4. Mai 1945 - Kapitulation auf dem Timeloberg bei Lüneburg

Der 8. Mai 1945 markiert das Ende des Zweiten Weltkriegs. Wesentlich unbekannter, aber zumindest für den norddeutschen Raum ebenso bedeutsam war die vorausgegangene Teilkapitulation am 4. Mai 1945 in der Nähe von Lüneburg. In dieser Hinsicht waren somit nicht nur Reims und Berlin Schauplätze der Weltgeschichte, auch ein schlichter, unscheinbarer Heidehügel spielte damals eine wichtige Rolle.

 

Nachdem die britischen Truppen unter Feldmarschall Bernard Law Montgomery am 18.4.1945 Lüneburg eingenommen hatten, richtete man das Hauptquartier zunächst auf dem Hof Knacke im Ortsteil Oedeme ein. Schon am 30. April wurde es in den Ort Häcklingen in die um 1907 von Else Wex und Margarete Erdmann als Reifensteiner Schule errichtete  und 1935 von Alexander Möllering, dem Sohn des 1905 verstorbenen Besitzers der Lüneburger Kronen-Brauerei übernommene Villa verlegt. Nur wenig später, Anfang Mai 1945, gab es längst keine "Front" mehr, vielmehr waren die deutschen Truppenteile auf mehrere, isolierte und von den Alliierten umkesselte Flächen verteilt. Am 3. Mai berichtete das Oberkommando der Wehrmacht zur Lage im Bereich Nordwestdeutschland:

[...] Bei heftigen örtlichen Kämpfen blieb die Lage in Nordwestdeutschland zwischen Ems und unterer Weser im allgemeinen unverändert. Beiderseits des Elbe-Trave-Kanals stießen die Engländer aus dem Raum Mölln auf Lübeck vor und nahmen die Stadt. Vorgeworfene feindliche Abteilungen erreichten Bad Segeberg und den Raum nordwestlich Plön. Die von Schwerin nach Norden und Nordwesten angreifenden Amerikaner drangen bis zur Küste bei Wismar und in den Raum Gadebusch vor. In Mecklenburg haben unsere Truppen die Linie vom Flauer See bis Rostock gegen starke Angriffe der Bolschewisten im wesentlichen gehalten. [...]

Dönitz, der nach Hitlers Selbstmord dessen Nachfolge angetreten hatte, wollte Zeit gewinnen und mit Hilfe der Westalliierten den weiteren Vormarsch der sowjetischen Truppen nach Westen verhindern. Nachdem die Briten und Amerikaner die Ostsee erreicht hatten, war zumindest ein Teil dieses Ziels erreicht. Die noch kämpfenden deutschen Soldaten sollten sich nach Dönitz Willen möglichst den Briten ergeben statt in russische Gefangenschaft gehen zu müssen. Die Verhandlungen mit Montgomery wollte Dönitz allerdings nicht selbst führen, da seiner Ansicht nach der Rangunterschied zwischen ihm als neues Staatsoberhaupt und dem britischen Generalfeldmarschall zu groß war. Dönitz beauftragte daher eine Gruppe von Offizieren, bestehend aus dem Delegationsleiter Generaladmiral Hans-Georg von Friedeburg, General Eberhard Kinzel, Konteradmiral Gerhard Wagner, Major Jochen Friedel und Oberst i.G. Fritz Poleck.

Die deutsche Verhandlungsdelegation vor der Villa Möllering

Am 3. Mai um 8:00 Uhr morgens traf die deutsche Verhandlungsdelegation im britischen Hauptquartier von General Dempsey in der Villa Möllering ein und wurde von dort zum von Montgomery als Verhandlungs-Hauptquartier ausersehenen Timeloberg gebracht. Von Friedeburg verlas einen Brief Keitels, in dem er die Kapitulation der drei im Gebiet zwischen Berlin und Rostock operierenden Armeen anbot. Im Gegenzug sollten die Briten zivile Flüchtlinge aus dem Osten in das von den Westalliierten besetzte Gebiet durchlassen und den sich ergebenden deutschen Soldaten die Übernahme in die westliche Kriegsgefangenschaft ermöglichen

