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Bunker in Hamburg: Flakturm Wilhelmsburg (Gefechtsturm VI)

Hitlers Idee von Trutzburgen für die Großstädte, gigantischen Flaktürmen, wurde in den Städten Hamburg, Berlin und Wien zu Beginn der vierziger Jahre Wirklichkeit. Flaktürme wurden immer paarweise errichtet - ein Gefechtsturm, der die Geschütze trug und ein Leitturm, in dem die Feuerleitung Platz fand. Manchmal war auf dem Leitturm sogar ein Radargerät vom Typ Würzburg oder Würzburg Riese montiert.

Baubeginn für das Flakturm-Paar in Hamburg Wilhelmsburg war im Jahre 1943. Zum Einsatz kam hier, wie auch in Wiener Arenberg-Park, der Typ 2, der sich deutlich von seinem Vorgänger (z.B. auf dem Heiligengeistfeld) unterschied. Rund 80.000 m³ Stahlbeton wurden allein für den Gefechtsturm verbaut.

Dwe G-Turm im Jahr 2000

 Die vier mit 12,8cm-Zwillingsflak vom Typ Flak 40 (Schußweite max. 21km, Schußhöhe max. 15.000m) bestückten Stellungen des G-Turms waren im Vergleich zu denen des Typ 1 wesentlich besser geschützt. Sie waren mit Buchstaben als Anton, Berta, Cäsar und Dora im Uhrzeigersinn gekennzeichnet, beginnend links von Haupteingang Richtung Leitturm. Die Munition wurde mit Kettenaufzügen von unten heraufgeschafft und in kreisförmig um die einzelnen Geschütze angeordneten Nischen zwischengelagert. Jede Granate wog ungefähr sechzig Kilogramm, bei sechs Schuß/Minute verbrauchten die vier Doppelgeschütze so rund 2.900 davon in der Stunde.

Auf dem Dach des Bunkers


Die leeren Hülsen wurden durch Öffnungen zunächst in eines der darunterliegenden Stockwerke "abgeworfen" und später außerhalb des Bunkers von Luftwaffenhelfern mit Drahtbürsten gereiningt, bevor sie wieder abgeholt wurden. Auf der ein Stockwerk tiefer liegenden, rundum laufenden Galerie waren zusätzlich 2cm- und 3,7cm-Flak gegen Tiefflieger postiert. Laut Zeitzeugen-Aussage war zumindest zwischen November 1944 und März 1945 keine leichte Flak auf dieser Galerie vorhanden, die Gründe sind bisher unklar.

Munitionsdepots befanden sich im Erdgeschoß. Ersatz-Geschützrohre, die mittels eines eigens vorgesehen Krans montiert werden konnten, lagerten im Keller.

Ein Teil der insgesamt neun Stockwerke war als Luftschutzraum für die Bevölkerung vorgesehen, teilweise suchten hier bis zu 30.000 Menschen Schutz. Um den militärischen Betrieb nicht zu beeinträchtigen, gab es ein gesondertes Treppenhaus für die Wehrmacht.

Nach dem Krieg war zunächst geplant, die Flaktürme einer zivilen Nutzung zuzuführen. Der Leitturm (Grundfläche 39m x 23,5m, Höhe 41,8m) wurde dann aber am 10.10.1947 von den Briten gesprengt und beseitigt. Der Gefechtsturm (Grundfläche 57m x 57m, Höhe 41,6m, Wandstärke min. 2m, Deckenstärke 3,5m) wurde am 17.Oktober desselben Jahres gesprengt, allerdings wurde auf eine Totalbeseitigung verzichtet. Nur die innere Struktur (Decken, Wände, Treppen) wurde zerstört.

 

Einen Eindruck über das Leben im und auf dem Flakturm vermittelt der Bericht des ZeitzeugenGustave Roosen, der während des Krieges auf dem Flakturm VI als Luftwaffenhelfer diente: (Wir weisen ausdrücklich darauf hin, daß es sich hierbei um eine subjektive Zeitzeugenaussage handelt, die nicht unbedingt die Meinung der Betreiber dieser Seiten darstellt.)

Hamburg-Wilhelmsburg, Flakturm mit 4 x 12,8 cm Zwillings-Geschützen, eins pro Rondell - das war die dritte und letzte Station von uns, den einstigen Monschauer Oberschülern, nach vorangegangenen Einsatzorten in Aachen, bis US-Artilleriebeschuss das dortige Ende einläutete, danach ein Gastspiel in Langenbochum, direkt an der Zeche "Schlegel und Eisen" und nun eben hier.

