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WIFO-Tanklager Hitzacker

Die Wirtschaftliche Forschungsgesellschaft mbH (Wifo) mit Sitz in Berlin wurde vom Deutschen Reich im August 1934 zum Zwecke der Beschaffung, Bevorratung und des Transports strategischer Rohstoffreserven für den Kriegsfall gegründet. Offizielle Aufgabe des Unternehmens war "die Errichtung und der Betrieb von Versuchs- und Forschungsanlagen zur Förderung von Industrie und Handel". Gesellschafter waren die Gesellschaft für öffentliche Arbeiten AG, Berlin mit 16.000 RM Anteil am Stammkapital und die I.G. Farbenindustrie AG, Frankfurt mit 4.000 RM Anteil. Projekte der Gesellschaft gab es im gesamten Reichsgebiet. Bis zum Ende des Tanklager-Bauprogramms Mitte 1942 hatte die Gesamtkapazität der WIFO-Tanklager rund 1,5 Millionen m³ Kraft- und weit mehr als 100.000m³ Schmierstoffe erreicht, darüber hinaus verfügte die WIFO über große Tankkapazitäten für andere Stoffe, über mehr als 38.000 Kesselwagen und 35 Schiffe. Am Kriegsende arbeiteten reichsweit rund zehntausend Mitarbeiter für die Gesellschaft.

Auch bei Hitzacker an der Elbe wurde in den Jahren 1936-38 auf einer Fläche von über 460ha ein Großtanklager mit drei Lagerungsbereichen (Treibstoff, Öl und Sonderkraftstoff), ausgedehnten Straßen- (über 6,7km), Schienen- (rund 11km) und Rohrsystemen, zwei Häfen, einem Heizkraftwerk zur Verflüssigung des zähen Öls, Verwaltung, Labors, einem Ölbahnhof, zwei Benzin-Bahnhöfen, mehreren Rangier- und Abstellgleisen, zwei großen und zahlreichen kleinen Pumpstationen, einer Fass-Abfüllanlage, Kesselhäusern, Wasserwerk, Wach- und Zwangsarbeiterlagern und vielen weiteren Bauten. Zur werksinternen Infrastruktur gehörten auch Kesselwagen und zwei Diesellokomotiven vom Typ V36, die in eigenen Lokschuppen untergebracht waren. Zeitgleich entstand im Ort eine Siedlung für die Werksangehörigen. Die Stromversorgung der gesamten Anlage erfolgte über das öffentliche Netz, für Notfälle war ein 800PS-Achtzylinder-Dieselaggregat vorgesehen. Das Land wurde den Eigentümern abgekauft bzw. gegen Ersatzflächen eingetauscht.

Der Lagerbereich für Kraftstoff bestand aus insgesamt 30 Tanks mit einer Kapazität von jeweils 3.300m³, hatte also eine Gesamtkapazität von rund 100.000m³ Benzin. Diese Tanks waren in drei sog. Zehnergruppen angeordnet. Jede Gruppe bestand aus zehn horizontalen, zylindrischen Tanks mit einem Durchmesser von mehr als neun Metern und eine Länge von rund 55m. Diese eisernen Kesseltanks mit einer Wandstärke von 10mm wurden auf Hilfskonstruktionen auf dem Fundament in der Baugrube nebeneinander angeordnet, danach wurde eine ca. einen Meter starke Stahlbeton-Konstruktion um sie herum errichtet. Man kann als fast von Betontanks mit einer dünnen, inneren Eisenhaut sprechen. Der überirdische Teil wurde mit Erdboden an- und überschüttet und aus Tarnungsgründen bepflanzt. Jeder einzelne Kessel verfügte über eine Pumpe und eigene Wartungs- und Kontrollschächte. Gegen Ende des Krieges wurde mit dem Bau weiterer, sog. Fünfergruppen begonnen, die jeweils über fünf Kessel mit einer Kapazität von je 4.000m³ verfügen sollten. Fertiggestellt wurde diese bis Kriegsende aber nicht mehr.

