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Das kombinierte Schutzbauwerk Utzigen - der Berner Regierungsbunker

Während die "Ausweichsitze" und "Regierungsbunker" der unterschiedlichen Verwaltungsebenen in beiden Teilen des damals getrennten Deutschlands heute, mehr als zwanzig Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges, in weiten Teilen bekannt und außer Dienst gestellt sind, war und ist man diesbezüglich in der Schweiz weitaus zurückhaltender. Zwar sind einige, inzwischen stillgelegte so genannte "geschützte Führungsanlagen" inzwischen bekannt, detaillierte Informationen zu diesem Thema sind aber schwer zu finden. Das gilt auch für die Schutzbauten der Kantonsregierungen, in etwa vergleichbar mit unseren Landesregierungen. 2003 wurde eine solche Anlage der Öffentlichkeit bekannt. Inzwischen ist sie nicht mehr in Betrieb und wir haben die Gelegenheit genutzt, sie noch einmal zu besuchen, bevor das Bauwerk "eingemottet" wird.

 

Regierungsbunker oder militärische Anlage?

 

In der Schweiz gibt es, anders als in der Bundesrepublik Deutschland, keine so strenge Trennung von Verwaltung und Militär. So sind beispielsweise Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport in ein und demselben Ministerium (VBS) vereint und die zivil-militärische Zusammenarbeit weitaus ausgeprägter und selbstverständlicher. Um eine bestmögliche Weiterführung der Regierungstätigkeit auch in besonderen und außerordentlichen Lagesituationen, wie etwa einem bewaffneten Konflikt, zu ermöglichen, empfahl der Bundesrat den Kantonen in einem vertraulichen Schreiben mit dem Titel "Richtlinien des Bundesrates betreffend kombinierte Schutzbauten für Kantonsregierungen und Territorialstäbe", am 26. März 1975 den Bau so genannter „kombinierter Schutzbauten“ bzw. „gemeinsamen Führungsanlagen“, in denen neben den jeweiligen zivilen Führungsstäben auch militärische Stäbe (Stab Territorialregion/Kantonaler Territorialer Verbindungsstab) arbeiten sollten. Das Ziel dieser Zusammenlegung war eine möglichst effiziente Zusammenarbeit zwischen den Kantonsregierungen und der Armee gerade im Kriegsfall, gleichzeitig sollten durch die räumliche Zusammenarbeit der zivilen und militärischen Stellen die Kosten gesenkt werden.

Mit Stand Anfang 2006 hatten achtzehn der sechsundzwanzig Schweizer Kantone ein solches kombiniertes Schutzbauwerk erstellt. Die Kantone Luzern, Schaffhausen, Basel-Stadt, Jura, Genf und Tessin besaßen zu diesem Zeitpunkt noch keine solche Anlage, Obwalden und Nidwalden hatten eine gemeinsame Führungsstelle errichtet. Die ältesten Bauwerke dieser Art wurden von den Kantonen Schwyz und Zug (1977), Waadt (1977, ziviler Teil) und Thurgau (1979) errichtet, die jüngsten stehen in den Kantonen Solothurn (1995), Waadt (1995, militärischer Teil) und Appenzell-Innerrhoden (1997, kein militärischer Teil). Die Anlagen wurden unter der Bauherrschaft der Kantone errichtet und sind deren Eigentum, wobei der Bund jeweils den Bau des gesamten militärischen Teils finanzierte und sich an den Kosten für den zivilen Teil über Subventionsbeiträge jeweils zu 30-60% beteiligte. Auch etwa die Hälfte der jährlichen Betriebskosten übernahm der Bund, seit 1.1.2004 übernimmt er die Betriebskosten in Form einer Pauschalentschädigung vollständig.