Auf zum letzten Gefecht. Wir kamen am 14. November 1944 in Hamburg an. Ich war als noch kleiner Junge in Hamburg aufgewachsen und kannte mich aus. Wie sah Hamburg jetzt aus! Die Binnenalster mit Netzen zur Tarnung abgedeckt, über dem Hauptbahnhof eine Abdeckung aus Strohmatten in Straßenbreite, über die Außenalster ebenfalls mit einer ähnlichen Tarnmatte eine Pseudo-Lombardsbrücke gezogen - aber die Bomber hatten bereits 1943 schwer gewütet.

Wir sammelten uns auf dem Gelände an der Rothenbaumchaussee, damals Stab der Luftwaffe, heute Tennisplatz-Anlagen. Ein Teil von uns wurde dem Flakturm in Wilhelmsburg zugeteilt. Zur Geschützbedienung eingeteilt zu werden, war mein stiller Wunsch und ich hatte auch das Glück, als "K1" (Seitenrichtkanonier) auf "Dora" eingewiesen und eingesetzt zu werden.

Im Grunde war es kein Kunststück, es erforderte Einfühlungsvermögen und Fingerspitzengefühl, um die Doppelzeiger - Sollwert / Istwert - mit der Umdrehungsgeschwindigkeit des Nachführzeigers (identisch mit Drehgeschwindigkeit Geschütz) auszutarieren und haargenau auf Übereinstimmung ("auf Deckung") zu halten. Man saß auf einem Blechsitz, wie auf einem Traktor, vor sich das Handrad, dahinter die große Doppelzeigerskala und der Einschlagwinkel des Handrades bestimmte die Drehgeschwindigkeit des Geschützes (bzw. beim "K2" die des Höhen-Anstellwinkels); es war angenehm, daß alles hydraulisch funktionierte, im Gegensatz zur 8,8 cm Flak, die es mit Muskelkraft einzustellen galt.

Hier in Hamburg hatten wir laufend zu tun - jeden Abend gegen 20 Uhr, man konnte die Uhr danach stellen, Voll-Alarm. Bomberverbände, die auf dem Weg nach Berlin waren, nahmen die Elbmündung und die Elbe als Einflugschneise. Natürlich war Hamburg, der Hafen, die Öltanks und Raffinerien in Harburg und Wilhelmsburg laufend Ziel ihrer massiven Angriffe. Es gab infernalische Gefechtssituationen aber man hatte - hier besonders - das Gefühl, sich wehren zu können; allerdings hatten wir unter erschwerten Gefechtsbedingungen zu leiden, denn die Munition, die wir verfeuerten, Kaliber 12,8 cm, kam aus einer Munitionsfabrik, in der Zwangsarbeiterund wohl auch Häftlinge beschäftigt waren, die aus unserer Sicht Sabotage betrieben: Der Geschoßboden der Granate, die sie sabotierten, wurde angebohrt, sodaß die Treibladung, die bei Abschuß gezündet wurde, auch die Sprengladung der Granate zündete. Die Folge war im günstigsten Fall Rohraufbaucher, im ungünstigsten Fall Rohrkrepierer. Wir fanden nach einem der zahlreichen schweren Gefechte unser abgerissenes Rohr 300 Meter entfernt in der Nachbarschaft wieder, wie eine Bananenschale streifig aufgerissen.
In der Hitze des Gefechts hatten wir nicht sofort bemerkt, daß wir nur noch mit einem Stumpf weiterschossen... Die Schuss-Folge war gewaltig - bei 20 Schuss/min kam leicht ein Munitionsbedarf von 9000 Schuss für eine Stunde Gefecht zusammen.

Wir hatten zwar Ersatzrohre im Keller, aber die Kranverladung nach oben und die Montage dauerte einige Zeit, in der wir nicht einsatzbereit waren. Das Auswechseln von Rohren kam während der Zeit, in der ich auf dem Turm stationiert war, mehrfach vor.

