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Der alte St.Pauli Elbtunnel in Hamburg

Wer den Begriff "Elbtunnel" hört, denkt fast immer an den Tunnel zwischen Othmarschen und Waltershof, der die A7 unter der Elbe hindurchführt. Daß es in Hamburg noch einen weiteren, wesentlich älteren Elbtunnel gibt, wissen manche nicht einmal.

Als Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts immer mehr Menschen aus der nördlich der Elbe gelegenen Hansestadt in den Werften und Hafenbetrieben am Südufer arbeiteten - Anfang des 20. Jahrhunderts immerhin rund 40.000 - und der Fährverkehr mehr und mehr an seine Grenzen stieß, suchte man nach neuen Lösungen. Man muß sich dabei vor Augen halten, daß die erste Eisenbahnbrücke erst 1872, die ersten Hamburger Straßenbrücken über die Elbe erst 1887 und 1899 gebaut wurden. Den Hauptteil des Verkehrs bewältigten damals Fähren. Wegen des starken Schiffsverkehrs, darunter damals noch viele Segler mit hohen Masten, kam eine normale Brücke im Bereich St.Pauli nicht in Frage, eine Hochbrücke wäre mit rund 25 Millionen Goldmark viel zu teuer gewesen. Andere Lösungen hätten die hohen Passagierzahlen zu Schichtbeginn und - ende kaum bewältigen können. - also entschied man sich schließlich 1902 auf Betreiben des Baurates Ludwig Wendemuth für einen Tunnel.

Längsschnitt durch den Tunnel
Schnittdurch ein FahrschachtgebäudeGrundriss eines FahrschachtgebäudesBaggerarbeiten beim Tunnelbau

Am 22. Juli 1907 begann man mit den Bauarbeiten auf der Halbinsel Steinwerder, zunächst mit der Anlage eines ausreichend großen Schachtes. Dieser Senkkasten oder Caissons wurde, einem Brunnenschacht ähnlich, durch einfaches Ausheben und selbstständiges Nachrutschen hergestellt. Oberhalb wurde dann jeweils ein neuer "Ring" aus Beton gegossen. Der Schacht St.Pauli (Nordufer) konnte aufgrund der günstigeren Bodenbeschaffenheit in einem Stück mit rund zwei Meter Wandstärke aus Beton gegossen werden.

Die beiden, je 426,5m langen Tunnelröhren wurden schrittweise im Schildvortriebsverfahren angelegt und sofort mit Tübbings (ringförmigen Segmenten) aus Flusseisen versehen. Die Tunnelhaut wurde nach dem Vernieten der Tübbings innen mit einer Dicht- und mehreren weiteren Schichten versehen und außen mit Beton hinterspritzt. Aufgrund des durchlässigen Bodens mußte die Baustelle ständig unter einen Überdruck von etwa 2,6 atü gehalten werden, um einen Wassereinbruch zu verhindern. Dieser Umstand brachte neue Erfahrungen mit sich, die man bisher kaum hatte. So waren nun Kompressions- und Dekompressionszeiten notwendig, um die heute "Taucherkrankheit" genannten Symptome zu verhindern, die Kompressorluft mußte mittels Aktivkohle vom Öl befreit werden und vieles mehr. Aber der Überdruck hatte auch Vorteile: Der Abraum wurde einfach vor ein Rohr geschaufelt, ein Ventil geöffnet und der entweichende Druck riss den Sand mit sich ins Freie. Arbeitsplätze auf der Baustelle waren trotz der schlechten Bedingungen recht begehrt, verdiente man dort doch fast das Doppelte wie auf den Werften oder im Hafen. Aufgrund ihrer Erfahrung hatte man zum großen Teil Bergleute aus Schlesien und dem Ruhrgebiet eingestellt. Sie arbeiteten im Schichtbetrieb mit jeweils rund dreißig Mann unter Tage.

