärs, der Politik und sogar der ausländischen Presse dienen?
Es ist mitten im Sommer des Jahres 1938 als plötzlich über den gesamten Oberrhein verteilt Offiziere des Heeres und der Marine an ausgesuchten Stellen zwischen Karlsruhe und Weil am Rhein Geländerkundungen und Vermesseungen durchführen. Unter den Herren befinden sich zum einen Spezialisten der Festungspioniere, Fachleute der Marinezeugämter sowie Vertreter des Oberkommandos des Heeres. Deren geschäftiges Treiben zwischen Streuobstwiesen und Rebflächen der Oberrheinischen Tiefebene sowie Tannen des Schwarzwaldes geschieht aufgrund der Geheimhaltung sogar anfangs ohne das Wissen und die Kenntnis der Grundstücksbesitzer selbst. Daraufhin kommt es zu Geländeaukäufen durch den Reichsfiskus, teilweise unter vorheriger Androhung von Zwangsenteignung aufgrund des Wiederstandes vereinzelter Grundstücksbesitzer. Kurz darauf sollte es dann mit der beschaulichen Ruhe und der ländlichen Idylle in den angrenzenden Ortschaften dieser besagten Grundstücke vorbei sein. Betriebsames Treiben und eiliges Kommen und Gehen neuer Gesichter, Fahrzeugen und Baufirmen. Es kommt zu Einquartierungen, Materialanlieferungen und schließlich dem Anlegen von Baustellen.
Grund für all diese Tätigkeiten waren die ersten Expansionsgedanken des neuen deutschen Führers und Reichskanzlers Adolf Hitler, welchen es seit seiner Machtergreifung im Jahre 1933 sowie der kontinuierlichen Wiederaufrüstung durch die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht im Jahre 1935 in Richtung Osteuropa zog. Dabei war jedem in den oberen Führungsebenen in Berlin durchaus klar, dass Deutschland aufgrund der erst im Aufbau befindlichen Wehrmacht sowie deren Ausrüstung im Sommer 1938 keinesfalls eines Zweifrontenkrieges gewachsen war. Dieser zeichnete sich nämlich allzu deutlich durch die Hilfezusagen Frankreichs und Englands an die Tschechoslovakei und Polen im Falle eines möglichen deutschen Angriffs ab. Dennoch entschloss sich Hitler zu einem Angriff auf die Tschechoslowakei, löste damit die Sudetenkrise aus und legte den Angriffstermin des sogenannten „Fall Grün“ auf die ersten Tage des Oktobers 1938 fest. Um sich nun den Rücken im Westen so lange wie möglich freizuhalten um im Osten entsprechend agieren zu können, sollte in aller Eile die deutsche Westgrenze befestigt und bewaffnet werden. Dort befanden sich zwar bereits einzelne Bunkeranlagen, jedoch konnte dabei noch keinesfalls von einer lückenlosen Feuerfront die Rede sein. Diese ersten Anfänge der deutschen Westbefestigungen, welche später unter dem Namen „Westwall“ bekannt werden sollten, hatte mit einem in die Landschaft zementierten Bollwerk, wie ihn die Propaganda später gerne präsentierte, nur wenig zu tun. Den geringsten Ausbaustand innerhalb dieser von der niederländischen bis zur schweizerischen Grenze verlaufende Grenzbefestigung wies dabei der südlichste Abschnitt am Oberrhein von Karlsruhe bis Weil am Rhein auf. Ein möglicher französischer Angriff über den Rhein erschien gerade hier so gut wie vorprogrammiert. Dieses schwächste Glied der neuen deutschen Westbefestigungen, welches in diesem Moment nichts weiter als ein loses Gerippe einzelner Postenstellungen war, sollte durch die Stationierung schwerer ortsfester Artillerie verstärkt werden. Dabei sollten eben diese schweren Geschütze als „Vergeltungsbatterien“ durch die gezielte Bedrohung französischer Ballungsgebiete im Elsass, die Westmächte von einem Angriff auf Deutschland abhalten und Hitler die nötige Zeit zur Lösung seiner „tschechischen Frage“ verschaffen.
