Oberhafenkantine Hamburg

 Direkt unterhalb der Oberhafenbrücke, am Ende der Stockmeyerstraße und ganz in der Nähe der Deichtorhallen steht versteckt ein eigentümliches Gebäude, die fast schon legendäre Oberhafenkantine. Als sogenannte "Kaffeeklappe" diente sie über 70 Jahre hinweg der Verpflegung der Hafenarbeiter auf ihrem täglichen Weg zur Arbeit. Kantinen und Kaffeeklappen gehörten früher zum Bild des Hafens wie die Kräne und Kaianlagen. Heute sind diese Versorgungseinrichtungen verschwunden. Nur die Oberhafen-Kantine hat die Zeit überstanden und gehört heute zu der wenigen außen und innen original erhaltenen Kleinbauten aus den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts.

 

Oberhafenkantine 2002

Das Gebäude wurde 1925 zeitgleich mit dem berühmten Chilehaus ebenfalls im Stil des norddeutschen Klinkerexpressionismus errichtet. Die Millionen von Ziegelsteinen für die Baustelle des Chilehauses wurden damals mit Lastkähnen über den Oberhafen angeliefert. Gerüchteweise sollen dabei einige Steine für die Oberhafenkantine "abgezweigt" worden sein.

Die Oberhafenkantine blieb seit der Eröffnung im Jahre 1925 durch den damaligen Bauherrn und Kantinenwirt Hermann Sparr, dessen Namen man noch heute in verblichenen Buchstaben über dem Eingang erkennen kann, immer im Besitz der Familie. Im Jahre 1997 verstarb die letzte Wirtin, Frau Anita Haendel, über achtzigjährig. Wenige Wochen später mußten die Behörden das Gebäude wegen akuter Einsturzgefahr schließen. Das Bauwerk hatte eine immer stärker werdende Schieflage bekommen, die schließlich eine weitere Nutzung unmöglich machte. Seitdem liegt die Oberhafenkantine in einem Dornrösschenschlaf, abseits der großen Verkehrswege und auch aus den auf der Oberhafenbrücke verkehrenden Zügen kaum einsehbar. An eine Sanierung war wegen der enormen Kosten nicht zu denken, das Gebäude schien auf den Abriß zu warten. Auch nachdem die Oberhafenkantine als den Hamburger Hafen prägendes Bauwerk und letzte Vertreterin ihrer Art im Jahre 2000 unter Denkmalschutz gestellt wurde, änderte sich an der Situation nichts.

Oberhafenkantine 2002Oberhafenkantine 2002

Doch in letzter Zeit gibt es nun doch eine positive Entwicklung. Die Oberhafenbrücke muß verbreitert werden, weil der Gleisabstand auf der Brücke nicht mehr den heutigen Vorschriften entspricht. Für die Verbreiterung der Brücke muß das Gebäude der Oberhafenkantine weichen. Die Deutsche Bahn hat sich entschlossen, das Bauwerk nicht abzureißen, sondern an einen anderen Ort zu versetzen. Die technischen Möglichkeiten sind bereits überprüft worden, die Gebäudeteile sollen innen und außen mit Stahlgerüsten stabilisiert und dann mit einem Kran demontiert werden. Als neuer Standort ist eine Fläche in der geplanten Hafencity im Gespräch. Erhalten werden soll auch die noch im Original vorhandene Inneneinrichtung, darunter so bemerkenswerte Ausrüstungen wie ein fußkurbelbetriebener Speisenaufzug. Auch eine erneute gastronomische Nutzung des Gebäudes wird angestrebt.

Oberhafenkantine 2002

Damit könnte ein für die Geschichte der Stadt und insbesondere des Hafens sehr interessantes Bauwerk der Nachwelt erhalten bleiben, sogar in der ursprünglichen Nutzung, wenn auch leider nicht am ursprünglichen Ort.

Einen guten Eindruck vom früheren Leben in der Oberhafenkantine gibt der folgende Auszug aus einem Artikel in der Zeitschrift mare:

"Das Haus liegt wie auf Riff gelaufen am Kanal unter der Bahnbrücke. Die Mauern sind zerrissen und die Wände schief wie'n ´Schipper sien Been´.
Die Oberhafenkantine ist der schrägste Ort von Hamburg und das nicht, weil hier Leute Ringe im Bauchnabel haben oder bunte Frisuren. Seit 1925 balanciert die Kantine am Kanalufer, gegenüber vom Fruchthof und ist mit den Jahrzehnten immer schiefer geworden. Drei mal siebeneinhalb Meter, unten die Kombüse und oben der Raum, wo die Vorräte lagern. Die Mannschaft, die hier ihre Gäste betreut, ist fast so alt wie das Gebäude selbst. Anita, 82, hat die Kantine von ihrem Vater übernommen, Günther ist 72 und als junge Verstärkung angestellt, Ingrid, die hier eigentlich nur Kundin ist, unterstützt Anita.

Wer hierher kommt, kennt sich, duzt sich und packt mit an. Es ist ein Familienbetrieb, wo keiner mit dem anderen verwandt ist. Das Essen wird selbst zubereitet, die Kartoffeln sind handgeschält, die Frikadellen frisch zubereitet. Anitas Kantine ist ein "letztes Stück Alt-Hamburg". 72 Jahre Hafengeschichte hat Anita hier miterlebt - den Handel in den 20er Jahren bis in die 90er, den Zweiten Weltkrieg und seinen Folgen, die wirtschaftlichen Veränderungen der 80er und 90er Jahre im Hafen. Der Betrieb wurde in den sieben Jahrzehnten nicht einmal unterbrochen.

Heute steht die Oberhafenkantine leer und auf Abriß. Anita ist 1997 gestorben, Günther und Marianne sind in Rente gegangen."

Mit einer ursprünglich geplanten Versetzung des Gebäudes ist nicht mehr zu rechnen. Seit 26. April 2006 ist die Oberhafenkantine wieder geöffnet - heute gehen wieder Frikadellen über den Tresen - glücklicherweise!

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