Verkehrsinsel-Erlaß 1936

Verkehrsgeschichte - Straßen, Autobahnen und sonstige Straßenverkehrs-Bauwerke
Antworten
Benutzeravatar
kuhlmac
Forenuser
Beiträge: 2298
Registriert: 18.06.2005 12:42
Ort/Region: Hamm / Iserlohn

Verkehrsinsel-Erlaß 1936

Beitrag von kuhlmac » 07.08.2007 20:15

Aus meinem inzwischen kleinen Archivfundus ist mir jetzt nochmal ein Runderlaß von 1936 in die Hände gefallen.
Ich bringe ihn hier mal in dem Original nachempfundenen Textfluß in kursivem Text usw::

Der Text bzw. weitere Vermerke lauten wie folgt:
Zitat:"

Der Generalinspektor Berlin, den 20. August 1936
für
das deutsche Straßenwesen Pariser Platz 3.

Nr. 1379-204~L.10.13.


Runderlaß Nr. 37/36

An die
wegeunterhaltungspfliohtigen Länder
und preußischen Provinzen

Betrifft:
Anlage von Verkehrsinseln auf
durchgehenden Landstraßen

In letzter Zeit mehren sich die Fülle, in welchen die Errich-
tung von Verkehrsinseln zur Gefahrenverminderung geplant, zuweilen
auch von den Dienststellen der Verkehrspolizei verlangt wird. Sol-
che Anlagen im Bereich von Kreuzungen und Wegeeinmündungen erwecken
häufig nur auf dem Papier den Anschein einer Verbesserung der Ver-
kehrsabwioklung, in Wirklichkeit wird die Übersicht auf der Straße
verringert und der Zweck einer Verminderung der Verkehrsgefahren
nicht erreicht. Je einfacher die Lösungen an Kreuzungen und Wege-
einmündungen ist, umso klarer und rascher wird der Kraftfahrer dort
Überblick gewinnen und entschlossen handeln können. Erste Vorbe-
ig hierfür ist das Vorhandensein eines ausreichenden Siohtfel-
des.
Ich bitte, von der Anlage von Verkehrsinseln einen möglichst
sparsamen Gebrauch zu machen und, wenn eine solche in Betracht
kommt, mit den Dienststellen des NSKK und DDAC ins Benehmen zu tre-
ten. Sollen Verkehrsinseln in Reiohsstraßen eingebaut werden, so
sind die Pläne stets zu meiner Entscheidung hierher vorzulegen.
Des öfteren ist zu beobachten, daß an Wegeeinmündungen und
Wegekreuzungen übermäßige platzartige Erweiterungen geschaffen wer-
den. Abgesehen davon, daß solche ausgedehnten Fahrfläohen in voll-
kommener Weise nicht einfach herzustellen und schwer zu unterhalten
sind, rufen sie wegen ihrer unerwarteten Weite eher ein Gefühl der
Unsicherheit hervor und vermögen daher den ihnen zugedachten Zweck
einer besseren Verkehrsabwicklung nicht zu erfüllen. Auch in sol-
chen Fällen wird die beste Lösung nicht in einer weiten Platzge-
staltung, sondern in der übersichtlichen Hervorhebung und Lagen

2
Lagenanordnung der einzelnen Straßenzweige liegen, die den
Verkehrswert der Straßen klar erkennen lassen.

gez. Dr. Todt
Beglaubigt:
gez. Thieme
Sekretär

-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-

Reiohsautobahnen Direktion - Berlin W 8, den 28.August 1936
HAB T 1 Iwk 266 Voßstraße 33-


An alle OBK
- je besonders -


Vorstehende Abschrift des Runderlasses Nr. 37/36
des Herrn Generalinspektors für das deutsche Straßen-
wesen an die wegeunterhaltspflichtigen Länder und
preußischen Provinzen erhalten die OBK zur Kenntnis.

Reiohsautobahnen
Direktion
I A
gez Reinhardt.

" Zitat Ende

Meine Frage dazu:
Wie kann das sein? Eine absichtliche Verringerung der Verbesserung der Sicherheit und Übersichtlichkeitsmachung durch Nichtzulassung von Inseln? Ist sowas nicht kontraproduktiv? Oder kennt jemand ein passendes Beispiel?
Oder sind gar nicht die Verkehrsinseln gemeint, die wir heute kennen?
Oder ist gar ein "parteipolitisches Ziel" der Vereinfachung gewollt??
Und haben die OBK der RAB (hier: Essen) dies nur nachrichtlich bekommen oder für die Anlage der Anschlußstellen z.B. (Verwendungszweck wurde in der Akte nicht klar)?

ratlos
Christian

petzolde
Forenuser
Beiträge: 2103
Registriert: 05.09.2004 14:03
Ort/Region: Münster

Beitrag von petzolde » 07.08.2007 21:27

Damalige Denkweise, die bis in die 60er durchschlug (etwa wie "freie Bürger fordern freie Fahrt..."). Man dachte nicht an die Schwächeren im Verkehr und im Leben, und der Stärkere - hier: der schnelle Autofahrer - sollte nirgendwo gebremst oder gestört werden. War ja auch eine Vorgabe für die Autostraße Köln-Bonn. Und nach dem Krieg gab es wohl keine wirkliche Geschwindigkeitsbeschränkung in Orten - es galt als Bevormundung durch die Obrigkeit. Verständlich, davon hatte man gerade genug gehabt.

