Fluko Hannover

Funkmess-, Funkpeil-, Funkleit- und Funkstörtechnik des 2. Weltkriegs
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Leif
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Fluko Hannover

Beitrag von Leif » 17.10.2004 12:20

Hallo.
Folgendes stammt aus Hoffmann, Die Geschichte der LN, Band 2,1; Seiten 318ff. Ich hoffe, die Hannoveraner können dies Informationen gebrauchen.
Viele Grüße,
Leif

Unter dem Ausfall von Drahtverbindungen hatten viele Flugwachkommandos ab 1944 empfindlich zu leiden. Besonders die Nachtangriffe zerschlugen die Orts- und Fernkabel manchmal an mehreren Stellen oder trafen die Telegrafen- oder Verstärkerämter nicht nur innerhalb der Städte, sondern auch in der Nähe der Verkehrsanlagen, an Güterbahnhöfen, Häfen und Brücken, besonders auch bei den Industrieanlagen.
Der Engländer D. J. Irving schildert in seinem eindrucksvollen Dokumentarbericht "Wie Deutschlands Städte starben" den Luftangriff der RAF vom 8./9. Oktober 1943 auf Hannover. Dabei gibt Irving auch eine eingehende Schilderung von der Tätigkeit der Wache Null auf dem Turm des Rathauses am Maschsee.
Die Flugwache stand unter dem Befehl des Feldwebels Wilhelm Plenge und beobachtete den Himmel rund um den Turm, hörte aber auch angestrengt in die finstere Nacht hinein. Gegen 23.00 Uhr wurde Voralarm auf Grund von Meldungen aus dem westlichen und nordwestlichen Vorfeld gegeben, die laut Drahtfunkmeldungen Einflüge nach Nord- und Westdeutschland angekündigt hatten. 90 Minuten später gab es Vollalarm, obwohl der Bomberstrom anscheinend über Celle in Richtung Berlin flog. Doch konnte die Flugwache bald den Anflug auf Hannover feststellen und etwas später die vermuteten Wendemarken des Verbandes, etwa über Celle, an das Flugwachkommando im ehemaligen Königlichen Residenz-Schloß weitergeben. Pausenlos meldete Feldwebel Plenge mit seinen Männern nun seine Auge-Ohr-Wahrnehmungen. Geräusche von vielen Viermots lagen in der Luft, Leuchtschirme schwebten zwischen farbigen Leuchtzeichen am Himmel. Als der erste Bombenteppich niederging, fiel die Fernsprechverbindung zum Fluko aus. Damit war die Flugwache abgeschnitten. Aber die Männer griffen zu; denn nun begannen in der Kuppel des Rathauses die Brände zu flackern, und so wurde die Flugwache zur Feuerwehr. Wieviel oder wiewenig sie in diesem Feuermeer zu retten vermochten, bleibt gleichgültig: hier taten mutige Männer mehr als ihre Pflicht.
Schon am 26. Juli 1943 hatte das Flugwachkommando Hannover besondere Erfahrungen sammeln können. Damals hatte die 8. US-Luftflotte mit 92 Bombern einen Angriff auf die "Continental-Reifenwerke" an der Vahrenwalderstraße geflogen und das Werk mit Sprengbomben belegt, die allerdings teils ihr Ziel verfehlten. Ein günstiger Wind aber trieb, nach Auffassung der Amerikaner, die Brandbomben 1500 Meter weit ab und traf nun die Altstadt, die dem Feuer reichlich Nahrung bot. Auch das Leine-Schloß wurde getroffen und fing Feuer. Es brannte teilweise aus, und so geriet das Fluko in eine schwere Gefahr. Der Wachoffizier sah sich vor die Entscheidung gestellt, das Fluko aufzugeben und noch einiges Gerät zu bergen oder auf Rettung durch Löschtrupps zu hoffen. Er entschied sich für die erste Lösung und gab das Fluko auf. Die Fernsprechleitungen in der Vermittlung ließ er kappen, stellte aber das Vermittlungsgerät sicher. Dieser Entschluß wurde dem bedauernswerten Wachoffizier zum Verhängnis; denn das Feuer konnte zwei Räume vor der Vermittlung unter Kontrolle gebracht werden, so daß der Vermittlungsraum vom Feuer verschont blieb. Wie meist in solchen Fällen, wurde der Wachoffizier abgelöst und der kürzlich von Hannover als Kompaniechef zum Kleinfluko Hüde versetzte Oberleutnant Tessin zurückgeholt. Ihm lag nun ob, das Fluko, das von allen Verbindungen abgeschnitten war, wieder arbeitsfähig zu machen. Dabei mußte der durch die Kappung verursachte "Drahtsalat" erst mühsam entwirrt werden.
Trotz dieser Schwierigkeiten gelang es den unermüdlichen Postfacharbeitern sehr bald, das Fluko wieder mit fast allen Außenstellen (Flugwachen, Nachbarflukos, Nutznießern u. a.) zu verbinden, und man zog aus dem Notfluko zurück in das Schloß. Da die Amerikaner bei diesem Angriff allein von dem angreifenden Verband - andere Verbände hatten gleichzeitig die U-Boots-Werft in Hamburg und Gelegenheitsziele mit Bomben belegt - 16 von 92 Bombern, gleich 18 Prozent, verloren hatten, darüber hinaus alle Bomber beschädigt worden waren, darunter jeder dritte so schwer, daß er nicht mehr instandgesetzt werden konnte, gaben sie zunächst die Angriffe auf Innerdeutschland auf. Stattdessen wurde die RAF nun auf Hannover angesetzt. Ziele waren weiterhin die Conti-Werke im Innern der Stadt und an der Peripherie. Luftmarschall Harris urteilt über Angriffe solcher Art in seinem Buche "Bomber Command": "Auf der einen Seite zerstörten die amerikanischen Angriffe auf Einzelfabriken ziemlich oft eine große Anzahl von Gebäuden in der Nachbarschaft des tatsächlichen Zieles oder sonstwo. Auf der anderen Seite zerstörten unsere Angriffe auf Industriestädte oft Fabriken von solcher Größe und Bedeutung, daß es bei den deutschen Behörden wohl den Anschein erweckt haben mag, daß unsere Angriffe besonders gegen diese Fabriken gerichtet worden seien."