Grube einer Benzingruppe
Benzingruppe
 
Treibstoffmischungen (z.B. Zusatz von Blei oder Aromaten) wurden im jeweiligen Tank selbst unter Zuhilfenahme einer mobilen, von der WIFO selbst entwickelten Apparatur vorgenommen. Diese wurde auf ein Mannloch aufgesetzt, eingestellt und von eigens ausgebildetem Personal in Betrieb genommen.Der Ölbereich bestand aus 78 Einzeltanks von je 600m³ Inhalt (insgesamt also 46.800m³), die in sechs Gruppen zu je dreizehn Tanks zusammengefasst waren. Der Aufbau dieser Ölbunker-Gruppen entsprach baulich dem der oben beschriebenen Benzin-Gruppen. Auch hier gab es für jeden Kessel eine eigene Pumpe und gesonderte Wartungs- und Kontrollschächte. Sowohl die Öl- als auch die Benzingruppen waren an weitverzweigte Leitungsnetze angeschlossen, welche die Tanks miteinander und mit den Bahnhöfen und Hafenanlagen verband.

Im sogenannten Sonderstofflager befanden sich fünf Tankgruppen mit jeweils vier liegenden Kesseln á 100m³ in einem in die Erde eingelassenen Raum. Offenbar waren diese beckenähnlichen Bauten nicht überdacht, auf Luftbildern vom April 1945 sind die Kessel darin recht klar erkennbar. Gelagert wurde hier T-Stoff (Wasserstoffperoxyd, H2O2), das als Oxydationsmittel in Flüssigtreibstoffen vielseitig eingesetzt wurde. T-Stoff wurde im Normalfall in 79%er Konzentration (21% Wasser + Stabilisatoren) benutzt und in dieser Form angeblich auch in Hitzacker gelagert. Kommt es in Kontakt mit einem Katalysator, zerlegt es sich schlagartig in eine Mischung aus überhitztem Wasserdampf und Sauerstoff. Hierbei entstehen Temperaturen bis etwa 500° Celsius. In Kombination mit bestimmten anderen Substanzen, beispielsweise dem sog. C-Stoff (30% Hydrazinhydrat, 57% Methanol, 13% Wasser) entstehen überaus energiereiche Raketen-Treibstoffe. Zu den Anwendungen von T-Stoff gehörten beispielsweise Nachbrenner der noch jungen "Düsenjäger", die Triebwerke der HS-293 Gleitbombe, der V1, der Me-163B, der V2/A4 (nur als Hilfsstoff) u.A.. Aufgrund der Reaktionsfreudigkeit des Wasserstoffperoxyds bestanden die Leitungen im Sonderstofflager aus Aluminium, Schieber und Ventile aus Keramik.

Pumpstation der Ölgruppe
Reste im SonderstofflagerEntlüftungReste eines Gangs

Am Elbufer befanden sich zwei unterirdische Pumpstationen - eine für Kraft-, eine für Schmierstoffe. Die Kraftstoff-Pumpstation hatte eine Förderleistung von zweimal 300m³/h über Kreiselpumpen mit Filtern und 50m³-Ausgleichstanks. Die Ölpumpstation hatte zwei Pumpen zu je 80m³/h und verfügte ebenfalls über eigene Filter. Ein eigenes, unterirdisches Heizwerk sorgte dafür, daß das zu pumpende Öl nicht zu zähflüssig wurde. Normalerweise wurde es mit Kohle befeuert, konnte aber im Notfall auch mit Ölbrenner betrieben werden und war in der Lage, pro Stunde zwei Tonnen Wasserdampf zu erzeugen. Die Be- und Entladung erfolgte an drei Kopfstationen (2 x Benzin, 1 x Öl) über Rohre mit einem Durchmesser von je 25cm.

Eingelagert wurde eine Vielzahl unterschiedlicher Benzin- und Ölsorten, darunter drei Arten aliphatischer Benzine, acht Benzine mit niedrigem Aromatengehalt, sechs Benzine mit hohem Aromatengehalt, drei Sorten Aromaten, vier Sorten schere und drei Sorten leichte Öle. Hinzu kamen verschiedene Fertigprodukte für die Luftwaffe, Spezialöle für die Wehrmacht und weitere Mineralölprodukte. Hauptabnehmer war die Luftwaffe, zu einem kleineren Teil auch die Wehrmacht. Alle Materialanforderungen des Tanklagers liefen über die Abteilung MLV der WIFO-Zentrale in Berlin und von hier kamen auch die Bestellungen der militärischen Dienststellen - meist etwa zehn Tage im voraus. Sobald eine Lieferung bereit stand, verständigte der Luftwaffen-Verbindungsoffizier des Werks die entsprechende Dienststelle in Hamburg, die dann ihrerseits den Bahntransport veranlasste. Die Angestellten der WIFO wussten im Normalfall nicht, wer der Empfänger war. Selten kam es vor, daß kleinere Nachschubdepots oder Mineralölfirmen wie die DAPG, RHENANIA oder OLEX direkt beliefert wurden.