Alter Elbtunnel Hamburg - Detail

Bei der Planung hatte man vorgesehen, daß ein Pferdefuhrwerk mit aufgestellter Peitsche durch den Tunnel zu passen hatte und war so auf einen notwendigen Röhrendurchmesser von sechs Metern gekommen. Das Fahrbahnniveau liegt 23,5m tiefer als das der Straße, die Röhren befinden sich somit etwa zwölf Meter unter dem Pegel des mittleren Hochwassers. Beim Bau des Tunnels bedeutete dies, daß ca. drei Meter Schlick die Röhren bedecken. Durch die ständig in kleinen Blasen entweichende Druckluft wurde diese Schicht strukturell zusätzlich geschwächt. Dies führte bei den Bauarbeiten auch tatsächlich am 24.6.1909 zum "Ausblasen" des Überdrucks und damit zum Wassereinbruch. Oberhalb des entstandenen Loches bildete sich eine sechs Meter hohe Wassersäule. Menschen kamen dabei wie durch ein Wunder nicht zu Schaden und auch die materiellen Schäden waren eher gering. Nach dem Verfüllen des Lochs, was etwa vier Wochen dauerte, gingen die Arbeiten weiter.

Alter Elbtunnel Hamburg - Durchblick

Die großen, hallenartigen Schächte wurden oben mit großen Kopfgebäuden mit Kupfer-Kuppeldach abgeschlossen. Am Südufer errichtete man auch das Kraftwerk und Batteriehaus. Drei Dieselgeneratoren mit einer Leistung von jeweils 135kW versorgten die Anlage mit dem nötigen Strom.

Alter Elbtunnel Hamburg - 1931
Alter Elbtunnel Hamburg - VerwaltungAlter Elbtunnel Hamburg - SüdportalAlter Elbtunnel Hamburg - NordportalAlter Elbtunnel Hamburg - Nordportal

Unter den insgesamt rund 4.400 beim Elbtunnelbau eingesetzten Arbeitern gab es 615 leichte und 74 schwere Fälle der "Druckluftkrankheit", drei starben daran, zwei weitere Arbeiter kamen bei anderen Unfällen ums Leben.

Am 7. Mai 1911 wurde der Tunnel, der die Stadtteile St.Pauli und Steinwerder verbindet, in Betrieb genommen. Die Baukosten betrugen rund 10,7 Millionen Goldmark. In den ersten Betriebsjahren unterquerten bereits zwanzig Millionen Menschen jährlich auf diesem Weg die Elbe. Bis zum zweiten Weltkrieg blieb diese Zahl relativ konstant. Während des zweiten Weltkrieges wurde der Tunnel von Passanten häufig als Luftschutzraum aufgesucht, obwohl er als solcher weder vorgesehen noch geeignet gewesen wäre. Trotz der großen potentiellen Gefahr eines Wassereinbruchs durch nahe Bombentreffer ist dort unten aber während des Krieges niemandem etwas passiert. Im Juli 1943 wurde das südliche Kopfgebäude bei Bombenangriffen beschädigt, 1944 wurde es nochmals zu einem diesmal wesentlich schwereren Schaden. Bei diesen Angriffen gab es sogar im Tunnel Schäden, die allerdings repariert werden konnten.

Zwei Kfz-Aufzüge mit je zehn Tonnen Zuladung, zwei Kfz-Aufzüge mit je sechs Tonnen Zuladung, zwei Personenaufzüge und Treppen führen von den aufwendigen Kopfgebäuden hinunter auf das Tunnelniveau. Ursprünglich gab es in jedem Kopfbau zwei Eisentreppen, die in den fünfziger Jahren durch Rolltreppen ersetzt wurden. Nachdem diese im späten zwanzigsten Jahrhundert verschlissen waren, ersetzte man sie durch eine neue Treppenkonstruktion.

