(mögliche) Aufenthaltsdauer in ZS-Anlagen

Zivile bzw. nicht-militärische Schutzbauwerke und Anlagen des Kalten Krieges
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Henning
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Beitrag von Henning » 10.09.2012 06:42

Hallo!
René hat geschrieben: Mir wurde immer eingetrichtert, nach zehn Stunden würden die Sandfilter ihre Sättigung erreichen (vorausgesetzt, sie müssten die ganze Zeit Luft filtern und würden dabei Hitze und Feuchtigkeit ausgesetzt) und daraus ergibt sich die maximale Belegungszeit. Aber wer will auch schon länger in einer wiederhergerichteten Anlage ohne jegliche Möblierung stehen?
Realistisch betrachtet wird man doch im Kriegsfall mehr als nur einen Angriff erwarten müssen.

Nach welcher Zeit wären denn dann (und: mit welchen Maßnahmen) die Schutzräume für eine erneute Belegung bereit? Austausch der Raumluft bzw. Austausch des Filtersandes?

grübelnd,
Henning

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klaushh (†)
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Beitrag von klaushh (†) » 10.09.2012 22:28

Moin, moin!

Hennings Grübeln halte ich für völlig berechtigt

Mir sind keine Unterlagen bekannt, in denen die "Wiedernutzbarmachung" von ZS-Anlagen beschrieben wird.
Relativ (!) einfach dürfte noch die Auffrischung von Lebensmitteln, Verbrauchsmaterial, Dieselöl usw. sein, obwohl man dazu auch schon nahezu unendlich viele Fragen stellen kann (die sich z.T. auch schon bei der Erstausstattung stellen).

Wesentlich schwieriger dürfte die Behandlung kontaminierter Gegenstände und deren Ersatz sein.

Raumluftfilter sind in den Anlagen jeweils nur mit einem Satz vorhanden. Ausnahmen kenne ich nur bei Bunkern von Ausweichstellen von Landesregierungen u.ä., sowie von einer einzigen ZS-Anlage. Hier ist wahrscheinlich bei der Erstausstattung eine Panne passiert und es wurden zwei Filtersätze geliefert.
Ganz davon abgesehen, dass die Entfernung eines "gebrauchten" Raumfilters aus einer Schutzanlage nur unter Einhaltung von erheblichen Sicherheitsmaßnahmen erfolgen kann (Zusatzfrage: und wo sie dann lagern?).
Ich möchte auch bezweifeln, dass irgendwo (einschl. der vier Hersteller) Reservefilter vorgehalten worden sind. Vielleicht wären sie ja in der Spannungszeit auf Vorrat gefertigt worden?

Bei Filtersanden war kein Austausch vorgesehen. In einem Kommentar zum Anhang "Technische Forderungen für Filtersande" (veröffentlicht als Bekanntmachung des BMBau im Bundesanzeiger Nr. 155/81) heißt es lapidar: "... Ein Austausch von kontaminierten Sandfiltermaterialien im V-Fall ist nicht vorgesehen...".
Die Entfernung von kontaminiertem Filtersand wäre handwerklich auch wesentlich schwieriger als der Austausch von Raumfiltern.

Fazit: es "darf" also nur einen einmaligen Angriff geben.

Gruß
klaushh
Bei Interesse für Bunker und unterirdische Bauwerke in Hamburg mal http://www.hamburgerunterwelten.de besuchen!

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MikeG
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Beitrag von MikeG » 10.09.2012 23:56

Moin!

Ich hatte es weiter oben schon angedeutet und auch Klaus ging darauf ein: Viele Aspekte des Zivilschutzes scheinen nie wirklich endgültig (oder auch nur temporär) geregelt worden zu sein. Es gab zwar zu vielen Bereichen Planungen, Gedankenspiele, teilweise auch Versuche in meist sehr kleinem Rahmen, Publikationen usw. usf., zu endgültigen VO/DVO oder sonstigen, verbindlichen Regeln ist es in ganz vielen Bereichen scheinbar nie gekommen. Beispiele sind die zum Teil sehr unterschiedlichen Aufenthaltszeiten (um die es ja hier auch geht), die von Klaus angesprochene Frage „Was ist, wenn die Filter verbraucht sind?“, die Ernährung der Schutzsuchenden und viele, viele andere „Kleinigkeiten“. Natürlich gibt es immer mal Erklärungen, vor allem aber zeitliche und regionale Varianten in den Antworten, wenn man die jeweils (damals) Zuständigen fragt. Aber eben diese unterschiedlichen Aussagen verstärken letztlich oft die Zweifel an der Existenz einer klaren, vom Bund vorgegebenen Regelung oder überhaupt fertig gestellten Planung.

Ich kenne mehrere, im Bereich Zivilschutz sehr gut informierte „Forscherkollegen“, die wie auch ich selbst immer wieder auf der Suche nach eben solchen Dokumenten und Quellen sind, immer in der Hoffnung, einen solchen Aspekt verbindlich zumindest für einen bestimmten Zeitpunkt der Geschichte klären zu können. Und so verstehe ich auch Klaus’ ursprüngliche Frage: Das Zusammentragen von belegbaren Informations-Schnipseln unterschiedlicher Forennutzer.

Mike

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FishBowl
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Beitrag von FishBowl » 11.09.2012 00:52

Moin,

vielleicht sollten wir bei diesen Betrachtungen auch die im Kalten Krieg zu befürchtenden Abläufe eines Angriffsszenarios berücksichtigen.