Im Bereich der Werksverwaltung befanden sich neben den Verwaltungsbauten auch eine Wache, die Küche, eine Wäscherei, verschiedene Werkstätten, ein Wasserwerk und ein Laborgebäude. Dieses einstöckige Gebäude beherbergte mehrere Labor und Testräume, selbst Motoren waren zu Testzwecken vorhanden. Die Aufgabe des Labors bestand allerdings nicht in der Forschung, es diente lediglich zu einfachen Tests für den täglichen Depotbetrieb. Im Keller des Verwaltungsgebäudes befand sich eine damals moderne Telefonvermittlung, die praktisch mit jedem Gebäude des Geländes eine Verbindung herstellen konnte. In den Räumen darüber gab es eine technische Zentrale, von der aus das gesamte Werk kontrolliert und gesteuert werden konnte. Dieser Geländeteil verfügte über ein eigenes Wasserwerk, das bis heute in Betrieb ist.

LokschuppenLokschuppen

Problemlos war der Betrieb des Großtanklagers keineswegs. So setzten die Tanks an den Innenwänden häufig schon nach ein bis zwei Jahren Rost an, das gleiche passierte bei den Füllstandsanzeigen. Aufgrund der Materialknappheit bestanden die Schieber der Benzinleitungen aus Eisen statt aus Bronze und so neigten auch sie dazu, sich durch Rost festzusetzen. Die Füllstandsanzeigen der Öltanks waren ungeschickt konstruiert und neigten zum Verklemmen und selbst die Benzinpumpen litten unter Konstruktionsmängeln. Sie bekamen Lecks an den Wellen, Benzin trat aus und zerstörte dem Schmierfilm. Selbst die Pipelines selbst verursachten Probleme: In der hügeligen Endmoränen-Landschaft konnten sie kaum horizontal verlegt werden, so daß sich in den Tälern immer wieder Reste sammelten, die manuell in Fässer entleert werden mußten. Später wurden hierzu Ableitungen mit niedrigem Querschnitt eingesetzt, welche die Problematik aber nie ganz beseitigten.

Drei Bombenangriffe auf die Anlage sind dokumentiert: Bei einem Angriff durch einen alliierten Jagdbomber am 21.Juni 1940 zerstörten drei Bomben Teile der Gleisanlagen. Wesentlich größeren Schaden richteten die nächsten Bombardierungen an. Am 25. März 1945 warf ein Pulk amerikanischer B-24 über 350 Zweihundertfünfzig-Pfund-Bomben ab und erzielte eine exzellente Trefferquote. Der nächste Angriff, diesmal durch 115 Bomber vom Typ B-17 mit insgesamt 1.136 Fünfhundert-Pfund-Bomben, richtete ebenfalls große Zerstörung an. Besonders betroffen waren die weiter oben erwähnten, modernen Ausbauten im Öl- und Benzinbereich.

Insgesamt hatte die WIFO in Hitzacker 267 Angestellte, dazu zählte neben den technischen- und Verwaltungsangestellten auch das Wachpersonal. Darüber hinaus beschäftigte die WIFO schon seit Baubeginn etwa 400-500 Zwangsarbeiter, die vorwiegend aus Polen, Tschechien, Russland und später auch Holland stammten. Untergebracht waren die Häftlinge in einem abgesetzten Lagerbereich in Holzbaracken. Vier im Frühjahr 1945 gestorbene russische Zwangsarbeiter wurden auf dem Friedhof Hitzacker beigesetzt. Wie viele Opfer es insgesamt gab, ist leider nicht bekannt.

In der zweiten Aprilhälfte 1945 war auch für Hitzacker der Krieg zu Ende. Die 5. US Armoured Division war für diesen Bereich zuständig, übergab ihn aber wenig später an die Briten. Die Alliierten fanden das Tanklager, von den Bombenschäden abgesehen, unversehrt vor. Wie aus britischen Reports hervorgeht, waren in vielen Anlagenteilen undetonierte Zerstörungsladungen angebracht. Offenbar hatte es also, wie in vielen anderen Anlagen auch, den Befehl gegeben, "dem Feind nichts in die Hände fallen zu lassen". Ausgeführt worden ist er nicht.