Somit entstehen im Spätsommer 1938 gegenüber der linksrheinischen Städte Hagenau, Straßburg, Selestat, Colmar und Mülhausen sowie dem Lautertal an den zuvor erkundeten Punkten hinter dem deutschen Rheinufer Stellungen für schwere ortsfeste Marinebatterien. Hinzu kommen einige weitere Einzelgeschütze, welche aus speziellen Positionen ihnen zugeteilte Sicherungsaufgaben von besonders wichtigen Zielen übernehmen sollen. Dazu zählen zum Einen das Stauwehr am Rheinstrom bei Märkt sowie das E-Werk nahe der französischen Ortschaft Kembs welche in den Augen der deutschen Armeeführung als potentielle Übergangsstellen eines französischen Angriffs über den Rhein angesehen werden. Die Reihe der auf diese Weise von der Küste an den Oberrhein geschafften Geschütze ist bunt und für eine Aufstellung in den Reihen des Heeres noch viel ungewöhnlicher. Durchweg Marinegeschütze sind es, welche es in den Kalibergrößen 10,5-cm, 17-cm, 24-cm, 28-cm und 30,5-cm an den Oberrhein verschlägt, wobei einige von ihnen bereits eine weite und ereignisreiche Vergangeheit hinter sich haben. Einst im Ersten Weltkrieg entweder auf Schiffen der Kaiserlichen Marine oder innerhalb der deutschen Küstenbefestigungen verwendet oder sogar im Russischen Zarenreich erbeutet, haben sie bis dahin die Zeit des für Deutschland verlustreichen Kriegsendes 1918 sowie die nachfolgenden Abrüstungssanktionen des Versailler Vertrages unbeschadet überstanden. Da sind beispielsweise die beiden 24-cm Geschütze, welche zuvor auf der Nordseeinsel Borkum als Batterie Oldenburg stationiert waren, ursprünglich aber als russische Küstengeschütze während des Ersten Weltkrieges im Zarenreich erbeutet wurden. Oder die 30,5-cm Geschütze, welche aus der Batterie Friedrich August auf der Insel Wangerooge entnommen wurden und zuvor eigentlich für die deutschen Schlachtschiffe der Helgoland-, Kaiser- sowie König-Klasse und die Schlachtkreuzer der Derfflinger-Klassse der Kaiserlichen Marine gebaut wurden. Denn im Gegensatz zum Heer verfügt nämlich nur noch die Marine innerhalb ihrer Küstenbefestigungen über weitreichende Artillerie mit entsprechender Munition sowie dem nötigen Ausbildungsstand um diese zu bedienen. Die Marine wird zur Abgabe dieser Geschütze an das Heer genötigt. Da dem Heer ebenfalls die Kenntnisse zum Ab- und Wiederaufbau dieser Marinegeschütze sowie das entsprechende technische Gerät fehlt, das Projekt aber ständig unter den Augen und des persönlichen Einflusses Hitlers steht, muss die Marine zähneknirschend das Heer dabei ebenfalls unterstützen. Dass dabei Reibereien und Ablaufstörungen zwischen beiden Dienststellen an der Tagesordnung sind ist von Beginn an unvermeitlich und soll fortan bis zum Ende des Westfeldzuges anhalten, wobei es dabei gleich mehrfach zu haarsträubenden Episoden kommt. Entgegen den allgemeinen Erwartungen wird die Sudetenkrise infolge des Müncher Abkommens diplomatisch gelöst und die bis zu diesem Zeitpunkt am Oberrhein lediglich offen aufgestellten Marinegeschütze nicht benötigt. Der nun von einem Ausbleiben eines alliierten Eingreifens an der deutschen Westgrenze überzeugte Führer und Reichskanzler befiehlt nun umgehend den verstärkten und beschleunigten Ausbau der Westbefestigungen und läßt ebenfalls den Angriff auf Polen als „Fall Weiß“ ausarbeiten. So kommt es, dass die nun am Oberrhein stationierten Marinegeschütze trotz Forderungen und Drängens der Marine in ihren Stellungen verbleiben und sogar durch den Bau massiver Bunkeranlagen befestigt werden. Dies führt ebenfalls dazu, dass nun im bisherigen Bauprogramm der Westbefestigungen Bunkeranlagen gebaut werden, welche sich durch ihre gewaltige Bauweise von 3,50 Meter Wand- und Deckenstärke von allen bisher erstellten Bauwerken unterscheiden. Sie sollen somit zu den größten Bauwerken des Westwalls zählen und gleichzeitig die anfallenden Baukonsten ins astronomische ansteigen lassen. So entspricht die Aufwendung von bereits einem dieser insgesamt zwanzig ganz individuell konzipierten Geschützbunker dem gleichen Aufwand mehrerer Einfamilienhäusern der damaligen Zeit. Der festungstechnischer Ausbau sowie die entsprechende technische Ausstattung jeder einzelnen Marinebatterie am Oberrhein wurde wiederum recht individuell dem umliegenden Gelände, der Reichweite, der Aufgabe und des Typs der Geschütze sowie der notwendigen Anzahl unterzubringender Mannschaften angepasst.
