Ausweichsitze Schweiz

Zivile bzw. nicht-militärische Schutzbauwerke und Anlagen des Kalten Krieges
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Leif
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Beitrag von Leif » 27.08.2004 10:04

http://www.nzz.ch/2004/08/22/il/page-article9SXX6.html


22. August 2004, 02:17, NZZ am Sonntag


Prozess gegen den Bunker-Verräter
Wie geheim sind Bunker von Kantonsregierungen? Ein Fall fürs Militärgericht

Weil er den Standort des Berner Regierungsratsbunkers verraten hat, steht der Journalist Urs Paul Engeler am Freitag vor den Schranken des Militärgerichts. Es soll ein Musterprozess werden. Das Militärdepartement bereitet weitere Fälle vor.

Pascal Hollenstein

«Bern hat hoch über dem Worblental, hundert Meter hinter dem putzigen Schlösschen Utzigen, das heute als Wohn- und Pflegeheim genutzt wird, den Regierungsratsbunker, einen militärischen und politischen Irrsinn, der bis auf den heutigen Tag geheim geblieben ist.» Der Satz stand in der «Weltwoche», geschrieben hatte ihn der Journalist Urs Paul Engeler, und der «heutige Tag» war der 30. Oktober im Jahre 14 nach dem Fall der Berliner Mauer. Umgehend bestätigte die Berner Regierung offiziell: Ja, man habe eine solche «kombinierte Führungsanlage», ja, sie sei geheim und deren Bau sei vom Bundesrat per geheime Richtlinie angeordnet worden. So geheim gar war der Bunker, dass nicht einmal alle bernischen Regierungsräte Kenntnis von ihrem Amtssitz im Kriegs- und Katastrophenfall hatten. Nur: Nach dem 30. Oktober 2003 war es eben aus mit dem Geheimnis, die Regionalpresse voller Bunker-Geschichten, das Berner Kantonsparlament wissensdurstig und die Regierung in Erklärungsnöten.

Ebenfalls in Bern, in der Abteilung Informations- und Objektsicherheit (AIOS) des Verteidigungsdepartements von Bundesrat Samuel Schmid, setzte Betriebsamkeit ein. Die Geheimnishüter im Stab des Armeechefs, ansonsten zu ihrem Bedauern nicht in der Lage, «alle Zeitungen, Radio- und Fernsehsendungen selber auszuwerten» (AIOS-Chef Urs Freiburghaus), erkannten bei der Lektüre des Engelerschen Artikels, «dass hier Handlungsbedarf besteht»: Gegen den Geheimnisverräter sollte ermittelt und derselbe zur Aburteilung der Militärjustiz überstellt werden.

Die Mühle begann zu mahlen. Im Januar 2004 musste sich Engeler auf der Kreiswache Bümpliz einfinden, wo eine Beamtin der Stadtpolizei den Journalisten einer fast einstündigen Befragung (Kindheit in Ettenhausen, TG, familiäre Verhältnisse, Hobbys) zwecks Anfertigung eines Leumundsberichts unterzog. Einen Monat später folgte die über dreistündige Vernehmung durch den militärischen Untersuchungsrichter. Hatte Engeler den Bunker vorsätzlich verraten, oder handelte es sich nur um einen unbedachten Fauxpas? Die Frage entscheidet zwischen Busse und Gefängnis. Engeler berief sich auf das Wahrnehmungsprinzip, wonach alles, was sichtbar ist, auch fotografiert und kommentiert werden darf. Vielleicht, sagte Engeler auch, habe er da in einer «Grauzone» gehandelt.

Dieser Einschätzung schloss sich der Auditor des Militärgerichts 4 an. Mit Strafmandat vom 7. Mai erklärte er Engeler der fahrlässigen Verletzung militärischer Geheimnisse für schuldig und verurteilte ihn zu einer Busse von 500 Franken. Engeler freilich wäre nicht Engeler, hätte er diesen Schuldspruch auf sich sitzen lassen. Seine Causa sei öffentlich abzuhandeln, die Militärjustiz habe vor den Augen des interessierten Publikums zu richten, befand er. Und so kommt es, dass am kommenden Freitag im Assisensaal des Berner Amtshauses vor dem Militärgericht 4 unter dem Vorsitz von Oberstleutnant Reto Casutt dem Journalisten der Prozess gemacht wird.

Eine Posse, wie jene meinen, die die Geheimhaltung derartiger Objekte für ein Relikt aus dem Kalten Krieg halten? Im Gegenteil. Der Prozess ist «ein Fall mit präjudizieller Wirkung», wie sich der höchste militärische Justizbeamte des Landes, Oberauditor Brigadier Dieter Weber, ausdrückt. Will heissen: Zeigt das Gericht Härte, werden weitere Fälle auf den Tischen der militärischen Richter landen. Einige befinden sich bereits beim Oberauditor, der die Verhandlung «mit Spannung» erwartet. An anderen, neuen Fällen arbeiten die von der «Weltwoche»-Publikation aufgeschreckten Geheimnisverwalter im Departement Schmid. Man habe «administrative Massnahmen getroffen, um die relevanten Fälle noch besser zu erfassen und abzuwickeln», vermeldet Freiburghaus. Es sei deshalb «nicht auszuschliessen», dass man der Militärjustiz «in der nächsten Zeit weitere Anträge» stellen werde. Beispielsweise fahndet das AIOS nach jenem Journalisten, der vor mindestens vier Jahren als Erster publizierte, dass der Regierungsbunker der Kantone Ob- und Nidwalden im Kernwald liegt. Der Fall war dem AIOS durch die Lappen gegangen und erst im Zusammenhang mit dem Berner Bunker wieder aufgetaucht.

