Greenbrier - Ausweichsitz des US-Senats und Repräsentantenhauses
Die meisten unserer Leser haben sicherlich schon von der Dienststelle Marienthal, dem sogenannten Regierungsbunker, gehört und auch die verschiedenen Ausweich-Führungsstellen der ehemaligen DDR-Regierungsorgane sind zum Teil recht gut dokumentiert. Hierzulande naturgemäß weniger bekannt sind die Anstrengungen, die die USA während des Kalten Krieges zum Schutz ihrer Regierung unternahmen. Wir hatten die Gelegenheit, zumindest einen kurzen Blick hinter die Kulissen einer dieser Anlagen zu werfen.
In White Sulphur Springs, etwa 250 Meilen von der Hauptstadt Washington entfernt, befindet sich das Luxus-Hotel "The Greenbrier", das bereits vor dem zweiten Weltkrieg gerne von Politikern und Berühmtheiten besucht wurde. Während des Krieges wurde es unter dem Namen Ashford General Hospital als Lazarett benutzt, ging danach aber wieder in private Hände zurück und wurde erneut als Hotel eröffnet. Es gehört wahrscheinlich zu den besten Hotels der Welt - leider aber wohl auch zu den teuersten. Unter US$ 500,- ist nicht einmal im Angebot ein Zimmer zu bekommen, die "normalen" Preise beginne bei etwa US$ 800,- pro Nacht. Präsident Eisenhower war gerne Gast im Greenbrier und als ein Bauprogramm zur Errichtung von Schutzräumen für die Regierung ins Leben gerufen wurde, unterhielt man sich auch mit C&O, den Eigentümern und Betreibern des Hotels, über eine mögliche Zusammenarbeit.
In den Jahren 1958 bis 1961 wurde ein neuer Gebäudeflügel, der sogenannte West Virginia Wing, errichtet und im Zuge der Arbeiten auch der Bunker mit den Codenamen Caspar und Greek Island gebaut - natürlich unter strengster Geheimhaltung. Die riesige Menge an Abraum setze man geschickt zum Bau eines nahegelegenen Golfplatzes ein - eine ideale Tarnung. Randy Wickline, damals Manager des Betonlieferanten Superior Supply Co., schätze später, daß seine Firma für den Bau rund 50.000 Tonnen Beton, also etwa 4.000 LKW, geliefert hat. Die Gesamtbaukosten von rund zehn Millionen US-Dollar wurden vom Staat getragen - trotzdem ging das Schutzbauwerk sofort nach Fertigstellung in das Eigentum des Hotels über und wurde anschließend durch die USA zurückgemietet.
Über dreißig Jahre blieb das Objekt ein wohl gehütetes Geheimnis, von dem selbst die meisten der geplanten Benutzer, die Mitglieder von Repräsentantenhaus und Senat, nichts wußten. Einen Einsatz hat die Anlage nie erlebt - nur einmal, während der Kuba-Krise, wurde sie in Vor-Alarm versetzt. Ein Artikel in der Washington Post vom 31. Mai 1991 machte dem ein Ende, bereits am nächsten Tag begann die Regierung mit dem Aus- bzw. Umzug und verließ die Anlage im Juli 1995 schließlich ganz.
Unweit des Eingangs führt eine Bahnstrecke entlang, der Bahnhof ist beinahe direkt gegenüber. Da man aber befürchtete, daß die Strecke zwischen Washington und White Sulphur Springs durch eingestürzte Tunnel blockiert werden könnte, suchte man nach einem sicheren Landweg zum Objekt. So wurde kurzerhand die Interstate 64, vergleichbar mit einer deutschen Autobahn, in das strukturschwache Gebiet gebaut. Bis vor einigen Jahren endete sie praktisch noch mitten im "Nichts". Auch ein Flugplatz ist vorhanden - die Runway reicht mit einer Länge von 2.100 Metern auch für große Passagier- und Frachtmaschinen aus.
Während der gesamten Betriebszeit wurde die Anlage ständig betriebsbereit gehalten und ein kleiner Stamm von Mitarbeitern war fast ständig am Objekt. Dieses Personal, meist um die zwölf Personen, war zum größten Teil als Fernsehmechaniker verkleidet und "reparierte" auch tatsächlich TV-Geräte im Hotelbereich, um auf dem Gelände nicht aufzufallen. Kein Mitglied der Besatzung hatte jemals Zugang zur gesamten Anlage - jeder kannte jeweils nur den Bereich, für den er direkt zuständig war.