Doch damit sollte der Ausbau der Marinebatterien noch nicht vollendet sein, denn aufgrund der wichtigen Bedeutung dieser Marinegeschütze an Deutschlands Westgrenze wird ein speziell angelegtes Fernmeldenetz für deren Batterien angelegt, welches sich von Norden nach Süden über die gesamte Oberrheinische Tiefebene zieht. Schon alleine deshalb und aufgrund der direkten Durchschaltung welche die geforderte schnellst möglichen Verbindung zwischen den Batterieleitständen und ihren übergeordneten Befehlsstellen realisieren soll, steht die verantwortlichen Fernmeldetruppe vor einer gewaltigen Herausforderung. All dies verschlingt hunderte von Kilometern an mehradrigem Fernmeldekabel, welches gleichzeitig oberirdisch durch das Setzen von Kabelmerksteinen gekennzeichnet werden muss. Ebenfalls ist der Einsatz spezieller Schalt-,Wartungs- und Verteilerstellen innerhalb dieses Fernmeldesystems notwendig. Diese bedürfen wiederum dem Bau von entsprechenden Schutzanlagen in Form von kleinen Kabelsäulen oder Kabelbrunnen welche besonders außerhalb der Batteriestellungen dem Gelände angepasst werden müßen. Um möglichst für sich selbst agieren zu können, werden den Marinebatterien Versorgungs- und Meldefahrzeuge bereitgestellt. Um vor feindlichen Gegenreaktionen geschützt zu sein und die eigene Kampffähigkeit längstmöglich aufrecht zuerhalten kommt es neben dem Bau von Mannschafts- und Leitstandsbunkern sogar stellenweise zum Bau von verbunkerten Quellfassungen und Wasserbecken, welche einer gassicheren Wasserversorgung der Marinebatterien. All dies lässt erkennen, welche materiellen und finanziellen Aufwendungen man für die Erschaffung der Marinebatterien am Oberrhein in Kauf nahm, wobei deren Geschütze lediglich dem Heer auf eine bestimmte Zeit geliehen waren. Ebenfalls zeigt besonders der Bau von beschuss- und vor allem gassicheren Unterkunfts- und Trinkwasseranlagen nur allzu deutlich, dass von der obersten Führung mit feindlichen Gegenreaktionen im Falle eines Einsatzes der Marinebatterien gerechnet wurde. In geradezu erschreckendem Gegensatz dazu stehen die vorbereitenden Maßnahmen zum Schutz der örtlichen Zivilbevölkerung, welche sich in den angrenzenden Ortschaften in unmittelbarer Nähe der Marinebatterien befanden. Sie sollten sich bis zum Beginn des Westfeldzuges im Mai 1940 lediglich auf die Ausgabe von Klebeband beschränken, welches zum Schutz vor Zersplittern von Fensterscheiben an Wohnhäusern dienen sollte. Das dann eben diese Anordnung sogar von alleroberster Stelle aus Berlin von Seiten des Führers und Reichskanzlers in schriftlicher Form angeordnet wurde, spricht fraglos für sich.