Vielleicht, so hoffen auch Leute im militärischen Justizapparat, kommt es am Freitag aber anders. Das Gericht könnte nämlich Engeler nur milde bestrafen und darauf hinweisen, dass die sekretinistische Gesetzgebung aus dem Kalten Krieg antiquiert sei. Dies wäre ein Signal an die VBS-Beamten, weitere Anlagen zu deklassifizieren.

Bei den Geheimnisverwaltern im AIOS sieht man dafür keine Veranlassung. Die Bunker seien «auch nach dem Kalten Krieg noch relevant», sagt Freiburghaus unerschütterlich, «denken Sie an terroristische Anschläge, Naturkatastrophen oder Unfälle in Kernkraftwerken». Und warum genau sollen die Bunker geheim sein? Damit der Schutz suchende Bürger seine Regierung nicht belästigt und womöglich gar Einlass begehrt. Nur wenn dieses vermieden werde, sagt Freiburghaus, könne der Führungsstab «ungehindert» seine Arbeit erledigen. «Zum Wohle des Bürgers.»

schnerp

Beitrag von schnerp » 27.08.2004 10:42

Damit der Schutz suchende Bürger seine Regierung nicht belästigt und womöglich gar Einlass begehrt. Nur wenn dieses vermieden werde, sagt Freiburghaus, könne der Führungsstab «ungehindert» seine Arbeit erledigen. «Zum Wohle des Bürgers.»
:? Klingt sehr hart. Auch wenn evtl. ein Fünkchen dran ist...

Rick (†)

Beitrag von Rick (†) » 27.08.2004 19:07

Der Journalist Urs Paul Engeler wurde heute zu einer Disziplinarstrafe von SFr 400 verurteilt.
http://www.nzz.ch/2004/08/27/il/page-ne ... FH-12.html

Rick (†)

Beitrag von Rick (†) » 27.08.2004 19:26

Zu weiteren Bunker-Enttarnungen in der Schweiz
http://wef.linkgroup.org/Index.php?Site ... ews&ID=166

Varga
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Bunker-Enttarnung

Beitrag von Varga » 27.08.2004 21:05

Hallo,

„Bunker-Enttarnung“, ein reisserischer Ausdruck der Sensationspresse, in diesem Fall der WEF- Gegner.
Was soll das? Ein Bunker ist erst dann enttarnt, wenn man seine Funktion, seine Ausstattung, etc. kennt. Nur den Standort zu kennen, rechtfertigt den grossen Artikel der WEF-Gegner noch lange nicht. Es sollte jedem klar sein, dass man eine Kommandozentrale für einen solchen Anlass nicht mitten in einer Ortschaft aufbaut. Wer will den schon Demonstranten vor der Türe. Das Militär, wie auch Einwohner haben daran kein Interesse.
Hätte das Militär geheim und in aller Stille operieren wollen, hätten sie sicher keine Scheinwerfer, Container etc. aufgestellt.
Fazit. Viel Wirbel um nichts!

Gruss
Varga, (der glaubt, die Bunker in der Schweiz recht gut zu kennen)

Auch das ist ein Bunker. Sogar ein Lostplace:
Du hast keine ausreichende Berechtigung, um die Dateianhänge dieses Beitrags anzusehen.

Rick (†)

Beitrag von Rick (†) » 27.08.2004 21:40

Hast Du völlig Recht, Varga,
eigentlich war ich auf den Artikel gestoßen, weil ich nach der letzten juristischen Aktion gesucht hatte: das war die Sache mit dem Luftwaffenbunker bei Buochs (wenn ich mich recht erinnere, ging es um Treibstofflager für den (Noch-)Militärflugplatz). Konnte dann aber doch nicht herausfinden, was mit dem/den Journalisten von damals geschehen ist.
Aber eine Frage: Wie sind denn bloß die Namen in die Baubotschaft geraten?
Gruß
Rick

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Regierungsratsbunker Kanton Bern

Beitrag von derlub » 08.07.2009 10:36

Hallo.

Von dem von Leif schon im Eröffnungsbeitrag angesprochenen Ausweichsitz des Regierungsrates Kanton Bern in Utzingen gibt es einen Artikel in der Onlineausgabe der Berner Zeitung inklusive Innenaufnahmen und Video.

"Der geheime Bunker hat ausgedient

Er galt als eines der bestgehüteten Geheimnisse des Kantons Bern: der Regierungsratsbunker in Utzigen. Im Kalten Krieg hätte er der Regierung Schutz bieten sollen. (...)

Scheune als Tarnung

Die Anlage ist gut getarnt. Die Metalltüre hinab in den Untergrund liegt versteckt hinter Traktoren, Anhängern, Heuwendern, Erntemaschinen und allerlei Krimskrams im Innern der Scheune. Ein Mitarbeiter des kantonalen Amts für Bevölkerungsschutz, Sport und Militär steckt an diesem Morgen die Schlüssel in schwere Schlösser, Metall- und Betontüren. Sein Name darf nicht genannt, sein Gesicht nicht in der Zeitung gezeigt werden. Erstmals ist es möglich, den Regierungsratsbunker zu fotografieren."


Quelle und vollständiger Text inkl.Fotos: http://www.bernerzeitung.ch/region/bern ... y/26950775

Grüße,
Christoph

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