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Die Strassenbau-Versuchsstrecke Braunschweig

Wer das Wort "Versuchsstrecke" oder "Teststrecke" im Zusammenhang mit Braunschweig hört, denkt meist zunächst an die Versuchsanlage für die Magnetschwebebahn Transrapid, eventuell auch an die Teststrecke der Volkswagen AG in Ehra-Lessin. Selbst alteingesessene Braunschweiger wissen meist überhaupt nichts von der Versuchsstrecke, um die es hier geht.

Fahrbetrieb auf der Versuchsstrasse

Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts dominierte noch das Pferdefuhrwerk die Straßen. Mit der zunehmenden Verbreitung des Automobils wuchsen aber schon sehr bald auch die Ansprüche an das Straßennetz - sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht. Diese neuen Aufgaben riefen Ingenieure und Wissenschaftler aus Wirtschaft und Verwaltung auf den Plan, um die damals vollkommen neuen Probleme der wachsenden Motorisierung zu lösen. Im Vordergrund standen damals Gedanken, wie man die Straßen dem Kraftverkehr, insbesondere dem Lastwagenverkehr, anpassen könnte. Die meisten Lastkraftwagen fuhren zu dieser Zeit noch auf stahlbereiften Rädern, die den damaligen Straßen unter den gegenüber dem Pferdefuhrwerk stark gestiegenen Gewicht und der höheren Geschwindigkeit stark zusetzten. Vor diesem Hintergrund wurde am 21. Oktober 1924 in Berlin die Studiengesellschaft für Automobilstraßenbau (kurz "STUFA") gegründet, die Vorgängerin der heutigen Forschungsgesellschaft für Strassen- und Verkehrswesen.

Der erste Vorsitzende der STUFA, Dr.-Ing. Brix, sagte auf der Gründungsversammlung damals zur aktuellen Problematik:

"[...] Wer Gelegenheit gehabt hat, die Entwicklung des Automobilverkehrs in außerdeutschen Ländern zu beobachten, der kann mit Bestimmtheit voraussehen, daß in allerkürzester Zeit auch bei uns ein enormer Verkehr, besonders auch mit Lastkraftwagen, einsetzen wird. Für diesen Verkehr sind aber unsere jetzigen Straßen bzw. Befestigungen nicht im geringsten geeignet; und es ist gleichzeitig vorauszusehen, daß sehr schnell eine Behinderung des Verkehrs eintreten wird, die zu lebhaften Beschwerden der beteiligten Kreise, zu Komplikationen mit den Behörden führen und mit Vorwürfen gegen die Ingenieurkunst enden wird, die keine Voraussicht bewiesen und den Erfordernissen des modernen Verkehrs nicht rechtzeitig Beachtung geschenkt habe. [...]"

Die Straßenverwaltung und die Kraftfahrzeugindustrie waren sich in dieser Zeit keineswegs einig über die Frage, in wie weit die Geschwindigkeit der Fahrzeuge für die Abnutzung der Straßen verantwortlich sei bzw. welche Rolle sie dabei spiele. Wie die STUFA befasste sich auch der Deutsche Straßenbauverband, in dem die leitenden Straßenbaubeamten der Länder und preußischen Provinzen zusammengeschlossen waren, mit dieser Frage. Der Verband hielt die Verringerung der Fahrgeschwindigkeit für ein geeignetes Mittel, die Abnutzung der Straßen zu vermindern.

Um diese Frage erforschen und klären zu können, benötigte man eine passende Versuchsstrecke. In den USA und Frankreich bestanden bereits solche Versuchsanlagen, die damals in der Fachwelt große Beachtung fanden. Aufgrund unterschiedlicher Rahmenbedingungen in Deutschland hielt man eine eigene Versuchsstrecke für zwingend notwendig. Auf dieser Versuchsstraße sollte " die Einwirkung des Lastkraftwagenverkehrs auf die üblichen Pflaster- und Steinschlagbahnen bei gleichen Wagengewichten mit verschiedenen Reifen und Fahrgeschwindigkeiten" untersucht werden.