Ein langer Weg der Erkenntnis, der auch für andere Dinge gilt, z.B. Kreisverkehre, in den 50ern und 60ern als verkehrsflusshemmend abgeschafft und durch teure Ampelanlagen ersetzt. Inzwischen gibt es in vielen Gemeinden wieder Kreisverkehre als Ersatz für Ampeln.

Oder: O-Ton der 60er: "Die Straßenbahn behindert den Verkehr". Mittlerweile haben einige Städte (bes. in Frankreich) nach Jahren der Abstinenz wieder Straßenbahnen; in Deutschland m.W. nur Oberhausen und Saarbrücken.

Aber interessant in dem Erlaß: Da entscheidet irgendeiner gegen die Verkehrsinseln - aber mit welcher Legitimation und welcher Sachkenntnis???
gruß EP

Benutzeravatar
Djensi
Forenuser
Beiträge: 2102
Registriert: 28.08.2003 22:25
Ort/Region: Hamburg

Beitrag von Djensi » 08.08.2007 07:47

Moin,
Verkehrsinseln schränken u. U. das Gesamtprofil ein, ein zügiges Befahren mit Kettenfahrzeugen könnte dadurch eingeschränkt werden.... so als Denkanstoß.....?

Gruß
Djensi

petzolde
Forenuser
Beiträge: 2103
Registriert: 05.09.2004 14:03
Ort/Region: Münster

Beitrag von petzolde » 08.08.2007 11:15

Im Erlaß wird die verringerte Übersichtlichkeit nach Einbau von Verkehrsinseln an Kreuzungen angesprochen. Da ist durchaus etwas dran, denn weiße Straßenmarkierungen zur beidseitigen Begrenzung der Fahrspur bzw. Fahrbahn gab es damals eigentlich nicht bzw. allenfalls in Anfängen. Ein Großteil der Straßen war gepflastert. In solch einem grauen Pflaster fielen garue Bordsteine der Verkehrsinsel nicht auf. Rot-weiß-gestreifte Warnbaken blaue Rundschilder mit Pfeil waren auch nicht üblich. Bekannt waren aber (graue oder schwarze) Basaltsäulen zur Fahrwegbegrenzung und - im Zuge des Autobahnbaus - graue "Betonleitplanken". Hebt sich alles nicht voneinander ab. Hinzu kommt die damals noch schlechte Beleuchtung, Pferdefuhrwerke ohne Beleuchtung (Pferde gab es wohl auch noch bei der Wehrmacht) und die Verdunkelung in Kriegszeiten.
Das war wohl alles eher die Sichtweise von Todt&Co.
gruß EP

Kindacool
Forenuser
Beiträge: 214
Registriert: 13.08.2003 16:38
Ort/Region: Buchholz/Nordheide

Beitrag von Kindacool » 08.08.2007 11:48

petzolde hat geschrieben: Und nach dem Krieg gab es wohl keine wirkliche Geschwindigkeitsbeschränkung in Orten [...]

Oder: O-Ton der 60er: "Die Straßenbahn behindert den Verkehr". Mittlerweile haben einige Städte (bes. in Frankreich) nach Jahren der Abstinenz wieder Straßenbahnen; in Deutschland m.W. nur Oberhausen und Saarbrücken.
Stimmt! Die heute noch gültigen Geschwindikgeitsbegrenzungen gelten erst seit 1957 nachdem 1953 alle davor gültigen Geschwindigkeitsbegrenzungen abgeschafft wurden (inkl. der Geschwindigkeit innerorts!)..

Hinsichtlich der Abschaffung der Straßenbahn ist es dann auch immer amüsant zu lesen, mit welchen hanebüchenen Argumenten man die Abschaffung durchsetzte. In Hamburg zum Beispiel wurde auf die Staubbelästigung beim "Sanden" verwiesen. Nicht, daß diese jemals jemandem aufgefallen wäre, geschweige denn Anlaß für Beschwerden geboten hätte... Die Dieselabgas- und Rußbelastung der ersatzweise eingesetzten Busse wurde tunlichst verschwiegen!

Gruß
Kindacool

Benutzeravatar
kuhlmac
Forenuser
Beiträge: 2298
Registriert: 18.06.2005 12:42
Ort/Region: Hamm / Iserlohn

Beitrag von kuhlmac » 08.08.2007 16:10

Hinsichtlich der Abschaffung der Straßenbahn ist es dann auch immer amüsant zu lesen, mit welchen hanebüchenen Argumenten man die Abschaffung durchsetzte. In Hamburg zum Beispiel wurde auf die Staubbelästigung beim "Sanden" verwiesen.

Der Brüller....

Ansonsten: Ok die Argumente leuchten mir schlagartig ein, und es scheint wohl so zu sein.

Bei der OBK bzw hier der Bauabt. Kamen ist der Eingangsgestempelt und abgeheftet worden - daraus sind in den Akten keine Folgen zu sehen gewesen.

Antworten