Pulverfabrik EIBIA Bomlitz
Im Jahr 1935 begann in der Lohheide bei Bomlitz im Auftrag des Reichswehrministeriums die Errichtung einer Nitrocellulose-Produktion durch die Firma Wolff & Co. Die Firma blickte schon damals auf langjährige Erfahrungen in der Pulverproduktion zurück, die bis ins Jahr 1815 zurückreichen. Auf einem Areal von rund 35ha entstand 1935 zunächst die Anlage Waldhof mit 121 Gebäuden, darunter neben produktionstechnischen Anlagen und Labors auch eigene Wasser- und Kraftwerke und ein Anschlussgleis zur Werkbahn der Firma Wolff. Ganz in der Nähe wurden die Materiallager Röpersberg und Bayershof errichtet. 1938 ging das Eigentum an die EIBIA GmbH für chemische Produkte über, ein Tochterunternehmen der Fa. Wolff &Co.
n den Jahren 1937/1938 folgte zunächst die als Versuchsanlage konzipierte Fabrik Walo I. Sie bestand aus 51 Gebäuden auf einer relativ kleinen Fläche von etwa 12 Hektar. Anders als die Anlagen Waldhof und die spätere Walo II wurde hier nicht produziert, sondern hauptsächlich an neuen Pulversorten und später auch an Feststoff-Treibmitteln für Raketen geforscht.
Noch 1938 wurde mit dem Bau des größten Anlagenteils - Walo II - begonnen. Auf einer Fläche von rund 230ha entstanden 262 Gebäude, davon 38 unterirdisch und 56 mit einem Erdwall umgeben. Teilweise wurden bis zu drei Stockwerke unter die Erde gebaut. Aus Gründen der Tarnung waren die meisten Gebäude mit einem flachen Betondach versehen, das entsprechend bepflanzt wurde. Interessant ist der häufig zufällig wirkende, unregelmäßige Dachüberstand, der die rechteckige Form der einzelnen Gebäude aus der Luft schwerer erkennbar machen sollte.
Andere Bauten, wie z.B. die Verwaltungsgebäude, hatten dagegen ein rotes Ziegeldach und waren betont zivil gehalten. Auch die Werkssiedlungen, wie etwa das heutige Benefeld, glichen durchschnittlichen kleineren Ortschaften und sollten so jeden Zusammenhang mit einer Rüstungsproduktion verschleiern.
Fast zehn Kilometer Gleis- und beinahe zwanzig Kilometer Straßennetz erschlossen die Gelände. Eigene Wasser- und Kraftwerke (2 x 7,5 Megawatt) versorgten die Fabriken, Labors und Lager. Neben den schienengeführten Elektrokarren diente auch ein weitverzweigtes Rohrsystem zum fabrikinternen Pulvertransport.
Die ausgeklügelte Infrastruktur rund um Bomlitz erlaubte einen reibungslosen Betrieb auch unter Vollast. Anfang 1945 mußte in der Anlage Waldhof die Produktion in dieser Fabrik aufgrund von Materialmangel eingestellt werden, die restlichen Anlagen arbeiteten bis Kriegsende weiter. Als Monats-Gesamtkapazität werden die folgenden Werte angegeben (Spitzenwerte September 1944):
- 1.600t Nitrozellulosepulver
- 2.380t Nitroglycerin/Pulver ohne Lösungsmittel
- 300t rauchloses Pulver
Um diese Zahlen zu erreichen, waren 5.000 bis 6.000 Arbeitskräfte nötig. Etwa 1.000 bis 1.500 davon waren reguläre Angestellte, meist in qualifizierteren Stellungen. Zur Unterbringung wurden die schon weiter oben erwähnten Werkssiedlungen errichtet. Der Großteil der Arbeit wurde aber von Zwangsarbeitern, damals verharmlosend "Fremdarbeiter" genannt, erbracht. In der Nähe gab es mehrere Lager, darunter auch ein KZ-Außenlager. Am 3. September 1944 kamen zwischen 600 und 750 polnische Jüdinnen mit einem Transport aus Auschwitz über Bergen-Belsen nach Bomlitz, sie wurden am 15.10.44 zum Teil wieder auf einen Transport geschickt - diesmal zur WASAG nach Elsing. Ab Ende 1943 wurden auch italienische Militärinternierte eingesetzt und auch das Stammlager XI B Fallingbostel stellte der EIBIA Kriegsgefangene als Arbeitskräfte zur Verfügung. Wahrscheinlich wegen der räumlichen Nähe zu den Lagern fanden nur sehr wenige Angriffe durch die Alliierten statt, so daß die EIBIA fast ungehindert produzieren konnte.
Lediglich einige Unfälle unterbrachen den Produktionsablauf. Bei mehreren Explosionsunglücken gab es Verletzte und Tote zu beklagen. Beim weitaus schwersten Unfall, der am 2.7.1944 passierte, gab es fünfzig Verletzte und mehrere zerstörte Gebäude.
Am Ende des Krieges war die EIBIA der größte Pulverproduzent des Dritten Reiches, nahezu ein Drittel des verbrauchten Pulvers kam aus den Werken in Bomlitz, Dörverden und Liebenau. Am 16.April 1945 erreichten die britischen Truppen Bomlitz und machten der Kriegsproduktion im Ort ein Ende.. Bis zum Vormittag dieses Tages war die Produktion auf vollen Touren gelaufen (außer Anlage Waldhof, s.o.).
Der größte Teil der Anlagen wurde zwischen 1947 und 1950 demontiert und als Reparationen an die verschiedensten Staaten geliefert. Bei der Demontage und selbst Jahre später passierten noch viele Unfälle in der ehemaligen EIBIA, zu viel Pulverreste lagen unkontrolliert auf dem Gelände verteilt. Von den rund 600 bei der Demontage beschäftigten Arbeitskräften starben fünf bei Unglücken auf dem Gelände.
Im Jahr 1949 sprengte die britische Armee rund zweihundert Gebäude, nur etwa vierzig Bauten ließ man stehen. Zwei Jahre später wurde das Gelände an die IVG (Industrie-Verwaltungsgesellschaft), den Rechtsnachfolger der Montan, zurück. In den achtziger Jahren kaufte die Gemeinde Bomlitz eines großen Teil des Geländes von Walo I/II. Es folgte die Beseitigung der meisten Trümmer und der Altlasten durch das Land Niedersachsen. Heute ist das EIBIA-Gelände ein Landschaftsschutzgebiet. Einige Wege durchziehen das Areal. Hier und da steht noch ein Überrest, das Wasserwerk war sogar noch bis vor kurzem in Betrieb. Am Nordrand werden einige der erhaltenen Bauten von einem Schulzentrum und verschiedenen Firmen sowie privat genutzt.
Quellen (Auszug):
- Nur keine schlafenden Hunde Wecken - Geschichte der Schießpulverfabrik EIBIA in Dörverden - Joachim Wook u.A.
- Sonderbeilage der Walsroder Zeitung
- Dann kamen die Flüchtlinge, Doris von der Brelie-Lewien
- Geheime Reichssache EIBIA, Helge Matthiesen
- Prädikat Bestbetrieb, Andrea Hesse
- versch. Zeitzeugenberichte
- eigene Recherchen
Tags: Rüstung