Bis in das Frühjahr des Jahres 1939 hinein halten die Arbeiten zum befestigten Ausbau der neuen Marinebatterien am Oberrhein an und finden schließlich in der Erschaffung von acht recht unterschiedlich gestalteten Batteriestellungen ihren Abschluß. Dabei sollte es sich um eine 10,5-cm Batterie handeln, welche im Verbund mit vier Wasserbombenwerfern die Zerstörung möglicher Übergangsstellen über den Rheinstrom sicherstellen sollen. Ebenfalls werden zum Beschuss der französischen Städte Hagenau, Straßburg, Selestat, Colmar und Mühlhausen sowie dem Lautertal an der Pfälzer Grenze insgesamt fünf 17-cm Batterien zu je drei Geschützen, eine 24-cm sowie eine 30,5-cm Batterie zu jeweils zwei Geschützen festungsmäßig erstellt. Bis zum Ende des Westfeldzuges sollte sich in diese bunte Kollektion von Marinebatterien am Oberrhein schließlich noch ein komplettes Ensemble aus zwölf alten 28-cm-Haubitzen hinzugesellen, welche ebenfalls aus Beständen der Marine stammten. Deren Aufgabe sollte es sein, im Bedarfsfall das bisher nur unzulänglich durch Artillerie abgedeckte Gebiet im Dreiländereck Schweiz/Frankreich/Deutschland zwischen dem elsässischen Mülhausen und dem schweizerieschen Basel unter Feuer zu nehmen.
Mit dem Beginn des Polenfeldzuges im Osten sowie dem gleichzeitigen Ausbruch des Zweiten Weltkrieges im September 1939 sollte es endgültig zu einer kriegsmäßigen Besetzung der Marinebatterien des Westwalls am Oberrhein kommen. Während die Wehrmacht in Polen unaufhaltsam in Richtung Warschau vorrückt, verfällt die deutsche Westgrenze und mit ihr die Marinebatterien in die sogenannte Sitzkriegphase. Deren Batterieangehörige sind nun zu einem achtmonatigem Warten verurteilt, was hauptsächlich durch Formaldienst, Exerzieren und Üben am Geschütz selbst unterbrochen wird. Dabei führt gerade dieses endlos wirkende Warten und die ereignislose Zeit an der deutsch/französischen Grenze stellenweise zu recht kuriosen Auswüchsen im Bezug auf den Umgang mit dieser Situation, welche nur schwer daran erinnern das sich beide Länder in einem Kriegszustand befinden. So führt beispielsweise der anfangs eigenständige Bau von wohnlichen Baracken- und Küchengebäuden durch die Batterieangehörigen zu daraufhin stattfindenen illustren Feierlichkeiten in den selbigen. Dabei entstehen auch mehr als nur freundschaftliche Kontakten zur örtlichen Zivilbevölkerung, welche stellenweise bis zum heutigen Tage bestehen. Zur Verbesserung der Versorgungslage kommt es zur Vieh- und Kleintierhaltung zwischen schweren Geschütz- und Unterkunftsbunkern, auch „Organisationsgänge“ außerhalb des Batteriegeländes nach Dienstschluss sind keine Seltenheit. Selbst die Einführung von auswärtigen Batterieangehörigen in die süddeutsche Fastnacht (Karneval), welchen vielen aufgrund ihrer Herkunft bisher unbekannt war, wurde als Abwechslung gerne angenommen und führte sogar stellenweise zum kostümierten Geschützreinigen. Das all dies dennoch mit dem Hintergrund der Einschüchterung und Hinhaltung Frankreichs und Englands geschah sowie zu einem Zeitpunkt in welchem ebenfalls ein deutscher Angriff gegen Frankreich vorbereitet wurde, lässt gleichzeitig die damals groteske Situation am Oberrhein erkennen.