Nach dem Krieg gab es kurzzeitig Erwägungen, das Objekt weiterhin zu nutzen, dieser Plan wurde aber aus unbekannten Gründen verworfen. In den Jahren 1946 bis 1948 wurde die Anlage demontiert und jedes Stück verwertbares Metall aus der Erde geholt. Dies galt für Schienen, ober- und unterirdische Rohrleitungen wie auch für die Tankkessel selbst. Man sprengte die Stahlbetondecken der Bunker und zerlegte die Kessel in handlichere Stücke. Übrig blieben tiefe Löcher und haufenweise Stahlbeton-Schutt. Man fand ein deutsches Unternehmen, das die Trümmer weiter zerkleinerte und die Krater verfüllte. Als Bezahlung erhielt die Firma das so gewonnene Eisen der Armierung. Zeitzeugen sprechen auch davon, daß Teile des Schutts in zerkleinerter Form beim Bau der Autobahn verwendet worden wären. Ob dies den Tatsachen entspricht, lässt sich heute kaum noch mit Sicherheit klären. 1949 wurde das durch die Briten zu großen Teilen abgeholzte Gelände wieder aufgeforstet.

WasserwerkDas ehemalige Labor

Der "Neue Hafen" wurde noch bis 1952 von einem Kalksandsteinwerk genutzt, der alte Hafen versandete mit den Jahren immer mehr. Heute liegen beide Häfen brach. Nur ein ehemaliger Bahndamm und die Ruine einer Rohr-Kopfstation am Ufer des ehemaligen Ölhafens zeugen hier von der Vergangenheit.

Kopfstation am HafenDer alte Hafen

Das Gelände des Gefangenenlagers wurde nach dem Krieg bis Herbst 1961 als zweite Innere Abteilung und Altenheim des Krankenhauses Dannenberg genutzt. Aus dieser Zeit stammen offenbar auch einige, heute noch auf dem Gelände vorhandene Bauten, darunter eine kapellenähnliche Leichenhalle. Gegenwärtig befindet sich auf dem Areal ein Jugendheim. Das Verwaltungsgelände ist, von kosmetischen Umbauten und dem Abriß der Küchenbaracke einmal abgesehen, noch komplett vorhanden und wird heute privat bewohnt. Noch heute wird dieser Komplex vom in den Dreißigern errichteten Wasserwerk versorgt. Ein in der Nähe befindliches, ehemaliges verbunkertes Pumpenhaus dient jetzt Fledermäusen als Quartier.

SplitterschutzzelleLeichenhaus

Obwohl heute nur noch die Schienen der Bahnstrecke Lüneburg-Dannenberg liegen, sind die Spuren der umfangreichen Gleisanlagen an vielen Stellen in Form von Dämmen, Schneisen und planierten Flächen noch gut erkennbar. Ein Lokschuppen am ehemaligen Ölbahnhof wird heute als Feldscheune von einem Landwirt genutzt. Auch die Überbleibsel eines Wach- oder Stellwerk-Bunkers nahe der Bahnlinie sind immer noch zu sehen. Überall auf dem weitläufigen Areal stößt man auf Reste von Pumpenhäuschen, Trümmer anderer Anlagen, verfüllte Schächte und Gräben. Im Bereich des Sonderstofflagers erinnert nur wenig an die Tankanlagen, lediglich hier und da sind Trümmer erkennbar. Die früheren Bunker der Öl- und Benzingruppen fallen als monströse Kuhlen selbst in der hügeligen Elbufer-Landschaft auf. Die riesigen Dimensionen sind auch nach so vielen Jahren auf den ersten Blick offensichtlich. An manchen Stellen findet man sogar noch hohe, an Steilufer erinnernde Reste der Betonwände, die einmal die eisernen Tanks umgaben.

Quellen (Auszug):
- Public Record Office, Bestand AIR 40/838
- BIOS Final Report No.120, Item No.30
- Gefährdungsabschätzung von Rüstungsaltlasten in Niedersachsen, Nieders. Umweltministerium
- COMBAT CHRONOLOGY OF THE US ARMY AIR FORCES
- German Liquid Rocket Fuels, Report der US Armed Services Technical Information Agency
- Das nationalsozialistische Lagersystem, Martin Weinmann
- Eisenbahnzeit im Wendland, Museum Wustrow
- Sonderausstellung im Heimatmuseum "Altes Zollhaus", Hitzacker
- Zeitzeugenaussagen
- eigene Recherchen

Tags: Tanklager