Die 3.200m² große, zweistöckige Anlage mit insgesamt 153 Räumen wurde rund 220 Meter tief in den Berg getrieben. Sie sollte im Fall der Fälle 1.100 Personen Schutz bieten. Die Wand- und Deckenstärken liegen zwischen 90 und 150cm, die Erdüberdeckung zwischen Decke und Hotelflügel zwischen sechs und achtzehn Metern. Vier Eingänge mit massiven Stahltoren, ausgelegt für einen Nuklearschlag in 15-30 Meilen Entfernung, führen in den Bunker.
Der Westeingang, der in einen rund 130m langen Tunnel führt, ist mit einem riesigen, 25 Tonnen schweren und 45 cm starken Stahltor gesichert. Interessanterweise wurden alle Drucktore manuell bedient - eine Hydraulik o.ä. existiert nicht. West-Tor und -Tunnel und das Osttor sind groß genug, um kleinen LKW die Einfahrt zu erlauben. Der West-Eingang diente als Haupt-Versorgungszugang, gleichzeitig laufen hier auch die Leitungen zum darüberliegenden Kühlturm. Im Ernstfall wären durch den Tunnel auch die verbrauchte Luft und das Kühl-Abwasser der Generatoren wieder ins Freie gelassen worden.
Druckschleusen, wie sie in Deutschland in Schutzbauwerken weit verbreitet sind, gibt es im Greenbrier nicht. Hier sind teilweise wesentlich größere Bereiche als Pufferzonen eingerichtet, aus denen man in Dekontaminationsbereiche gelangt. Die Anlage verfügt über zwei davon - einen am Osttor, einen am Ende des Westtunnels. Hier wurde die evtl. verstrahlte Kleidung abgelegt, ein Gang mit fünf Reihen Dusch-Düsen durchschritten und am Ende frische Bekleidung angelegt. Optisch erinnern diese "Decon Areas" eher an Szenen aus dem Film "Silkwood" als an Dekontaminations-Bereiche hierzulande. Schutzanzüge, Gasmasken, Dosimeter und ähnliche Utensilien wurden in einem speziellen ABC-Raum am Westtunnel gelagert.
Das Herz der Anlage, das Kraftwerk, erstreckt sich auf drei Etagen: Schaltzentrale, Notstrom-Generatoren, Kühlung, Dampferzeuger, Pumpen, Kompressoren und andere Einrichtungen befinden sich auf der Hauptetage, im oberen Stockwerk sind die Luft-Ein- und Auslässe und Filteranlagen installiert. Der Keller beherbergt die Wasseraufbereitung, drei Trinkwassertanks mit insgesamt über 270.000 Liter Fassungsvermögen, drei Dieseltanks á 50.000 Liter (ausreichend für vierzig Tage), eine kleine Werkstatt und einen Müllverbrennungsofen. Letzterer ist groß genug gewählt worden, um im Notfall auch Körper verbrennen zu können. Während der aktiven Zeit der Anlage wurde der Treibstoff für die beiden Dieselaggregate regelmäßig ausgetauscht, um immer eine sichere Funktion zu gewährleisten.
Das Kommunikationszentrum erstreckte sich über beide Hauptstockwerke. In der ersten Etage befanden sich neben Telefonräumen auch eine ganze Telefonvermittlung der Firma AT&T, ein Raum für Videokonferenzen und Besprechungen, ein Funkraum und ein kleiner Bürobereich. Nachrichtenzentrale, Fernsehstudio, Postzentrum, Aufnahmekabinen, Lager und ein gepanzerter Sicherheitsraum waren auf der zweiten Etage untergebracht. Von den elektronischen Einbauten ist heute nur noch sehr wenig übrig. Lediglich Teile der Telefonvermittlung und der Sicherheitsanlage sind erhalten. Eines der noch vorhandenen Geräte ist ein IBM PC der ersten Generation - er war für die Zugangssteuerung zu den einzelnen Räumen zuständig.
Zum "Records Storage Room", einem nur etwa 18m² großen, mit Panzertür gesicherten Raum, hatten nur wenige Personen Zutritt. Hier wurden wichtige Dokumente und einige Waffen für den Fall eines Aufstandes gelagert. Einige der Aktenschränke sind heute noch vorhanden, der größte Teil des Raums steht heute leer.
Untergebracht wurden die Schutzsuchenden in achtzehn Unterkunftsbereichen mit jeweils sechzig Betten, Dusch- und Toilettenräumen und einem Aufenthaltsraum. Gemischte Belegung war nicht vorgesehen, weibliche Regierungsbeamte wären in einem, männliche in einem anderen Bereich untergebracht worden. Die Kantine (heute ein Ausstellungsraum) war in der Lage, 400 Menschen gleichzeitig zu beköstigen, der angeschlossene Küchenbereich verfügte über eigene Kühlräume. Der Vorrat an eingelagerten Lebensmitteln war für einen Zeitraum von sechzig Tagen ausgelegt und wurde regelmäßig ausgewechselt. Die Steaks wurden beispielsweise immer in die Hotelküche "rotiert" und in den Kühlräumen des Bunkers nachgefüllt. Um die anfallende Schmutzwäsche kümmerte sich eine eigene Wäscherei.