Als technische Richtlinie für Schutzgrad und -umfang war die „Technische Weisung für die Schutzanlagen der Organisation und des Sanitätsdienstes“ (TWO 1977) maßgeblich, die auch für den Bau kombinierter Führungsanlagen der Kantone gilt. Diese Weisung fordert für ein solches Bauwerk einen wirksamen Schutz gegen die Wirkungen moderner Waffen, insbesondere gegen alle Wirkungen nuklearer Waffen in einem Abstand vom Explosionszentrum, in dem der Luftstoß auf ungefähr 100 Kilopascal (kPa) abgenommen hat, gegen Nahtreffer konventioneller Waffen und gegen das Eindringen von chemischen und biologischen Kampfstoffen. Dies entspricht in etwa dem Schutzgrad S3 in Deutschland.

Geheime Verschlußsache ...

Der Bundesrat unterstellte diese Schutzbauten dem Bundesgesetz über den Schutz militärischer Anlagen vom 23. Juni 1950 und stufte damit Informationen zu Zweck, Autonomie, Standort, Infrastruktur und anderen Details als klassifiziert ein. Von der Existenz dieser Anlagen wußten angeblich nur der Regierungsrat und die Personen, die für den Unterhalt verantwortlich waren. Bis 2004 wurden von der Informations- und Objektsicherheit im Stab Chef der Armee beim Oberauditor der Armee zwei Strafanzeigen auf Grund von Verstößen gegen diese Geheimhaltung eingereicht. Während eine Politikerin aus dem Kanton Aargau einen disziplinarischen Verweis des Chefs der Armee erhielt, kam der Journalist Urs Paul Engeler als Zivilist wegen der Verletzung militärischer Geheimnisse vor ein Militärgericht. Auf eine strafrechtlichte Verurteilung verzichtete das Gericht, Engeler kam mit einer Disziplinarstrafe in Höhe von 400,- Franken davon. Der Journalist hatte die hohen Bau- und Betriebskosten solcher Bunkeranlagen im Oktober 2003 in einem wenig schmeichelhaft formulierten Artikel in der „Weltwoche“ kritisiert und dabei nicht nur Angaben zur Lage der Notausgänge der Führungsanlage „K20“ der Landesregierung gemacht, sondern auch die Existenz und Örtlichkeit der kombinierten Führungsanlage des Kantons Bern offen gelegt:

„[...] Bern hat hoch über dem Worblental, hundert Meter hinter dem putzigen Schlösschen Utzigen, das heute als Wohn- und Pflegeheim genutzt wird, den Regierungsratsbunker, einen militärischen und politischen Irrsinn, der bis auf den heutigen Tag geheim geblieben ist. [...]“.

Trotz der nun bekannten Informationen blieben diese Bauwerke aber rein formal auch weiterhin geheime Anlagen im Sinne der Anlageschutzverordnung des Bundesrates vom 2. Mai 1990. Etwa seit 2006 wird über neue Nutzungskonzepte für die Anlagen und damit einhergehend eine Lockerung der Klassifizierung nachgedacht.

Das kombinierte Schutzbauwerk des Kantons Bern

Utzigen, ein kleines, idyllisches und gänzlich unauffälliges Dorf, liegt weitab der Hauptverkehrsstraßen etwa zehn Kilometer östlich der Hauptstadt Bern. Der Ort hat nur wenige hundert Einwohner und man sollte meinen, eine solche geschützte Führungsanlage an Hand der Beschreibung leicht ausfindig machen zu können. Hinter dem Oberländischen Pflege- und Altersheim, in den Unterlagen kurz „OPA“ genannt, liegt ein großer, bewirtschafteter und moderner Landwirtschaftsbetrieb, an dem selbst einem aufmerksamen Spaziergänger wenig auffallen wird. Und doch liegt genau hier, perfekt getarnt unter einer großen Scheune, ein zweistöckiger, moderner Tiefbunker.

Unter dieser unscheinbaren Halle vermutet wohl niemand einen BunkerVollkommen unverdächtig - und doch führt hinten rechts eine Tür zur Treppe nach unten ...