Eine Seite des KapitulationsdokumentsDie ehemalige Villa Möllering im Jahr 2005Die Briten lehnten das Angebot ab und forderten die bedingungslose Kapitulation aller deutschen Truppen im Nordwesten Deutschlands, in Holland und Dänemark. Als Bedenkzeit wurde den Deutschen Zeit bis zum nächsten Abend gewährt. Nach einem Mittagessen in bedrückter Atmosphäre machten sich Generaladmiral von Friedeburg und Major Freidel, begleitet von Oberstleutnant Warren, Montgomerys kanadischem Adjutanten, auf den Weg nach Flensburg-Mürwik zu Dönitz, Keitel und Jodl, um diesen die Forderungen der Briten zu überbringen. Um die Verhandlungen nicht zu gefährden, wurden die Straßen bis Rendsburg für alliierte Tiefflieger und Jagdbomber gesperrt, Warren brachte die deutschen Offiziere zweimal durch die britischen Linien.

Montgomery war offenbar sehr sicher, daß die Deutschen seine Forderungen annehmen und kapitulieren würden. Bedacht auf Wahrung des englischen und seines eigenen Prestiges, ließ er eine regelrechte Inszenierung für die Unterzeichnung der Kapitulation vorbereiten. Als passenden Ort bestimmte er sein Quartier auf dem rund achtzig Meter hohen Timeloberg bei Wendisch Evern und ließ dort ein großes Zelt aufstellen. In einer Pressekonferenz am 4. Mai um 17.00 Uhr unterrichtete er die Journalisten über das bevorstehende Ereignis und lud sie ein, Zeugen der geschichtlichen Zeremonie zu sein.

Montgomery empfängt die deutsche DelegationUnterzeichnung der Teilkapitulation

Gegen 18:00 Uhr trafen die deutschen Offiziere ein. Nach einem kurzen persönlichen Gespräch zwischen Montgomery und von Friedeburg fand die Unterzeichnung der Kapitulation statt. Um 18:30 war es besiegelt: Am 5. Mai 1945 um 8:00 Uhr morgens sollte der Krieg in Norddeutschland endlich vorbei sein, an der Ostfront und in anderen Kampfgebieten ging das Sterben weiter. ebenso in den Lagern. Das Oberkommando der Wehrmacht schrieb in seinem Lagebericht vom 5. Mai 1945 dazu:

[...] Nach Vereinbarung mit dem Oberbefehlshaber der britischen 21. Heeresgruppe, Feldmarschall Montgomery, ist seit heute früh 8.00 Uhr in Holland, in Nordwestdeutschland von der Ems-Mündung bis zur Kieler Förde sowie in Dänemark einschließlich der diesen Gebieten vorgelagerten Inseln Waffenruhe. Hiervon werden auch die gegen England gerichteten Operationen der Kriegsmarine und Handelsmarine aus und nach den Häfen der genannten Räume betroffen. [...] In Nordwestdeutschland tasteten die Kanadier gestern unsere Linien in Ostfriesland ab. Britische Verbände griffen westlich Bremervörde an und nahmen mehrere Ortschaften. In Holstein besetzte der Gegner Kiel. Weitere Teile unserer 9. und 12. Armee haben sich aus dem Raum östlich Magdeburg auf das von den Amerikanern besetzte Gebiet westlich der Elbe zurückgekämpft. [...]

Feldmarschall Montgomery nannte den Timeloberg später "Victory Hill" und ließ dort zunächst eine Holztafel zur Erinnerung anbringen. Nachdem diese mehrmals entwendet wurde, ersetzte man sie durch einen großen, dreiteiligen Gedenkstein aus Granit. Auf einer daran angebrachten Bronzetafel stand die folgende Inschrift (Übersetzung des englischsprachigen Originals):

Hier ergab sich am 4. Mai 1945 bedingungslos eine Abordnung des Oberkommandos der deutschen Wehrmacht dem Feldmarschall Montgomery mit sämtlichen Land-, See- und Luftstreitkräften in Nordwestdeutschland, Dänemark und Holland.