Schulunterricht war schon seit Juli 1944, noch zu unserer Aachener Zeit, kein Thema mehr; die ständige Alarm- und Gefechtsbereitschaft machte es auch dem Lehrkörper unmöglich, noch Unterrichtsstunden abzuhalten. Hier in Hamburg hatten wir sowieso mehr Lehrlinge als Oberschüler - feine und umgängliche Kerle, die meisten von ihnen bei Blohm & Voß in der Schiffsreparatur oder in der Flugzeugwerft auf Finkenwerder als Motorenschlosser aus der Lehre abgezogen und mit praxisnaher Lebenseinstellung und -erfahrung schon versehen, was von uns - den Schülern - sehr bewundert wurde. Bei Wochenendurlaub kleideten sie sich wie die feinen Lords heraus, mit Bowler und feinem Tuch ausstaffiert, zogen sie mit ihren Bräuten und Mädchen los. Beneidenswert!

Die Flakturm-Batterien, so auch die in Wilhelmsburg, bestanden aus zwei Türmen - dem Geschützturm, einem Quader aus Stahlbeton mit 50 m Kantenlänge, innen in 7 Geschosse aufgeteilt, in die bei Voralarm bereits die Anwohner aus der näheren Umgebung Zuflucht suchten. Ganz oben befanden sich unsere Unterkünfte. Auf der obersten Plattform standen in jeder Ecke ein Zwillingsgeschütz in einem eigenen Rondell, mit rundumlaufenden Munitionsbunkern sowie außen ein umlaufender Balkon, der ursprünglich für Armierung mit leichter Flak vorgesehen war. Ihn durften wir einmal - für zehn Minuten - mit der Zahnbürste schrubben - wegen irgend eines leichteren Vergehens... Ansonsten war Drill und Schleiferei hier in Hamburg nicht mehr angesagt, das hatten wir in Aachen ausgiebigst zu erdulden gehabt.
Der andere Turm war der Mess-Turm, etwas schlanker in der Bauart, mit Messgeräten, großes FuMG und B1 (Kommandogerät). Zwischen beiden Türmen, die im Abstand zueinander von ca. 160 m standen, befanden sich zu ebener Erde Baracken mit Kantine, Werkstatt-Schuppen, Friseur, Schuster u.a. Einrichtungen. Das Ganze strahlte Lager-Atmosphäre aus.

Wilhelmsburg, südlich zwischen Stadtmitte und Harburg gelegen, war vom eigentlichen Zentrum Hamburg mit dem Hafen, der Alster ziemlich entfernt. Eine zweite Turmbatterie befand sich in St. Pauli, Feldstraße, in unmittelbarer Nähe zur Reeperbahn und ihren Nebenstraßen, damals Zentrum des Schwarzen Marktes, speziell Talstraße. Die auf dem dortigen Turm Stationierten hatten den Vorteil, nicht zu weit vom Zentrum St. Pauli entfernt zu sein.

Eines Tages wurde eine Lkw-Ladung mit Cognac zur Einlagerung auf unserem Turm angeliefert, zur Sicherheit und für eine Fete von der Untergruppe Hafen vorgesehen... Die Kisten wurden mit dem Munitionsaufzug nach oben befördert. Nun ergab sich, daß helle W+G - Spezialisten (Waffen u. Geräte) wachsam die Einlagerung mitverfolgten und eine Kiste abzweigten. Es war dies die erste Kiste, sie wurde in Sekunden geöffnet und die Buddeln verteilt. Als unten die 30. Kiste in den Aufzug verstaut wurde, wartete man oben, wo als letzte Kiste die 29. registriert wurde, vergeblich auf die 30. Kiste. "Die ist wohl im Aufzug hängengeblieben..."

Unsere Unterkunft war das oberste Geschoss, jede Stube belegt mit 6 oder 8 Mann, wie es beim Stuben-Appell stereotyp gemeldet wurde und - welch' unverdientes Glück - es befand sich noch eine unscheinbare Türe in unserer Stube, über die absolutes Stillschweigen bewahrt wurde und außer uns nur zuverlässigen und schweigsamen Kameraden bekannt war. Diese geheime Türe gab den Zugang zu einem Schacht für diverse Versorgungsleitungen frei - vom Keller bis zur obersten Plattform - ein viereckiger Kamin, mit Sprossen an der der Türe gegenüberliegenden Wand. Diesen geheimen Ausstieg benutzten wir natürlich regelmäßig, wenn wir nach draußen wollten und keinen Passierschein für die Wache an der Haupttreppe vorweisen konnten. So nach zwanzig, dreißig Sprossen abwärts konnten wir in einem tiefergelegenen Geschoss aussteigen und ab da die Treppe benutzen. Unten kontrollierte kein Mensch, da die Aufgänge für die Unterschlupf suchende Bevölkerung offengehalten waren.