In den Jahren 1984/1985 wurde hier im Auftrag des Bundes die kombinierte Führungsanlage des Kantons Bern, der so genannte „Schutzraum Nord (SRN)“, errichtet. Acht Millionen Franken kostete der Bau damals. Der Anteil des Kantons belief sich auf etwa 4,5 Millionen Franken und wurde über die Kostenstelle „Zentralstelle für Katastrophenhilfe“ abgewickelt. Auf Grund der Klassifizierung kam der Haushaltsposten nicht vor den Großen Rat, die Finanzkommission bewilligte den Kredit und war, wie die Finanzkontrolle, über das Projekt informiert.

Es entstand ein umbauter Raum von 4.750m3 und eine Nutzfläche von insgesamt 1.824m2. Ein Dieselaggregat mit einer Leistung von 100kVA und einem Dieselvorrat von 19.000 Litern hätte das Bauwerk bei Ausfall des öffentlichen Netzes mit Strom versorgt. Zwei Luftheizanlagen mit je 21.4kW sollten für erträgliche Temperaturen sorgen, bei Notstrombetrieb hätte man hierfür die Abwärme des Dieselaggregats verwendet. Eine Lüftungsanlage mit einem Durchsatz von bis zu 9.600m3/h hätte für frische Luft gesorgt, bei Schutzluftbetrieb über die Filteranlage wäre der Durchsatz auf die Hälfte gesunken. Auf einen eigenen Brunnen wurde verzichtet, für den Fall des Ausfalls des Wassernetzes war ein Vorratstank mit einem Volumen von 41.000 Litern vorgesehen.

Schnittzeichnung der AnlageGrundriss ObergeschoßGrundriß Untergeschoß

Zwei unscheinbare Türen in der Halle führen über Treppen zu den Eingängen an beiden Enden des Schutzbauwerks. Nach Passieren einer Druckschleuse und ggf. eines Dekontaminationsbereiches gelangt man in das obere Stockwerk des Bauwerks. Auf diesem Stockwerk befinden sich die Schlaf- und Waschräume, für militärisches und ziviles Personal getrennt und zur besseren Orientierung mit unterschiedlichen Wandfarben gestrichen. In der Mitte liegen Bevorratung, Küche, Aufenthalts- und Speiseraum zur gemeinsamen Nutzung. Auch Pförtner- bzw. Wachräume, eine kleine Werkstatt, die Lüfterzentrale und der Filterraum sind auf dieser Etage untergebracht. Ein interessantes und eher ungewöhnliches Detail am Rande sind zwei kleine „Telefonzellen“, die wohl für private Telefonate vorgesehen waren.

Im Untergeschoß befinden sich neben Dieselaggregat, Wasserversorgung und anderer betriebswichtiger Gebäudetechnik vor allem die eigentlichen Arbeitsräume der Anlage: Fernmelde- und Vermittlungstechnik, eine Telefonzentrale mit Handvermittlung, zahlreiche Büros und natürlich mehrere Führungsräume. 

Blick in die Schleuse in Richtung AusgangstreppeDusche für die DekontaminationPförtnerloge bzw. Wachstube direkt an der SchleuseTypischer Sanitärbereich des Bauwerks - ungewöhnlich die DuschmöglichkeitVorraum der Schlafräume mit persönlichen SchließfächernMannschafts-SchlafbereichEin etwas freundlicherer Schlafbereich - hier gibt es sogar WanddekorationSchulungs- und Aufenthaltsraum Sanitätsraum/KrankenstationKüche, im Hintergrund die VorratsräumeEssenausgabeGemeinsamer Speiseraum/Kantine Ein Radio hätte beim Essen für Unterhaltung gesorgtDie Werkstatt des BetriebsdienstesElektro-Verteilung im LüfterraumLüftungsanlage mit der Möglichkeit zum Mehrpersonen-Handbetrieb Raumfilter der LüftungsanlageEine Schalldämmung soll das Telefonieren im Lüfterraum ermöglichenWasserversorgung des BauwerksDieselgenerator/Netzersatzanlage Büro- und Schlafraum für zwei RegierungsräteFührungsstelle der PolizeiEiner der zahlreichen FernmelderäumeFührungsraum Schutz & Rettung (Zivilschutz) Führungsraum des RegierungsratesSitzungsraum des Regierungsrates