Im März 1925 begann man unter Beteiligung der STUFA mit dem Bau der Strecke, Anfang Juni desselben Jahres sollte sie den Betrieb aufnehmen. Als Ort hatte man das "Bocksbartsfeld" in der Nähe von Braunschweig, westlich des Bienroder Weges und südlich der Bahnstrecke nach Celle, ausgesucht, das von der braunschweigischen Landesregierung zur Verfügung gestellt wurde. Mit der Leitung betraute man Oberbaurat Nagel von der Baudirektion Braunschweig.

Für den Bau und Betrieb wurden vom Straßenbauverband zunächst 225.000,- Mark und vom Reichsverkehrsministerium 60.000,- Mark bereitgestellt. Diese Mittel waren allerdings schon Ende Januar 1926 aufgebraucht, so daß in den Folgejahren ständig neue Mittel notwendig wurden.

Plan der Versuchsstrecke Braunschweig 

Die Strecke selbst bestand aus einer kreisrunden Bahn mit einem Durchmesser von 360 Metern und einer Länge von 1.080 Metern. Die nutzbare, beiderseitig von Randsteinen eingefasste Fahrbahnbreite von elf Metern war in mehrere, 2,50 bzw. 3,0m breite Bahnen unterteilt, die für unterschiedliche Geschwindigkeiten und Fahrzeugtypen vorhersehen waren. Während der aus Velpker Sandstein bestehende Unterbau über die gesamte Strecke gleich war, teilte die Decke sich in sechs unterschiedliche, jeweils etwa 180m lange Bereiche:

  • Chaussierung aus Hartschotter in der damals üblichen Ausführung
  • Chaussierung mit Bitumenüberzug
  • Innenteerung mit Hart- und Weichschotter
  • Asphaltschotter mit Hart- und Weichschotter
  • Beton
  • Kleinpflaster

Als Versuchsfahrzeuge kamen schwere, bis an die zulässige Höchstgrenze (5, 10 und 15 Tonnen brutto) beladene Lastkraftwagen zum Einsatz, welche die Strecke mit Geschwindigkeiten von 25, 35 und 45 km/h befuhren. Vergleichende Versuche mit unterschiedlichen Bereifungen (Riesenluftreifen, Kissenreifen, Vollgummireifen etc.) zeigten schon sehr bald die Überlegenheit der Luftbereifung. Die Strecke wurde im Laufe der Jahre mehrfach umgestaltet, um weitere, unterschiedliche Decken zu erproben, zum ersten Mal bereits im Jahr 1927.

Noch bis ins Jahr 1938 fanden auf der Strecke Versuche mit unterschiedlichsten Fahrzeugen statt, die in den letzten Jahren sicherlich auch der Vorbereitung des NS-Prestigeprojektes "Reichsautobahn" gedient haben dürften.

Die Reste der Strecke heuteDie Reste der Strecke heute 

Auf Nachkriegskarten ist der ehemalige Streckenverlauf noch erkennbar - allerdings ist er zu dieser Zeit schon nicht mehr kreisrund gewesen. Es scheint, als sei die Versuchsstrecke in den letzten Jahren ihres Betriebs noch einmal umgestaltet worden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde im Nordosten des Versuchsgeländes eine Sportanlage errichtet (Turn- und Rasensportverein Braunschweig), der ursprünglich südlich der Strecke verlaufende Doweseeweg wurde in einem sanften Knick nach Norden verlegt, so daß er den Südteil der ehemaligen Versuchsstraße kreuzt. Heute gehört fast das gesamte Areal zum eingezäunten Wasserschutzgebiet des nahegelegenen, 1902 errichteten Wasserwerks Bienroder Weg. Vom Doweseeweg führen nach Norden bzw. Süden Tore auf das Gelände, von denen aus man jeweils ein kleines Stück des früheren Streckenverlaufs gut erkennen kann.

Quellen:
- HAFRABA - 30 Jahre Autobahnbau, Bauverlag 1962
- Zentralblatt der Bauverwaltung, 45, 10, 1925
- Informationen der BS-ENERGY, Braunschweiger Versorgungs-AG & Co. KG
- eigene Recherchen

Tags: Autobahn, Testgelände