Ich meine, dass man seinerzeit sicher nicht mit mehrfachen nuklearen Angriffen am selben Ort im Abstand von Wochen gerechnet hat, sich auf so etwas daher auch nicht technisch vorbereitet.

In meiner Erinnerung war stets nur von zwei Alternativen die Rede, entweder einem sehr begrenzten Einsatz von Nuklearwaffen mit (hoffentlich) schnellstens folgendem Waffenstillstand, oder der globalen Vernichtung im nuklearen Overkill.
Wer ersteres wagte, musste jedenfalls mit letzterem rechnen. Das, und nicht einige zehntausend Tote an ein oder zwei Orten, war m.w. auch Kernbestandteil der angedachten Abschreckung, wer zuerst schießt, stirbt als zweiter....

Ein langandauernder Krieg mit wiederholtem Nuklearwaffeneinsatz über Wochen oder länger war nicht Bestandteil irgendeines Szenarios, von dem ich je gehört oder gelesen hätte.

So gesehen halte es für ausgesprochen unwahrscheinlich, dass es überhaupt angedacht wurde, einen einmal im Ernstfall belasteten Filtersatz, Schutzraum oder Landstrich jemals wieder auf eine zweite nukleare Exposition zu ertüchtigen.

Anders könnte vielleicht bei besonders wichtig erachteten Anlagen gedacht worden sein, z.B. für Kommunikation, Verwaltung usw. im Ernstfall, die wahrscheinlich selbst im allerschlimmsten Falle noch irgendwie gebracht zu werden überzeugt waren. Der Letzte macht das Licht aus...

Wie auch immer, wir können heilfroh sein, dass unser Land nie von Atomwaffen getroffen wurde, und nur hoffen und wirklich alles dafür tun, dass es auch künftig niemals dazu kommt.
Es war mehrmals äußerst knapp, wie heute allgemein bekannt.
Und hätte der Zweite Weltkrieg in Europa nur ein paar Monate länger gedauert, dann wären die ersten Atombomben wohl kaum auf Japan gefallen...

Mit sehr nachdenklichen Grüßen

Jürgen

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patchman
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Beitrag von patchman » 11.09.2012 01:54

Ich denke mal, dass ein Sandfilter so lange genutzt werden kann, bis dieser gesättigt ist. Und das könnte durchaus über die offizielle Belegungsdauer der ZSA (z.B. 10h) hinaus der Fall sein. Ist ja auch immer abhängig von Luftfeuchtigkeit und Verschmutzungsgrad der angesaugten Luft. Problem bei den meisten Anlagen ist jedoch, dass es keine geeignete Möglichkeit gibt, die Sättigung zu messen. Und die vorhandenen Differenzdruckmesser geben nur den Raumüberdruck der Anlage gegenüber der Außenluft wieder.
Aber auch ein zu sehr erhitzter Sandfilter dürfte wohl nur noch bedingt seine Aufgabe erfüllen, denn die Funktion der Kühlung der angesaugten Luft wäre dann nicht mehr gegeben.
klaushh hat geschrieben:Bei Filtersanden war kein Austausch vorgesehen. In einem Kommentar zum Anhang "Technische Forderungen für Filtersande" (veröffentlicht als Bekanntmachung des BMBau im Bundesanzeiger Nr. 155/81) heißt es lapidar: "... Ein Austausch von kontaminierten Sandfiltermaterialien im V-Fall ist nicht vorgesehen...".
Die Entfernung von kontaminiertem Filtersand wäre handwerklich auch wesentlich schwieriger als der Austausch von Raumfiltern.
Das Austauschen des Filtersandes halte ich, selbst wenn es vorgesehen wäre, nicht nur für wesentlich schwieriger, sondern auch für nicht praktikabel.
Problem 1: Wo bekommt man frischen Filtersand her?
Problem 2: Da ja die Zugänge zum Sandfilter nur von innen sind, müsste man also beim Sandwechsel den kontaminierten Sand durch eine evtl. noch nicht kontaminierte Anlage herausbringen, und auf umgekehrten Wege den neuen Sand in den Filter.
Ergebnis: Frischer Filter, kontaminierte Anlage!

Insofern macht ein Austausch auch keinen Sinn, zumal dabei ja noch Problem 3 dazu kommt: Wie schützt man die Insassen in der Zeit des Sandwechsels ohne Filter?

Gruß
Patchman
(Derdasganzerealliebernichtausprobierenwill!)
Wer die Vergangenheit nicht kennt, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.

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Henning
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Beitrag von Henning » 15.09.2012 22:52

Hallo!
FishBowl hat geschrieben:Moin,

vielleicht sollten wir bei diesen Betrachtungen auch die im Kalten Krieg zu befürchtenden Abläufe eines Angriffsszenarios berücksichtigen.

Ich meine, dass man seinerzeit sicher nicht mit mehrfachen nuklearen Angriffen am selben Ort im Abstand von Wochen gerechnet hat, sich auf so etwas daher auch nicht technisch vorbereitet.
Ich dachte bei meiner Frage auch durchaus an konventionelle Angriffe.

Hier im Thread wurden Schutzraumtypen ohne mechanische Belüftung genannt, bei denen die Belegungsdauer über den Verbrauch des im (geschlossenen) Raumsystem befindlichen Luftsauerstoffs begrenzt wurde, und auch beim Beispiel Singapur ist von rein konventionellen Angriffen als Planungsgrundlage die Rede.

Eigentlich müsste es zu dieser Thematik doch auch Erfahrungen aus Kriegszeiten geben?

Gruß,
Henning

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