Bereits 1986 konnte die Anlage ihren Betrieb aufnehmen. In den mehr als siebzig Räumen fanden nun jährlich Übungen statt, ein Betriebsdienst sorgte in der Zwischenzeit für einen einwandfreien Zustand der Anlage. Innerhalb von nur 24 Stunden hätte das Bauwerk im Ernstfall einsatzbereit sein sollen. Insgesamt 220 Mitarbeiter des militärischen Territorialkommandos, des Regierungsrates des Kantons, der Führung von Polizei und Schutz & Rettung (Zivilschutz) und verschiedener anderer Dienststellen hätten dann im Schutzbauwerk den Kantonalen Führungsstab Bern gebildet, für dessen Codenamen "Bärentritt" sicherlich das kantonale Wappentier Pate stand. Je nach Lage war dabei einer von drei Betriebsbereitschaftsgraden (BG) vorgesehen: Die Minimalbesetzung (BG1) bestand aus je einem Dienstchef der Leitung, der Stabsbereiche und Gruppen, während in der Normalbesetzung (BG2) jeweils eine Schicht arbeitet, während die andere schläft bzw. verpflegt wird. In der Vollbesetzung wäre der gesamte Stab im Einsatz gewesen. Bestimmte Aufgaben wären in jedem der Betriebsbereitschaftsgrade rund um die Uhr ausgeführt worden – hierzu gehörte natürlich der technische und organisatorische Betrieb des Bauwerks, aber auch der Kommandoposten-Betrieb und die ständige Nachführung der Lagebilder in den Führungsräumen.

Organigramm des Kantonalen Führungsstabes (KFS)

Die jährlichen Übungen wurden noch bis etwa in das Jahr 2000 fortgeführt, möglicherweise aber nach dem Ende des Kalten Krieges in etwas geringerem Umfang. So datiert der letzte, im Bauwerk heute noch vorhandene Kalender von 1995, die letzte Zeitung aus dem Jahr 1999. Militär und Polizei räumten die Anlage in der Folgezeit, möglicherweise in Folge der Veröffentlichung der Lage des Objekts. Betrieb und Erhaltung des Bauwerks wurden auf ein Minimum zurückgefahren (rund 12.000,- Franken pro Jahr). Die beiden Außenzugänge zum Schutzbereich wurden verschlossen, wahrscheinlich dient diese Maßnahme der Verhinderung des Eindringens von Feuchtigkeit und somit ebenfalls der Kostensenkung und dem Erhalt.

Die Führungsanlage wird zukünftig nur noch im Konservierungsstatus erhalten bleiben, um im Notfall innerhalb von sechs Monaten wieder nutzbar gemacht werden zu können. Nach den dazu notwendigen Rückbauten, welche voraussichtlich etwa 10.000,- bis 12.000,- Franken kosten werden, wird als einzige betriebsbereite Einrichtung eine Lüftungsanlage dafür sorgen, dass das Bauwerk auch weiterhin trocken bleibt.

Quellen:
- Bieler Tageblatt, 31.10.2003
- Berner Zeitung 2.7.2010, 5.8.2010
- Weltwoche Nr. 44/2003
- Schweizer Nationalrat, Anfragen 302/2003 vom 10.3.2004 und 04/1062 vom 01.06.2004
- Informationen des Amtes für Militär und Bevölkerungsschutz des Kantons Bern
- Jahresbericht 2005 der Geschäftsprüfungskommissionen und der Geschäftsprüfungsdelegation der eidgenössischen Räte vom 20.01.2006
- Zeitzeugen-Gespräche
- eigene Recherchen

 

 

Tags: Ausweichsitz, Regierungsbunker, Schweiz