Alter Elbtunnel Hamburg - Aufzüge
Alter Elbtunnel Hamburg - 1912Alter Elbtunnel Hamburg - 1940Alter Elbtunnel Hamburg - AufzugsschalterAlter Elbtunnel Hamburg - AufzugschächteAlter Elbtunnel Hamburg - DurchblickAlter Elbtunnel Hamburg - MaschinenraumAlter Elbtunnel Hamburg - Vorhof
Interaktives Panorama

Kopfgebäude und Tunnel haben sich in all den Jahrzehnten kaum verändert. Natürlich wurde modernisiert, vor allem bei den Aufzügen, aber das Bild als solches hat sich kaum gewandelt. Das südliche Kopfgebäude wurde nach dem Krieg wieder instandgesetzt, allerdings nicht komplett restauriert. Gegenüber dem nördlichen Schachtkopf wirkt es heute daher recht trist. Im Laufe der Jahrzehnte wurde die Elbe immer tiefer ausgebaggert und als in den 1980er Jahren schließlich nur noch etwa ein Meter Schlick über dem Tunnel lag, verpasste man den Röhren noch einen schützenden Metalldeckel.

Alter Elbtunnel Hamburg - Luftbild

In den siebziger und achtziger Jahren begann das große Werftensterben und auch durch den verstärkten Einsatz von Containern ging die Zahl der im Hafen Beschäftigten immer mehr zurück. Heute passieren laut Betreiber jedes Jahr nur noch etwa 350.000 Pkw, 500.000 bis 600.000 Fußgänger und rund 20.000 Fahrräder und Mofas den Tunnel. Für Kraftfahrzeuge ist der Tunnel heute gebührenpflichtig und nachts und am Wochenende gesperrt. Die maximale Spurweite darf nicht mehr als 1,92m betragen. Der Verkehr wird natürlich per Video überwacht und es wird darauf geachtet, daß sich möglichst nie mehr als fünf Fahrzeuge gleichzeitig im Tunnel befinden. Durch die vertikal schließenden Tore der Aufzüge ist zusätzliches Aufsichtspersonal auf der Tunnelsohle und an den Einfahrten der Kopfgebäude auch noch heutzutage noch unersetzlich.

Alter Elbtunnel Hamburg - Kontrollraum

Seit 1994 wird der Tunnel bei laufendem Betrieb komplett überholt und, soweit nötig, instandgesetzt - zum ersten Mal in seiner Geschichte. Bei diesen Maßnahmen soll er äußerlich so weit wie möglich in den Originalzustand zurückversetzt werden, aber natürlich trotzdem mit modernster Technik arbeiten. Schon bei den Vorarbeiten stellte sich heraus, daß die Substanz des Bauwerks insgesamt erstaunlich gut erhalten ist und selbst ohne Überholung noch weitere hundert Jahre überdauern könnte. Hoffen wir, daß dieses Stück Hamburger Geschichte noch lange erhalten und in Betrieb bleibt.

Einen Eindruck vom Betrieb in Tunnel, Aufzug und Maschinenraum vermittelt unser Videoclip:

Wer die Hansestadt besucht, sollte sich den alten Elbtunnel keinesfalls entgehen lassen. Hier unten hat das Leben noch eine andere Geschwindigkeit - eine angenehm altmodische aus einer Zeit, als "schnell" noch eine ganz andere Bedeutung hatte. 

Quellen:
- Zentralblatt der Bauverwaltung, 1914, Seite 578f.
- Zeitschrift des VDI, Jahrgang 1912, Seite 1301
- BauRundschau, Nr. 38 vom 21.9.1911
- Informationen des Betriebsdienstes St.Pauli Elbtunnel, Hamburg Port Authority
- Hamburger Abendblatt 3.3.1959
- Hamburg und seine Bauten 1914 Bd.2, Ingenieur- und Architectenverein Hamburg
- St.Pauli Elbtunnel in Hamburg, in Industrie-Kultur 1/2001


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