Als Verantwortlich für das Monument wurde von den Briten der damalige Bürgermeister von Wendisch Evern, Karl Basse, eingesetzt und zur Bewachung deutsche Zivilisten beschäftigt. Um die Wachen vor dem Wetter zu schützen, wurde eigens ein kleines Häuschen aufgestellt. Aber auch die Bronzetafel wurde schließlich gestohlen, die Briten ließen daraufhin ein Duplikat anfertigen. Ein Zeitzeuge, der 1955 als britischer Soldat vor Ort war, erinnert sich (sinngemäß aus dem Englischen übersetzt):

Das Denkmal ohne Bronzeplatte, Mai 1955Deutsche Polizei bei der Untersuchung"Am 9. Mai 1955 um 00:00 Uhr wurde die Bundesrepublik Deutschland Mitglied der NATO. Am Vortag, also dem 8. Mai, schlug unsere Einheit ein Lager auf dem Übungsplatz, ganz in der Nähe des Gedenksteins, auf. Nach dem Aufbau des Camps besichtigten wir das Denkmal kurz und alles schien in Ordnung, nichts fehlte. Am Morgen des 9. Mai zog ein Teil der Einheit weiter, während ich und einige andere beim Camp blieben. Da ich als Einziger eine Kamera besaß, wollte ich natürlich unbedingt ein Foto unseres Zuges vor dem Stein machen, mit einem Geschütz jeweils links und rechts davon. Während der Nacht war jedoch die Bronzetafel gestohlen worden, stattdessen prangte nun ein Spruch in deutscher Sprache an ihrer Stelle. Unser Offizier untersagte mir das gewünschte Foto, das nun einige Meter entfernt und ohne das Denkmal entstand. Ich wollte auf ein Foto des Gedenksteins selbst aber nicht verzichten und kehrte später am Tag noch einmal in Begleitung eines Kameraden zurück. Als ich das Foto gerade machen wollte, erschien eine zivile Wache und untersagte mir das Fotografieren. Wir unterhielten uns kurz mit ihm, danach verschwand er wieder in seiner Hütte. Leider konnte ich die Chance nicht nutzen, ohne von ihm gesehen zu werden. Auf dem Rückweg zum Lager trafen wir einen deutschen Polizisten, der das Denkmal suchte - wir zeigten ihm den Weg. Dort angekommen, waren bereits weitere Polizisten vor Ort, denen sich "unser" Polizist nach einem freundlichen Dank anschloss. Das war die Gelegenheit - Klick, die Fotos waren im Kasten!"

Im Jahr 1958 besuchte Montgomery Lüneburg noch einmal und entschied, den Gedenkstein nach Großbritannien zu bringen. So wurde das über neun Tonnen schwere Denkmal schließlich noch im selben Jahr abgebaut und auf dem Gelände der Royal Military Academy Sandhurst, wo Montgomerys Laufbahn begonnen hatte, wieder aufgebaut. Das Areal um den Timeloberg ist heute Standortübungsplatz der Bundeswehr. Im Laufe der Jahre wurde das Gelände sogar etwas umgestaltet, so daß der Originalschauplatz kaum noch zu erkennen ist. Lediglich ein altes Betonfundament mitten im Wald markiert die Stelle, die bis 1958 noch einen offenen Blick bis nach Lüneburg hinein erlaubt hatte. Wer die Stelle nicht kennt, würde wahrschenlich an den kaum sichtbaren Resten vorbeilaufen.

Betonfundament des ursprünglichen DenkmalsFundament der WachhütteDer heutige GedenksteinZerstörte Inschrift

Am 4. Mai 1995, fünfzig Jahre nach dem geschichtsträchtigen Ereignis, wurde am Rande des Hügels, außerhalb des Übungsplatzes, ein neuer Gedenkstein aufgestellt. Schon wenige Monate später hatten Unbekannte ihn umgekippt und mit Steinen leicht beschädigt. Im Mai 2002 zerstörten erneut unbekannte Täter die Inschrift des Steins, sie wurde auf der gegenüberliegenden Seite neu eingemeißelt und der reparierte Stein am 2. August 2002 wieder aufgestellt. Heute steht der Stein wieder an seinem Platz und erinnert an einen sinnlosen Krieg, der Millionen unschuldige Menschen das Leben kostete.

Quellen (Auszug):
- Lüneburg '45 - Der Krieg geht zu Ende!, Hilke und Christian Lamschus, Lüneburg 1995
- Lüneburg 45, Helmut C.Pless, Landeszeitung Lüneburg, 1982
- Berichte des Oberkommandos der Wehrmacht vom 4.5.1945 und 5.5.1945
- Sammlung Joseph Emslie Carr, Cornwall, UK
- versch. Zeitungsartikel, vor allem der Landeszeitung Lüneburg
- Fotos aus dem Imperial War Museum Photograph Archive, London (BU 5138, BU5161, BU5207)
- eigene Recherche

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Tags: Lüneburg, Kriegsende