Zur Vorbereitung sowie der Begünstigung eines deutschen Angriffs gegen Frankreich im Nordabschnitt der deutschen Westgrenze bedient sich die deutsche Führung diverser Mittel und Wege und lässt es hierbei ebenfalls nicht an Einfallsreichtum mangeln. Ein nützliches Werkzeug hierbei sind die Marinebatterien am Oberrhein, welche eben zur besagten Präsentation von Schlagkraft genutzt werden. So kommt es beispielsweise zu einer Besichtigungsfahrt von eingeladenen Journalisten aus dem Ausland, welche unter anderem auch die bereits erwähnte 17-cm Batterie im Hardtwald bei Karlsruhe besuchen und später mit beeindruckenden Worten darüber in der Weltpresse berichten. Als es schließlich am 10. Mai 1940 zum deutschen Angriff gegen Belgien, Luxemburg, der Niederlande und schließlich Frankreich kommt, fallen kurz darauf die ersten Schüsse aus den Marinebatterien am Oberrhein. Doch der begrenzte Munitionsvorrat des Heeres zwingt zur Einsparung, weshalb es nur zu einzelnen Einsätzen mit kurzer Dauer kommt. Den Marinebatterien obliegt vielmehr die Aufgabe über den wahren Angriffsbereich und Schwerpunkt der Wehrmacht hinweg zutäuschen und französische Truppen im Elsaß zu binden. Als es schließlich im Juni 1940 durch den Rheinübergang der 7. deutschen Armee (General Dollmann) zu einem deutschen Angriff am Oberrhein kommt, wird dieser ebenfalls durch die Marinebatterien unterstützt. Einige übernehmen dabei lediglich passive oder auch aktive Schein- und Täuschungsaufgaben. Andererseits kommt es jedoch noch vor dem eigentlichen Angriff am Oberrhein zum Teil sogar zur Auflösung von einigen Marinebatterien bevor diese überhaupt zum Einsatz kommen können. Andere Batterien wiederum unterstützen durch planmäßigen Beschuss ausgewählter Ziele im Elsass aktiv den deutschen Angriff und dessen Vormarsch.
Mit der Unterzeichnung des deutsch-französischen Waffenstillstandsvertrages, welcher den Westfeldzug beendete, endete ebenfalls die Aufgabe und Verwendung der Marinegeschütze des Westwalls am Oberrhein. Noch im selben Sommer des Jahres 1940 werden sie aus ihren Geschützbunkern am Oberrhein ausgebaut und samt ihrer Mannschaften an die französische Küste des Ärmelkanals geschafft um dort am „Neuen Westwall“, welcher später unter der Bezeichnung "Atlantikwall" bekannt wurde den Küstenschutz zu übernehmen. Neben dieser neuen Verwendung am Atlantikwall im Westen, verschlägt es einige der älteren Geschütze jedoch vom Oberrhein in die entgegengesetzte Richtung nach Osten. So werden die 28-cm-Haubitzen, welche zuvor im Dreiländereck Schweiz-Frankreich-Deutschland stationiert waren, nun an das Schwarze Meer geschafft, wo diese auf der Krim im Verbund mit diversen anderen Geschützen die russische Festung Sevastopol sturmreif schießen sollen. Die alliierte Invasion an der französischen Küste sowie der verlustreiche Rückzug der Wehrmacht aus der Sowjetunion bedeutete schließlich das Ende all dieser Geschütze welche am Westwall des Oberrheins eingesetzt waren sowie deren Zerstörung. Doch die Geschichte um die Marinebatterien am Oberrhein sollte damit noch nicht zu Ende sein.