Das Hospital der Anlage verfügt über zwölf Betten, einen Operationsraum, ein Zahnarzt-Zimmer, einen Röntgenraum, ein Labor, ein Intensiv-Zimmer, Untersuchungsräume, ein Schwesternzimmer, eine eigene Apotheke und sogar einen Empfang. Die meisten Einrichtungsgegenstände sind noch heute vorhanden, nur die Medikamente und Verbandsmaterialien sind natürlich verschwunden.
Ein genialer Teil der Tarnung bestand darin, einige Räume gar nicht zu verstecken. Die "Exhibit Hall", ein 470m² großer Raum über beide Stockwerke, wäre im Ernstfall als Hauptarbeitsraum für die Regierungsbeamten benutzt worden. Im täglichen Hotelbetrieb in Friedenszeiten wurde diese Halle für Kongresse und Ausstellungen genutzt. Dasselbe gilt auch für einige weitere, eigentlich innerhalb des Schutzbaus liegende Räumlichkeiten wie "Governor's Hall" und "Mountaineer Room" an. Sie waren als Versammlungsräume für Repräsentantenhaus und Senat gedacht. Tausende von Menschen haben diese Räumlichkeiten im Laufe der Jahre betreten, ohne je wahrzunehmen, daß sie sich in einem Atombunker befinden.
Die Drucktüren sind einfach hinter Tapeten, Wandverkleidungen oder falschen Garagentoren versteckt, Türen sind falsch beschriftet. Den Durchgang in den "geheimen" Bereich sicherte man durch Vorhänge, doppelte Türen, bewegliche Wände und falsches Hotelpersonal in der ebenso falschen "TV-Werkstatt".
Die externen Einrichtungen waren zwar einfach, aber doch effektiv getarnt. Vieles ließ sich simpel in der Infrastruktur des Hotels verstecken, einiges mußte etwas aufwendiger verschleiert werden. Die Luftschächte beispielsweise wurden oben von naturgetreuen Trafohäuschen abgeschlossen, die "Nuclear Blast Detectors" sahen aus wie Garten- oder Parkleuchten. Die Abgase von Heizung und Dieselaggregaten wurden über ein mitten im Wald befindliches, getarntes Abgasrohr abgelassen. Vorher wurde den Abgasen Wasserdampf zugesetzt, um sie weiß zu färben. Weißer Wasserdampf ist im Land der unbegrenzten Möglichkeiten nicht ungewöhnlich, da viele Großheizungsanlagen mit Dampf arbeiten. Die beiden Kurzwellen-Antennen versenkte man kurzerhand teleskopartig im Boden, die Satellitenschüssel tarnte man überhaupt nicht - auch sie ist in den USA in Hotelanlagen nichts Ungewöhnliches.
Ob so ein Ausweichsitz in dieser Entfernung von der Hauptstadt - die Fahrt dauert immerhin fünf Stunden - überhaupt Sinn gemacht hat, bleibt offen. Selbst für einen Flug von Washington nach White Sulphur Springs benötigt man noch eine Stunde - nicht viel Zeit bei einem bevorstehenden Atomschlag. Ob die Mitglieder von Senat und Repräsentantenhaus angesichts der Tatsache, ihre Familien 'draußen' lassen zu müssen, überhaupt in den Bunker gegangen wären, verbleibt ebenfalls im Reich der Spekulation.
Wer einmal im Urlaub in der Gegend ist, sollte sich diese Anlage einmal anschauen - näheres hier. Der ehemalige Besitzer CSX Transportation, Nachfolger des ursprünglichen Eigentümers Chesapeake & Ohio Railroad, hat (Stand Ende 2020) große Teile des Bunkers als Rechenzentrum für seine Cloud-Computing-Tochter angemietet. CSX Cloud bedient damit als Wettbewerber von Amazon und Microsoft hauptsächlich amerikanische Großkonzerne. Leider ist das Fotografieren aus diesem Grund inzwischen verboten, die Tour wird aber wohl nach wie vor angeboten.
Quellen (Auszug):
- The Greenbrier Hotel, White Sulphur Springs
- einige Fotos wurden uns freundlicherweise von Mike Jacobs zur Verfügung gestellt.
- eigene Recherchen
Tags: USA, Ausweichsitz, Regierungsbunker