So stand nun Hannover in der RAF-Zielkartei, und die Briten brauchten nur etwas längere Nächte abzuwarten, um wirksame Angriffe dorthin zu fliegen. So erfolgte dann am 22. September 1943 ein schwerer Großangriff gleichzeitig mit Angriffen auf Oldenburg und Emden. Wieviele von den 636 Bombern auf Hannover angesetzt waren, ist nicht mehr festzustellen, aber ein Gioßteil der Bomben fiel wieder in die leicht brennbare Altstadt. Auch das Leineschloß wurde abermals getroffen. Eine Mine riß das eben erst aufgesetzte Notdach und das zweite Stockwerk weg.
Im Flugwachkommando aibeiteten an diesem Tage 10 Offiziere und Unteroffiziere und 90 Helferinnen. Durch den Druck einer Mine flogen, wie früher schon, die dicken eisernen Fensterblenden heraus. Undurchdringlicher Staub und Qualm hüllten den Keller ein, dennoch arbeiteten die Helferinnen am eben erst fertig aufgestellten Klotzsche-Tisch, auf dem die Lagekarte eingezeichnet wurde, weiter. Der auf der Scheibe liegende Staub brauchte "nur" weggewischt zu werden. Im Nebenraum, in der Weitergabe, in dem etwa 40 Helferinnen arbeiteten, waren diese allerdings, als die Luftschutzblenden hereinflogen, aus dem Keller in einen schutzenden Torbogen gestürzt. Oblt. Tessin, der die Lage erkannte und wußte, daß die Helferinnen vorerst reichlich verstört sein würden, rettete die Lage durch das eigene Beispiel. Er schaltete mehrere Fernsprecher zusammen und gab wenigstens an die Nachbarn und Nutznießer durch: "Starke Bombenangriffe" - "Bombenangriffe halten an" oder "Weitere Einflüge". Da trat eine junge Helferin an den Offizier heran und sagte: "Herr Oberleutnant, wo Sie sterben, da kann ich es auch. Darf ich Sie ablösen?" - "Gern, min Deern!" und dieses Beispiel und das befreiende Wort des Offiziers brachte bald alle Helferinnen wieder an ihre Plätze.
Alles, was frei und fähig war, begann nun außerdem, den Brand im Dachboden des Hauses zu löschen. Aber die Leitung gab kein Wasser mehr her. Doch man wußte sich zu helfen: "durch der Hände lange Kette um die Wette fliegt der Eimer" wie zu Schillers Zeiten, nur mit dem Unterschied, daß jetzt junge Helferinnen mit hochgeschürzten Röcken in der Leine standen und die Löscheimer anreichten.
Aber es gab noch ein Nachspiel. Der zuständige Kommandierende General im Luftgau XI (Hamburg) erschien in den frühen Morgenstunden und beanstandete, in völliger Verkennung der Lage, einfach alles und verbreitete damit im Grunde mehr Erstaunen als Ärger. Offenbar hatte er einen friedensmäßig vorbereiteten, strahlenden Empfang erwartet. Zunächst mußte Oberleutnant Tessin einige bissige Anmerkungen zu seiner völlig durchnäßten und mit Mörtel und Kalkstaub bedeckten Uniform hinnehmen; denn der Hinweis, man habe das Fluko gelöscht, drang nicht durch. Das sei Sache der Feuerwehr, die allerdings im Trümmerfeld nicht an das brennende Gebäude herankommen konnte. - Und der Haufe geretteter Kleidungsstücke der im Obergeschoß ausgebombten Helferinnen erregte ebenso sein Mißfallen wie ein in der Ecke liegender Soldat wegen seiner saloppen Haltung. Doch den hatte ein Bombensplitter erwischt, und er konnte nicht anders. Den Gipfel des Unmutes erreichte der General schließlich, als er vergeblich versuchte, seinen Nachrichtenführer, Generalmajor Klemme, telefonisch zu erreichen. Jetzt häuften sich die Superlative: "Bodenlose Schweinerei hier in Hannover!" - "Nirgend eine Leitung intakt!" - "Einsperren! Einsperren!"
Abseits von solchem Geschehen war selbst die Reichspost mit Oberpostrat Harbordt an der Spitze zu Hilfe geeilt, die ausgefallenen Leitungen unermüdlich zu flicken.
Einige Wochen später, als sich der Trümmerstaub und damit auch der Zorn der hohen Kommandostelle gelichtet und klarem Denken Raum gegeben hatte, geschah, was öfter im Kriege passierte: die Verkennung schlug um in Anerkennung. Tessin erhielt das Eiserne Kreuz, einige Soldaten und Helferinnen das Kriegsverdienstkreuz mit Schwertern, und das hieß in der etwas grobschlächtigen Sprache alter Frontkämpfer: Na ja, er ist von der Palme runter. Und damit war man sich wieder einig.