Mit dem rasanten Vorstoß der Alliierten nach deren erfolgreicher Invasion im Juni (Ärmelkanal) und August (Mittelmeer) 1944 sollte der bis dahin eingemottete und desarmierte Westwall an der deutschen Westgrenze wieder in das Blickfeld aktueller Interessen geraten. Um dem alliierten Vorrücken Einhalt zu gebieten sollten nun diese, zu Gunsten des Atlantikwalls im Sommer 1940 entwaffneten und stillgelegten Bauwerke wieder kampffähig gemacht werden. In diesem Zuge erinnerte man sich ebenfalls der leer stehenden Bunkeranlagen der Marinebatterien am Oberrhein, welche immer noch mit ihren Schartenfronten ins Elsass ausgerichtet waren. Im Gegensatz zum Jahre 1938 sollten nun völlig moderne Geschütze mit höherer Reichweite eiligst in die alten Geschützbunker eingebaut werden und den angreifenden Alliierten Einhalt gebieten. Die große Problematik dabei ist, dass die Bunkeranlagen der Jahre 1938 mitsamt ihren Kampfräumen nicht für neue schwere Geschütze, welche nach diesem Zeitraum erschaffen wurden, konzipiert waren. Dies macht aufwendige Stemm- und anschließende Betonierarbeiten notwendig, was zu einer Zeit der alliierten Luftüberlegenheit in Deutschland sowie eines gewaltigen Mangels an Arbeitskräften, technischem Gerät und Materials enorme Probleme darstellte. Aufgrund vorliegender Wochenberichte der mit der Wiederbefestigung und dem Ausbau der ehemaligen Marinebatterien beauftragten Dienststelle der Festungspioniere am Oberrhein zum Spätjahr 1944 wird deutlich, wie langsam dieser Umbau ablief. Demnach erscheint es wiederum umso erstaunlicher,dass es trotz aller Mangel zum Trotz zu einer kompletten Neubestückung der ehemaligen 24-cm-Marinebatterie Oberkirch mit neuwertigen 21-cm-Kanonen sowie der Herstellung von deren Feuerbereitschaft kam. Zeitgleich gelang es bereits alliierten Verbänden in das Elsass vorzustoßen, die Wehrmacht zum Rückzug über den Rhein zu veranlassen und Straßburg sprichtwörtlich überfallartig zu besetzen. Aufgrund der während des deutschen Rückzuges gesprengten Rheinbrücken stoppte dieser alliierte Vormarsch jedoch vorläufig am Rheinufer. Dahinter befand sich allerdings auf der deutschen Seite die wiederbewaffnete schwere Batterie Oberkirch, welche momentan unerreichbar für Franzosen wie Amerikaner nun damit begann kontinuierlich Straßburg und dessen Umfeld zu beschießen. Etwas anders liefen die Umbauarbeiten innerhalb der ehemaligen 17-cm-Marinebatterien am Oberrhein ab, in welche nun moderne 17-cm-Kanonen 18 des Heeres eingebaut werden sollten. Während bei einigen der bereits angefangene Umbau der Geschützstände kurz darauf wieder eingestellt wurde, kam es innerhalb der bereits erwähnten Hardtwald-Batterie bei Karlsruhe nach dem Einbau von Lafettenteilen aufgrund fehlender Bauteile beinahe zum Erliegen dieser Aktivitäten.
Das Vorrücken der französischen Armee in die Oberrheinische Tiefebene, welches schließlich nach dem zuvor am 31. März 1945 südöstlich Speyer erfolgreich durchgeführten Rheinübergangs seinen Lauf nahm, konnten trotz der Bemühungen zur Wiederbewaffnung der ehemaligen Marinebatterien am Oberrhein nicht gestoppt werden. Diese hatten aufgrund der nach Westen ausgerichteten Geschützbunker dem nun von Norden vorrückenden Feind nur wenig entgegenzusetzen. Als am 25. April 1945 französische Truppen schließlich den Hochrhein erreichten, war der Krieg an der deutsch-französischen Grenze des Oberrheins zu Ende. Dem folgte unmittelbar die Sprengung und kontinuierliche Zerstörung der Bunkeranlagen der Marinebatterien. Dabei lag das größte Augenmerk der Zerstöungsarbeiten begreiflicherweise auf den Geschützbunkern selbst. Nachfolgend wurden sie aufgrund der Wiederverwertung von Baustahl ihrer Eisenteile beraubt und schließlich dem Erdboden gleich gemacht. Bis zum heutigen Tage konnten sich von allen am Oberrhein gebauten Geschützbunker der Marinebatterien lediglich vier Anlagen im gesprengten Zustand erhalten. Aufgrund des Ansuchens der örtlichen Bevölkerung sowie der Gemeindeverwaltungen konnten allerdings einigen der verbunkerten Pumpwerke und Wasserbecken der Marinebatterien die Zerstörung erspart werden um fortan die örtliche Trinkwasserversorgung sicherzustellen. Erhalten haben sich ebenfalls viele Reste des Fernmeldesystems der Marinebatterien, welche sich in Form von Kabelbrunnen, Kabelsäulen oder Merksteinen unbeachtet in der Nähe der Batteriestellungen befinden. Ähnlich verhält es sich mit diversen Kasernenanlagen am Oberrhein, in welchen Gefechtsstände und Hauptquartiere der Batterieführungsstäbe untergebracht waren. Die bis zum heutigen Tage noch sichtbaren Reste der Hardtwaldbatterie bei Karlsruhe stellen als Einzige von allen ehemaligen Marinebatterien am Oberrhein einen Zustand dar, welcher es erlaubt, deren geschichtliche Spuren noch direkt vor Ort nachvollziehen zu können. In diesem Zuge muß jedoch ebenfalls auf die Gefahrenlage einer Begehung dieser gesprengten Bauwerke hingewiesen werden, welche sich im Eigentum des Bundes befinden und deren Verkehrssicherung der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) unterliegt, weshalb somit Verbotsschilder und Absperrzäune respektiert werden sollten.