Wir "flitzten" in die nähere Umgebung, kauften markenfreie Esswaren, wie Kunsthonig oder Heringssalat und trafen uns mit den "Bräuten" - nahmen aber die Beine in die Hand, wenn die Sirenen Voralarm gaben. Als es eines Tages auffiel, daß trotz bestehenden Alarmes einige der Kanoniere verspätet eintrafen, flog unser "Schlupfloch" auf und unser Geschützführer, Uffz. Ganser, ansonsten ein feiner Kerl, nagelte die Tür mit fünfzölligen Nägeln rundum zu. Aus der Traum mit abendlichem Ausbüchsen!

Von unserer ehemaligen Stammbesatzung der LW-Helfer der Aachener Batterie waren nur noch wenige hier versammelt - ich erinnere mich an Erhard Rößler und Paul Stollenwerk, Kurt Herzog mit Sicherheit, weitere Namen sind mir nur noch vage in Erinnerung, von den Hamburger Jungs Herbert Ohde und Kurt Dobberstein. Oberster Boss von uns Jungs war ein gleichaltriger Flugmotorenschlosser, der älter schien und schon was dar stellte - ich sah ihn Ende der 50er Jahre, als ich wieder in Hamburg lebte, als Fahrschullehrer - mit Fahrschülern sogar aus der Hi Society (!).

Starker Motivationsschub für uns war der Ehrgeiz, entsprechend der Zahl der Beteiligung an bestätigten Abschüssen das Flakkampfabzeichen verliehen zu erhalten; das Soll der Punktezahl hatten wir schon lange zusammen aber die sich ab März überstürzenden Ereignisse in Hamburg machten derlei Träume zunichte.
Im März 1945 hatten wir schwerste Einsätze - am 7.3., am 8.3. und speziell am 11.3. mit Bombenteppichen direkt am Turm.

Zwei Tage später wurde ich offiziell mit Entlassungspapieren verabschiedet und setzte mich nach Detmold in Marsch, wohin ein Teil der Familie nach in Köln erlittenem Totalschaden ausgewichen war. Meine Odyssee war damit aber noch nicht zu Ende. Acht Wochen später - der Krieg war mittlerweile beendet - traf ich in Bad Godesberg ein, ein von Luftangriffen weitgehend verschont gebliebenes Städtchen, bewohnt mit vorwiegend alten Leutchen, wo sich inzwischen die Großmutter ein notdürftiges Quartier in einem Fachwerkhaus beschafft hatte. Dieses Haus ist heute eine Botschaft eines afrikanischen Staates. Der Schulbetrieb auf dem Pädagogium Otto-Kühne-Schule wurde auch bald darauf wieder aufgenommen. Kriegsteilnehmer konnten das Abitur in Sonder - Lehrgängen, die jeweils ein Jahr dauerten, verkürzt erreichen. Ich war im letzten Lehrgang, mit 18 Jahren der jüngste Teilnehmer und machte, heute vor 55 Jahren, mein Abitur. Ich hatte somit nur ein Jahr verloren; was ich in zwei Jahren an Erfahrung gewonnen hatte, lässt sich nicht an metrischen Maßstäben messen...

Heute dient der Bunker nach einem aufwändigen Umbau als alternatives Heizktaftwerk Der Zugang zur galerie ist öffentlich, in einem der vier Türme befindet sich nun das Café "vju".

Quellen:
- Bunker - Luftschutz und Luftschutzbau in Hamburg, Helga Schmal/Tobias Selke
- Bunkerwelten - Luftschutzanlagen in Norddeutschland, Michael Foedrowitz
- Hamburg 1945, Katalog zur Ausstellung der Handelskammer Hamburg
- Hamburg und Dresden im Dritten Reich, Landeszentrale für politische Bildung
- Flakbunker - Betonierte Geschichte, Henning Angerer
- The Battle of Hamburg, Martin Middlebrook
- Gommorah - the Hamburg firestorm, J.Heitmann (After the Battle 70)
- Zeitzeugen-Aussagen
- eigene Recherchen


Tags: Landesbunker, Flakturm, Flak, Luftschutz, Hamburg