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EricZ
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Beitrag von EricZ » 17.10.2004 19:01

Moin Leif,
Wie meist in solchen Fällen, wurde der Wachoffizier abgelöst und der kürzlich von Hannover als Kompaniechef zum Kleinfluko Hüde versetzte Oberleutnant Tessin zurückgeholt.
Scheint ja wohl der Tessin zu sein. Lebt Herr Tessin eigentlich noch?

Grüße, Eric

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Beitrag von Deistergeist » 20.10.2004 23:48

Die Hannoveraner sagen DANKE! :) :kiss:

Glück auf!

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niemandsland
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Beitrag von niemandsland » 10.06.2005 10:49

Bissl spät entdeckt! Aber richtig gute Infos! *danke*

Ebenfalls interessant dazu könnte ein Bericht über das Rathaus von Hannover ("Das Rathaus von Hannover") sein; darin wird über die Tätigkeit von Herrn Plenge ausführlich berichtet. Und auch im Buch "Unter der Wolke des Todes leben...", Autor Thomas Grabe (heute: PR "Conti")+Reimar Hollmann+Klaus Mlynek+Michael Radtke (216 Seiten, Ernst-Kabel-Verlag, Hamburg, 1983, ISBN 3-921909-17-1) findet man recht interessante Infos.
Das Reh springt hoch, das Reh springt weit, warum auch nicht, es hat ja Zeit! :jump:

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