Die Reste der Hardtwald-Batterie bei Karlsruhe sind heute in einem Zeitalter, in welchem Deutsche in Frankreich einkaufen und Franzosen in Deutschland arbeiten, Sinnbild für eine schwierige Vergangenheit, welche eine freundschaftliche Beziehung beider Länder lange Zeit unmöglich machten. Seit dem Jahre 2005 stehen die Bunkeranlagen der Hardtwald-Batterie wie alle Bauwerke der Westbefestigungen in Baden-Württemberg unter dem Schutzstatus des Denkmalgesetzes. Sie erinnern uns dabei gleichzeitig auch daran, das es an uns liegt aus der Geschichte zu lernen und die Deutsch-Französische Verständigung und den damit verbundenen Zustands von über 60 Jahren des Friedens am Oberrhein aufrecht zu erhalten.
https://www.geschichtsspuren.de/artikel/festungsanlagen-und-linien/204-marinebatterien-westwall-oberrhein.html#sigProIdbae31e86db
Über dieses Thema erschien im Herbst 2012 ein ausführliches Werk vom Autor dieses Artikels:
Schwere Marinegeschütze des Westwalls am Oberrhein. Was sich anhört wie „Reitende Gebirgsmarine zu Fuß“ war ab 1938 am Oberrhein Realität geworden. Dabei kam es bis zum Ende des Westfeldzugs 1940 mehrfach zum Einsatz deutscher Marinegeschütze aus Bunkeranlagen, die zu den größten Bauten der Westbefestigungen gehörten. Wie aber kam es zu solch einem militärischen Unikum des Zeiten Weltkriegs, welches wir durch den glücklichen Umstand von über 60 Jahren des Friedens an der gemeinsamen deutsch-französischen Grenze nur noch schwer nach vollziehen können? Was waren die Gründe dafür, dass selbst den meisten Angehörigen der Bunkerstellungen der wirkliche Auftrag ihrer Geschützbatterien während des Sitz- und des Westfeldzugs sowie die damit verbundene taktische Rolle bis zuletzt völlig verborgen blieb? Wie kam es, dass die militärische Führung kurz vor Kriegsende diesen Marinebatterien noch einmal eine ganz besondere Rolle zudachte, um das Schicksal an der Oberrheinfront für sich zu entscheiden?
Sascha Kuhnert und Friedrich Wein, beide bekannt durch ihre Forschungsarbeiten und Veröffentlichungen über die Westbefestigungen am Oberrhein und ihre Geschichte, haben es sich zur Aufgabe gemacht, diesen Fragen nachzugehen. Sie unternahmen damit den Versuch, ein bisher nahezu unbeachtetes Kapitel der Geschichte der deutschen Westbefestigungen in Baden-Württemberg aufzuarbeiten und nahezu minutiös zu dokumentieren. Dabei entstand gleichzeitig eine Forschungsreise durch Europa, welche die Autoren vom Baltikum über die Nord- und Ostseeküste an den Oberrhein und anschließend an den Atlantikwall des Ärmelkanals sowie auf die Krim-Halbinsel am Schwarzen Meer führte. Nach langjähriger und internationaler Recherche in über 10 Archiven des In- und Auslands, der Befragung von Zeitzeugen sowie der Nachsuche im Gelände haben die Autoren nun ihre Ergebnisse in einer Veröffentlichung mit dem Titel „Die Marinegeschütze des Westwalls am Oberrhein“ auf 640 Seiten mit 489 Abbildungen zusammen gefasst. Die im Explorate-Verlag erschienene Veröffentlichung kostet 35,- Euro.